Diedersdorfer Schloss-Wiesen-Lauf: der grauste Sieg aller Zeiten

Von Eiswuerfelimschuh @eiswuerfelimsch

Mitten im Herbst unter hundert Jahre alten Kastanienbäumen im Schlossbiergarten Diedersdorf versammelten sich am Sonnabend in der morgendlichen Stille Läufer und Helfer für den alljährlichen Schloss-Wiesen-Lauf. Ganz Klein und Groß waren auf den Strecken über 600m, 3km, 10km und 15km willkommen. Für mich ein besonderer Lauf, weil ich mich gegen die Konkurrenz aus Vereinen durchsetzen und ein Treppchenplatz erzielen konnte. 

Ich hatte an diesem Wochenende die Wahl zwischen einem familiären 15km Lauf über Felder und Wiesen im idyllischen Diedersdorf oder einem rasanten Grand10 durch den Berliner Zoo. Letzter Lauf lockt mich schon seit Jahren, schließlich ist es eine schnelle Strecke und somit wäre auch nach einer harten Triathlonsaison mit gutem Training eine Bestzeit über 10km in Reichweite. Statt aber mit Tausenden über den Asphalt zu flitzen, entschied ich mich für den kleinen Wiesenlauf. Schon allein deshalb die bessere Wahl, weil so die Ironmannacht mit Livestream gesichert war und ich nicht Sonntags aus dem Bett fallen musste. Außerdem hätte ich ganz sicher beim Grand10 nicht so schöne Pokale mitnehmen dürfen.

Der Morgen wurde wie üblich mit einem Matcha Latte, Haferbrei, Banane und Gyokuro verbracht. Irgendwie muss man sich ja körperlich und mental zu so früher Stunde wach bekommen und einstimmen. Das morgendliche Zähneputzen auf der Terrasse mit Blick in die Ferne wurde allerdings durch einen hartnäckigen Nebel und Sprühregen versperrt. Vielleicht doch die falsche Wahl? Der Grand10 sollte wahrscheinlich im Sonnenschein stattfinden. Zumindest war es nicht so kalt wie erwartet. Eher eigenartig warmfeuchtkalt, was die Kleiderwahl nicht vereinfachte.

Als chronischer Nachmelder durfte ich 7,50€ bezahlen, erhielt aber wie alle Starter ein Beutelchen mit meiner Nummer und wie es sich für einen Wiesenlauf gehört, zwei Packungen Blumensamen. So reizend. Das nächste Frühjahr kann also auch schon kommen. Außerdem gab es eine Essensmarke für eine Brezel oder eine Bratwurst. Absolut biergartenwürdig. Mehr als zuvorkommend, wie ich finde.

Der Spaß begann als Zuschauer bei den Jüngsten, die sich tapfer über 600m Kopfsteinpflaster, Lehmschlamm und durch riesige Pfützen schlugen. Manche waren so klein und jung, dass ich mich fragte, ob sie überhaupt schon allein laufen könnten, wenn die Mami oder Papa ihre Händchen losließen. Aber alle Vereinsmitglieder, die den Lauf mit unglaublich viel Ehrgeiz und Freude mitmachten. Bei uns Großen gab es noch so einige Nachmelder. Deshalb musste der Start noch einmal verschoben werden. Also schnell erneut aufwärmen und kurz abwarten.









Um kurz vor halb 11 ging es dann für die Läufer aller Strecken gemeinsam los. Dadurch fehlte mir komplett die Orientierung, wer nun mit mir gemeinsam die längste Distanz angehen würde. Die eigene Zielgeschwindigkeit zu finden, fiel wirklich schwer. Im Gänsemarsch ging es voran und Überholen war auf den schmalen Pfaden zu Beginn kaum möglich. Kein Grund zur Panik. Alles um eine 4:30er Pace war für diesen Wettkampf sehr gut. Dennoch entschied ich mich, den Mittelstreifen und damit das nasse Grün in Anspruch zu nehmen, um meinen Lauf anzugehen. Wie viele Frauen vor mir waren, wusste ich leider nicht. Ich überholte aber eine nach der anderen und hielt meine Geschwindigkeit immer mehr oder weniger ein.

Plattenwege, immer nur Plattenwege, entlang der Felder, vorbei an überschwemmten Wiesen immer durch den Nebel. Die Sachen wurden klamm. Das Gefühl von Wärme und Kälte wechselte ständig.

Nach der fünften Weggabelung verlor ich die Orientierung. Ich hätte allein sicher nicht zurückgefunden. Aber es sollte ja auch nur vorwärts gehen.

