Diese Aktualität schmerzt richtig
Von Michaela Preiner
Höllenangst(Foto: © www.lupispuma.com / Volkstheater)
24.
September 2017
Vor 30, 40 Jahren waren Nestroy-Inszenierungen das, was sie bis heute geblieben sind: Unterhaltungsstücke, die mit einer brillanten Besetzung unvergesslich blieben.
Was sich in den letzten 30, 40 Jahren aber verändert hat, ist die gesellschaftspolitische Brisanz, die den Texten leider wieder innewohnt. Das Spiel um das Auf und Ab, das Oben und Unten im Leben, das allein dadurch bestimmt wird, wer Geld und damit Macht hat, hat eine erschreckend brisante Aktualität erlangt.In den 70ern und 80ern haftete Nestroys Texten eine Art Geschichts-Folklore an, die dem Publikum zumindest unterschwellig aufzeigte, dass sich die Zustände – konkret der Unterschied zwischen Arm und Reich – gebessert hatte. Heute hat sich das Blatt wieder drastisch gewendet. Zwar ist es nicht mehr jenes Feudalsystem, das zu Nestroys Zeiten Arm und Reich trennte, sondern der Neoliberalismus hat ganze Arbeit geleistet.
Nun separiert er, wie im 19. Jahrhundert, abermals ein Heer von Mittellosen von wenigen Begüterten, die vom kapitalistischen System in höchste Höhen gespült wurden. Das ist der traurige Aspekt der neuen Inszenierung „Höllenangst“, die am Volkstheater derzeit zu sehen ist. Es mag wohl auch daran liegen, dass Nestroy die ersten Texte für dieses Stück im Vormärz 1847 und im Revolutionsjahr 1848 verfasste. Einer Zeit also, die ebenso von weitreichenden Umbrüchen geprägt war wie die heutige.
Höllenangst(Foto: © www.lupispuma.com / Volkstheater)
Höchst verdienter Zwischenapplaus für Franzmeier und Frank
Der erfreuliche Aspekt der Aufführung: Unter der Regie von Felix Hafner darf das Ensemble zeigen, was wirklich große Schauspielkunst ist. Allen voran spielen sich Günther Franzmeier als alter Schuster Pfrim und Thomas Frank als Wendelin, sein Sohn, in die Herzen des Publikums. Schon 2015 bildeten sie ein Traumduo in „Zu ebener Erde und erster Stock“, das förmlich nach einer Fortsetzung verlangte.
Vielfacher Zwischenapplaus bei der Premiere machte unmissverständlich klar, dass diese Inszenierung als einer der Bühnen-Höhepunkte der beiden Schauspieler anzusehen ist. Wie Frank um Aufmerksamkeit bei einem ehemaligen Gefängniswärter kämpft, indem er auf vielfache Art und Weise in einer fulminanten Kasperliade vor diesem auf- und abpatrouilliert, hat ganz große Klasse. Wie Franzmeier in lupenreinstem Wienerisch die Rolle des versoffenen Handwerkers ausfüllt, ebenso.
Besser ein Aberglaube als gar keiner
Der Text von Wendelin, der sich als Gefängniswärter anstellen ließ, um seinen Herren zu befreien, der unrechtmäßig eingesperrt ist, erhält in der Inszenierung mehrfache Bedeutungsebenen. Nicht nur, dass es ein riesiger Spaß ist, voyeuristisch seine Verblendung mitzuverfolgen. Der Glaube, sich dem Teufel verschrieben zu haben, um seiner Familie und sich selbst ein besseres Leben zu ermöglichen, wird in Hafners Interpretation auch zu einer zeitgenössischen Persiflage auf jede Art von grassierendem Aberglauben.
Vor allem in der Esoterik-Szene werden immer wieder Argumentationsketten verwendet, die schon Nestroy dem verblendeten Wendelin in den Mund gelegt hat. Deutlich wird das in jenem Couplet, in welchem er kundtut, dass es besser sei, einen Aberglauben zu besitzen, als gar keinen. Auch die Frage nach der Selbstbestimmung des Menschen – die in den Neurowissenschaften heftig diskutiert wird – schwingt dabei mit.
