Diese Jugend von heute...

Während er alte Vorurteile des Stammtisches nährt, speist sie noch ollere Kamellen von da. Er predigt rassentheoretische Ansätze, sie hält die ewige Mäkelei der Alten an den Jungen aufrecht. Wo er auf betuliche Abrichtung seiner Leser auf Ausländer und Arbeitslose trifft, da stößt sie auf altertümliche Ressentiments, die ihr Applaus einhandeln.
Die These Ursula Sarrazins ist, auch wenn sie es nicht in dieser Direktheit sagt, dass die Jugend verlottert sei, dass sie die schlimmste Jugend ist, die die Welt je erblickt hat - die schlimmste Generation seit es Menschen gibt. Damit erntet sie freilich Zustimmung, denn der Ausspruch, die Jugend sei schlimm, "so ganz anderes wie wir Alten", den hat noch jede Generation über sich ergehen lassen. Die Generation Hitlers wollte die fade Jugend aufpeppen, ihnen jene Kraft und Männlichkeit einflössen, die sie selbst in Schützengräben erstanden hatte. Die Generation des ausklingenden Kaiserreiches musste sich von ihren Vätern sagen lassen, sie sei verweichlicht, weil sie Sedan nicht aufleben lasse, dafür aber allerlei sozialistischen Affekten nachhechele. Von der verwahrlosten Jugend sprach man ebenso, als diese protestierend das Jahr 1968 füllte - am Ende wurde auch diese Jugend staatstragend und mancher Steinewerfer, der als unverbesserlicher Jugendlicher galt, wurde gar zum Außenminister im konservativen Stresemann.

Die schlechte Jugend, die so ganz anders, fader, dümmer, desinteressierter und frecher sei als die älteren Semester: schon die Griechen und Römer beklagten sich darüber! Was mag mancher Soldat, der an der Seite Cäsars Gallien überfiel, von einem Jungspund wie Octavianus, den späteren Kaiser Augustus, gehalten haben? Die Jugend sei weniger tapfer, hätte er sich vermutlich gedacht, und dieser Octavianus gerät seinem Großonkel so überhaupt nicht gleich; verweichlichte Grünschnäbel! Das Imperium geht vor die Hunde, weil es an aufrechten Generationen mangele, weil die Jugend alles verspielt! Und was haben erst die Generationen nach dem großen Alexander erdulden müssen, weil sie ihrem Ahnherrn nicht zur Ehre gereichten - ja, und was hat Alexander selbst ertragen müssen, was hat man ihm denn alles unterstellt, diesem Jüngling, der angeblich so viel weicher und philosophischer und unmännlicher, daher so viel schlechter und würdeloser war, als sein alter Herr, als der einäugige Philipp?
Ursula Sarrazin fischt in uralten, abgestandenen Gewässern. Der über die Jugend lästernde Alte ist die Konstante der Menschheit; der jeweiligen aktuellen Jugend zu spotten, es ist Menschheitssport, der sich durch alle Zeitalter zog. Und er ist ein haltloses Treiben. Wären alle Söhne und Töchter oder Enkel und Enkelinnen auch nur ein halbes Prozent schlechter gewesen als Eltern oder Großeltern, dann hätte es etwas wie menschlichen Fortschritt nie gegeben. Mehr als hundert Generationen Verschlechterung seit der Antike! Die Genealogie wäre damit einen Ahnenreihe des fortwährenden Niedergangs und Schlechterwerdens. Nun gibt es aber doch Menschenrechte, die zwar nicht immer eingehalten werden, die man aber dennoch nicht leugnen kann; wir verbrennen keine Ketzer mehr - auch wenn manche es noch gerne sähen; wir erklären uns die Welt heute wissenschaftlich, deuten sie nicht mehr in theologischer Undefinierbarkeit... wäre die Menschheit von Generation zu Generation schlechter, frecher oder desinteressierter geworden: wir lebten noch in Siedlungen, die denen aus dem antiken Mesopotamien glichen.
Nun ist die Menschheitsgeschichte freilich eine Geschichte des Fortschritts. Ob der moderne Mensch allerdings emotional besser geworden ist, das kann nur schwerlich beantwortet werden. Mit Helmut Qualtinger gesagt: da Mensch is a Sau - und das war er immer und wird er in gewisser Weise immer sein. Per se schlechter wird die Gesellschaft aber durch ihre Jugend nicht - sie entwickelt sich materiell und verharrt immateriell; sie bleibt schlecht wie vormals, nur auf eine andere Art vielleicht; weniger blutig, dafür aber mit bürokratischer Brutalität ausgestattet etwa. Auch wenn es bei der heutigen Jugend offensichtliche Mängel geben mag, die Frage müsste lauten: woher kommen die? Wer lebte ihnen ein Leben vor, dass in Desinteresse mündete? Selbst dann ist aber auch noch nicht gesagt, dass die heutige Jugend irgendwann einmal keinen "Erfolg haben wird"; was immer dann Erfolg auch sein mag.
Die schlechte Jugend zu geißeln, das hilft aber niemanden, es schadet eher - in diesem Sinne ist Ursula Sarrazin niemand, der helfen könnte, sie schadet vielmehr. Mit ihren Parolen kann sie am Stammtisch punkten, an dem ja auch ihr Gatte wohlig beim Skat sitzt; dort sind ewiggestrige Reflexe und sinnlose Affekte willkommen, da bejubelt man sie: über die Rolle als Jammerlappen und alte Meckertante kommt sie nicht hinaus - sie hat vergessen, dass sie auch mal, lange muß es her sein, Teil einer Jugend war, die für ihre Eltern als gesellschaftlicher Niedergang begriffen wurde. Aber wenn man alt wird, dann vergisst man eben nur zu gerne und viel zu oft...

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