Meg Stuarts Built to last zwischen rauschhaften Emotionen und lakonischen Kommentaren
Geräuschkulisse der Großstadt? Nein. Neue Musik. Schrecken, Krampf, Zucken, mechanische Bewegungen, Irrsinn – so fängt es an. Im Laufe des Abends tanzen fünf Performer zu fünfzehn klassischen Stücken kreuz und quer durch die Musikgeschichte. Ein Gregorianischer Choral löst die Wiener Klassik ab, Tonales folgt auf auskomponiertes Rauschen und das mitreißende Thema Aus der Neuen Welt von Dvorak hat auf einmal gar nichts mehr gemeinsam mit Beethoven. Denn zu Dvořák sieht man zackige Armbewegungen, Kraftposen, Sportlichkeit, Eindeutigkeit, bei Beethovens Eroica dagegen ein großes Gewusel. Krabbelnde Körper, einander tragende Körper, Gleichzeitigkeit von Triumph und Geschlagensein in Gesten und Haltungen. Welch‘ konträre Emotionen ein sinfonischer Satz gleichzeitig mit sich bringen kann, hat man geahnt, aber nie so visualisiert gesehen. Die musikalische Interpretation eines Stückes – gebündelt durch einen Dirigenten, ein Orchester – enthält Ambiguitäten, wie sie sich beim Hören wohl vermitteln, wie sie aber kaum besser als durch die fantastische Choreographie ins Bewusstsein treten können, die vom 10.-12.Januar 2013 im Berliner Hebbel am Ufer zu sehen war.
Es handelt sich um Meg Stuarts Tanztheaterinszenierung Built to Last. Als Koproduktion der Münchener Kammerspiele mit Damaged goods dort bereits im April letzten Jahres uraufgeführt, profitiert der Tanz tatsächlich von den Klassikern der Musikgeschichte, geschrieben für die Ewigkeit (built to last). Doch nicht nur die gewählten musikalischen Kostbarkeiten, auch dieser ausdrucksstarke Tanz ist von Dauer und zum Teil kehren sich die Hierarchien um. Da erschließt sich die musikalische Ausdruckskraft erst durch die Bewegungen, Gesten, die Mimik und die effektvolle Bühnengestaltung. Setzt die Musik kurz aus, geht die Bewegung weiter und setzt die Musik dann wieder ein, so begleitet sie plötzlich die Bewegung, das Austesten von Gesten und Posen. Setzen Musik und Tanz gleichzeitig aus, ist ein von Gefühlen überbordender Satz, ein Rausch an Rasen, Stampfen, Sich-Winden, Kugeln und erdrückt sein vorbei, so bleibt die große Stille, das Erwachen, die Nüchternheit. Eben noch meinten wir zu wissen wo wir sind, und plötzlich ist alles ganz anders. „Wir glauben, wir wüssten, wo wir sind, aber wir wissen es nicht.“ So wird das in der Aufführung kommentiert. Der Tiefsinn dieser Worte wird aber gleich gebrochen durch eine gekonnte, subtile Ironie in den mimischen Kommentaren von Kristof Van Boven, die gegen zu viel Pathos wirken und mit zu einem erstaunlich kurzweiligen Abend beitragen. Es ist urkomisch, wenn mittelalterlicher Gesang durch archaische Geräte der Feldarbeit illustriert wird, alberne Perücken und ein Hirschgeweih auf futuristische geometrische Körper prallen und in schrillen Kostümen das Modell eines großen Dinosauriers auseinander genommen wird, dessen Skelett im Kontrast dazu steht, dass die Performer hier überaus lebendig sind. Sie powern sich spürbar aus („Diese Hose ist warm.“) und werden mit ihren Life-Visualisierungen der musikalischen Vorgänge in der Musik zu Figuren, zu Individuen. Nur mit Psychologie, zwischenmenschlicher Kommunikation oder narrativer Handlung hat das alles wenig zu tun. Vorgeführt wird hier eine eigene Sprache zwischen Musik und Bewegung, von der man gern noch mehr sehen und hören möchte.