Höllenangst(Fotos: © www.lupispuma.com / Volkstheater)
Nach oben kommen ist fast unmöglich
In rasantem Tempo lässt der Regisseur die Figuren vor eine Half-Pipe-ähnlichen Bühnenkonstruktion (Camilla Hägebarth) agieren, die mit unerwarteten Türchen ebensolche Auf- und Abtritte ermöglicht. Zugleich dient dieses ungefähr drei Meter hohe Halbrund als wunderbare Metapher. Nach oben kommen ist schwer, immer wieder rutschen die Menschen, die verzweifelt versuchen, das obere Ende zu erreichen, ab. Die Plätze in luftiger Höhe, die das gemeine Volk von den Wohlhabenden trennt, sind schon vergeben. Der in blendendes Weiß gekleidete, korrupte Staatssekretär (Kaspar Locher) und der Obergauner, Freiherr von Stromberg in Smoking mit Fliege (Stefan Suske), der sich das Erbe seiner Nichte unrechtmäßig aneignete, blicken von der Reling, die das Halbrund nach oben abschließt, überheblich auf das Fußvolk herab. Dieses trägt, bis auf die beiden jungen Damen (Laura Laufenberg als Baronesse, die von ihrem Onkel ins Kloster geschickt wird und Isabella Knöll als ihre verliebte Kammerjungfer) Zeitgenössisches in den Schattierungen Grau bis Schwarz. (Kostüme Johanna Hlawica).
In jenen Szenen, in welchen sich das Machtgefälle umkehrt, werden auch die Positionen getauscht. Als der arme Schuster Pfrim seinen Trumpf ausspielt, Beweismittel in der Hand zu haben, die Stromberg und den Staatssekretär belasten, ist er es, der den höchsten Punkt der Bühnenkonstruktion erklimmt und die beiden anderen nach unten jagt.
Höllenangst(Fotos: © www.lupispuma.com / Volkstheater)
Isabella Knöll als Energiebündel, bei dem die Funken sprühen
Isabella Knöll bringt in einem fulminanten Auftritt mit Thomas Frank in ihrer Rolle als Rosalie, die sich in Wendelin verliebt hat, ebenfalls ihr schauspielerisches Können voll zur Geltung. Wie sie gegen den Embonpoint von Wendelin zuerst unfreiwillig und dann bewusst anläuft, dass Slapstick-Größen wie Charly Chaplin oder Buster Keaton ihre Freude daran hätten, ist umwerfend, im wahrsten Sinne des Wortes. Aber auch, wie sie von einer Sekunde auf die andere in Rage gerät und dabei gleichzeitig behauptet, ein ruhiger Mensch zu sein, erheitert das Publikum ungemein.
Couplets mit beißenden, aktuellen Texten
In den Couplets, in welchen sich Texte von Nestroy mit solchen von Peter Klien verschränken, wird auf die nicht vorhandene Frauengleichstellung oder falsche Wahlversprechungen bis hin zur Brexit-Strategie von May und dem neuen, französischen Präsidenten Macron verwiesen. Den pointierten Aussagen steht, als einziges Manko der Inszenierung, ein höchst verwaschener Sound von Clemens Wenger zur Seite. Er erschwert es dem Ensemble, rhythmisch eindeutig unterstützt zu rappen und konterkariert damit die vielversprechende Auftrittsmusik zu Beginn.
Mit der „Höllenangst“ gelingt dem Volkstheater ein Coup in zweierlei Hinsicht. Zum einen bietet es dem Publikum das, was es sich vom Volkstheater uneingeschränkt erhofft: Einen unterhaltsamen Theaterabend mit schauspielerischen Höchstleistungen. Zum anderen bleibt es seiner Linie treu, Stücke mit aktuellem Zeitbezug aufzuführen, auch wenn diese schon knappe 170 Jahre am Buckel haben.
In weiteren Rollen: Gábor Biedermann, Christoph Rothenbuchner, Claudia Sabitzer, Valentin Postlmayr, Luka Vlatkovic und Mario Schober.
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