Diese eigenartige Stille. Mit jedem Meter nahm der Nebel zu und ich hörte es nur vor und hinter mir tapsen. Es spritzte aus Pfützen, es schmatze im Schlamm. Meine Füße rutschten in den tropfnassen Schuhen hin und her. Immer wieder Löcher im Beton, in die ich hinein stapfte. Das Fluchen konnte ich mir sparen. Würde sowieso nicht besser werden. Es hieß Kräfte sparen. Das Tappeln über die Platten kostete mehr Kraft, als ich gedacht hätte. Schräge Passagen, immer wieder Kanten. Zur allgemeinen Anstrengung musste man auch noch hell wach sein, um die Füße gezielt aufzusetzen.

Es lief flüssig, auch wenn ich wirklich gern mit den 10km Läufern auf die Zielgerade abgebogen wäre. Stattdessen ging zu einem kurzen Ausflug noch weiter raus auf’s Land auf eine Wendepunktstrecke. Der Punkt war wahrlich ein Punkt. An der zweiten Getränkestation wurde ich freundlich darauf hingewiesen, bis zum Stauwehr zu laufen, wo ich besagten Punkt finden würde. Ein Untertassen großer Kreis mit einem Feil drum herum, damit man auch ja wieder auf seinen Weg zurückkommt.















Ab Kilometer zehn nahm der Wind zu und der Nebel lichtete sich einen Hauch. Am Horizont wurde das Schloss sichtbar und damit rückte auch das Ziel näher. Der Kommentator schallte über die Felder, als ein schwarzes Einhorn auf der Wiese auftauchte. Die Luftfeuchtigkeit und der rustikale Zaun um die Koppel, sorgten für eine zauberhafte Illusion. Das Pony bewegte sich gelangweilt weiter und zupfte am nassen Gras.

Ich erinnerte mich an meine Arme, die irgendwie unkontrolliert umher schlackerten und nicht mehr den Rhythmus vorgeben wollten. Noch einmal für die letzten fünf Kilometer konzentrieren und nicht nachlassen. Es schien, als wäre ich die erste Frau und wollte mich natürlich auf keinen Fall überholen lassen. Ich zerrte meine Beine voran. Das sollte schließlich ein harter Trainingslauf werden, den ich möglichst gleichmäßig hinter mich bringen wollte.








Die letzte Schlammpassage über einen Lehmboden tauchte vor mir auf. Noch eine Pfütze umlaufen, die ersten Zuschauer sind schon zu sehen. Der Kommentator freut sich, die erste Frau ankündigen zu können. Tatsächlich, das musste ich sein. Vor mir ist weit und breit niemand. Eine Reihe Kinder wartet hinter der Ziellinie, die ich mit 1:06:46 überschreite, auf mich. Sie halten die Medaillen bereit. Kurze Glückwünsche von Helfern, Applaus und endlich die ersehnte, handgefertigte Ton-Medaille. Traditionell werden diese von einer nahegelegenen Keramikwerkstatt angefertigt und mit dem Lauf-Maskottchen, einer Schnecke, versehen. Ein wirklich ganz wunderschönes Unikat für jeden Teilnehmer! Im Biergarten warten auf uns im tristen Grau, das immer düsterer wird, zahlreiche Getränke, jede Menge frisches Obst, selbstgebackener Kuchen und Schmalzschnitten.

Eine Bestzeit wurde es nicht. Allerdings hatte ich diese auch nicht im Auge und nur durch Zufall um wenige Sekunden verpasst. Das Ziel eine Pace von 4:30min/km pro Kilometer zu halten, habe ich wunderbar erreicht und bin absolut zufrieden mit meinem derzeitigen Trainingszustand. Die Beine und vor allem die Füße und Waden, die sich in den letzten Wochen immer mal wieder gern meldeten, waren von Anfang an wunderbar locker. Auch wenn es natürlich ein sehr anstrengender Lauf war, fühlte ich mich der Geschwindigkeit einigermaßen wohl.

Die nächste Überraschung wartet schon bei der Siegerehrung. Denn ich erhalte nicht nur einen Pokal für den Gesamtsieg über die 15km, sondern auch noch einen für meinen Altersklassensieg. Wunderbar. Dazu natürlich eine Urkunde und sogar einen Gutschein vom Laufladen ‘Ausdauerzone’ in Berlin.

Der Mahlower SV 1977 e.V. hat mit dem Schloss-Wiesen-Lauf eine wunderbare, familiäre Laufveranstaltung organisiert. Dank Sponsoren und freiwilliger Helfer wurde für eine absolut reibungslose Durchführung gesorgt. Eine wunderbare Tradition hat der Verein auch seit Jahren. Die Sieger dürfen sich mit einer Unterschrift auf den Startholzklatschen der Schule verewigen. Es war eine Freude dabei gewesen zu sein.