Diebische Nagetiere sichern tropischen Bäumen das Überleben

Von Holzi @holztechniker

In den Neotropen Mittel- und Südamerikas findet man zahlreiche Pflanzenarten, deren besonders große, saftige Früchte ursprünglich nur von großen Säugetieren des Pleistozäns gefressen und über weite Entfernungen durch Ausscheiden verbreitet werden konnten. Doch diese Großtiere starben vor über 10.000 Jahren aus, und es stellt sich die Frage, warum mit ihnen nicht auch die an sie angepassten Pflanzen verschwunden sind. Obwohl Nager bislang als schlechte Samenverbreiter gelten, konnten Patrick Jansen vom Smithsonian Tropical Research Institute in Panama, Martin Wikelski vom Max-Planck-Institut für Ornithologie in Radolfzell und ihre Kollegen nun zeigen, dass die tropische Nagerart Agouti Dasyprocta punctata die Rolle als Samenverbreiter übernommen hat. Mittels Video-Monitoring der Verstecke und Besendern von über 400 Früchten fanden sie heraus, dass diese Tiere, die auch fremde Vorratslager plündern und die Vorräte immer wieder neu verstecken, so die Samen in einem Umkreis bis zu 280 Metern von ihrem Ursprungsbaum entfernt verteilen.

Die erfolgreiche Samenverbreitung ist für Pflanzen von wesentlicher Bedeutung. Gefährdet durch Fressfeinde und Krankheiten benötigen sie eine Verbreitung über weite Distanzen, auch um den Gen-Austausch zwischen Populationen zu gewährleisten und um neue Gebiete zu besiedeln. Die tropischen Wälder Mittel- und Südamerikas sind reich an Waldpflanzen, die saftige Früchte mit großen Samen tragen, ganz ähnlich den Früchten, die in den Paläotropen, den tropischen Gebieten Asiens und Afrikas, von großen Säugetieren mit einem Gewicht von mehr als einer Tonne gefressen und dadurch verbreitet werden. Daher nahmen Ökologen bisher an, dass die Pflanzenwelt der Neotropen an eine Verbreitung durch die Megafauna, wie etwa das am Ende des Pleistozäns vor etwa 10.000 Jahren ausgestorbene Rüsseltier Gomphotherium, angepasst war.

Wenn die Wälder der Neotropen im Pleistozän tatsächlich von der Megafauna abhingen, stellt sich die Frage, wie sie bis heute ohne ihre Verbreiter überleben konnten. Patrick Jansen und Roland Kays, Wissenschaftler am Smithsonian Tropical Institute, Martin Wikelski vom Max-Planck-Institut für Ornithologie und ihre Kollegen haben untersucht, ob Agoutis die Rolle des Gomphotheriums übernommen haben. Diese Nagerart von der Größe eines Hasen, die häufig in den Wäldern Panamas anzutreffen ist, vergräbt eine oder mehrere Früchte als Nahrungsvorrat in flachen Verstecken. So liegen die Samen geschützt und haben ideale Keimbedingungen. Allerdings graben Agoutis versteckte Früchte immer wieder aus und verbuddeln sie an anderer Stelle neu oder fressen sie sofort. Dabei stehlen sie auch oft die Vorräte ihrer Artgenossen, so dass eventuell kein Samen bis zum Keimen liegen bleibt. Daher bezweifelten Forscher bisher, dass sie effektive Samenverbreiter sind, zumal Agoutis die Früchte nur über kurze Entfernungen weitertransportieren, zu wenig, um der Baumart eine Besiedelung neuer Areale zu ermöglichen und Konkurrenzdruck auszuweichen.

Die Wissenschaftler um Patrick Jansen fragten sich daher, in welchem Umfang diese Nagetiere ihre weit verstreuten Vorratslager anlegen, welchen Weg die Samen tatsächlich nehmen, und ob Agoutis die Rolle als Samenausbreiter tropischer Wälder übernehmen und somit die ausgestorbene Megafauna ersetzen konnten. Sie befestigten an über 500 Samen einer Palmenart kleine Radio-Sender. 85 Prozent der so beobachteten Saaten wurden davongetragen und zunächst ein paar Meter vom Fundort entfernt eingegraben.

Durch eine Video-Überwachung der Verstecke konnten die Wissenschaftler beobachten, wie die meisten Samen wieder hervor geholt, nicht gefressen, sondern weiter getragen und erneut eingegraben wurden. Diese Prozedur wiederholte sich durchschnittlich bis zu acht Mal durch mehrere unterschiedliche Tiere, 84 Prozent der Samen wurden von anderen Agoutis gestohlen. So entstanden Transportwege von annähernd 900 Meter Länge. „Eine Frucht war besonders „reisefreudig“: 36 Mal versteckt, reiste sie mehr als 750 Meter und endete 280 Meter vom Startpunkt entfernt“, berichtet Patrick Jansen, „ 209 Tage nach dem ersten Fund wurde sie dann ausgegraben und gefressen.“ Letztlich endeten 35 Prozent aller besenderten Samen weit über 100 Meter entfernt von ihrem Fundort.

Bis zur Reife neuer Früchte im folgenden Jahr, mit der die Nagetiere das Interesse an den alten Vorratslagern verloren, überdauerten annähernd 14 Prozent. „Agoutis verteilen Samen in einem Ausmaß, wie wir es uns nicht vorstellen konnten“, sagt Patrick Jansen. „Sie sind tatsächlich effektive Samenausbreiter.“ Zwar überwinden sie nicht die weiten Distanzen der urzeitlichen Megafauna, doch ist diese weit gestreute Samenverteilung der an einer Stelle konzentrierten Ablage in einem Dunghaufen eines Gomphoteriums überlegen. Die sekundäre Samenausbreitung durch wiederholtes Aus- und Eingraben von Nagetieren wie Agoutis könnte eine Erklärung für das Überleben von neotropischen Bäume mit großen Früchten sein, denn bereits lange vor dem Pleistozän gab es diese wechselseitige Beziehung zwischen Nuss tragenden Bäumen wie der Paranuss und Nagetieren.

Quote:

Originalveröffentlichung:
Jansen, P.A., Hirsch, B. T., Emsens, W. J., Zamora-Guitierrez, V., Wikelski, M. and Kays, R.
Thieving rodents as substitute dispersers of megafaunal seeds
PNAS, 16. Juli 2012, online veröffentlicht