Die zwei Stühle

 Ein Bild von Reinhard Srb, dazu eine Geschichte von mir.

Die zwei Stühle

c Reinhard SrbBildunterschrift hinzufügen


53 Jahre ist es her, erzählt er mir. In dem wenigen Licht, das durch die Türe ins Presshaus fällt, mustere ich meinen Gesprächspartner mit dem grauen Bart und den ebenso grauen, langen Haaren, die er im Nacken zu einem Zopf gebunden hat. Unmöglich sein Alter zu schätzen.„81 bin ich, falls sie sich gefragt haben“, liest er scheinbar meine Gedanken. „Der letzte echte Köllamaun in der Kellergassn. Obwohl, so echt? Ein Rebell war ich immer, die langen Haare sind das, was davon geblieben ist“, grinst er. Er schenkt nach. Die Gläser sind so voll, ich muss aufpassen, nichts zu verschütten. Grüner Veltliner. Natürlich sein eigener. Der beste weit und breit, sagt er. Ich bin geneigt ihm zu glauben. Und dann erzählt er mir den Rest seiner Geschichte...
Es war eine Sandkastenliebe, so nennt man das wohl. Wir waren eigentlich nie ohne einander. Im selben Dorf aufgewachsen, in die selbe Schule gegangen, immer miteinander unterwegs. Nach der Schule wollte ich was anderes, was „Besseres“. Ich bin in die Großstadt, sie ist mir zuliebe mit, obwohl sie die Stadt nie wollte. Und war natürlich nicht glücklich da. Wir haben uns viel gestritten, Kleinigkeiten, unnötige. Eines Tages hat es so richtig gekracht, sie hat ihre Sachen gepackt. Ich hab ihr noch gesagt, gut, lassen wir es sein, ich will sowieso nach Amerika. Allein. Also bin ich weg und sie ist zurück hierher, in unseren Heimatort. Schnell hat sie einen neuen Freund gehabt. Ich war ein paar Jahre drüben, am anderen Ende der Welt und hab das Glück gejagt. War gar nicht so wenig erfolgreich, das können Sie mir glauben. Nur so richtig glücklich war ich nicht. „Deine Ex heiratet“, hat mir meine Schwester irgendwann geschrieben. Ja eh hab ich mir gedacht, auf was soll sie warten. Ich, ich geh nie wieder zurück, in dieses Kaff. Außerdem kann ich eine bessere haben. Die Bessere hat sich kurz drauf von mir getrennt, weil ich ein arroganter Arsch bin, hat sie mich wissen lassen. Kurz drauf war der Job weg, mit dem ich immer angegeben hab, daheim in Österreich und plötzlich ist mir klar geworden, Das war es doch eh nicht. Und vor 53 Jahren war ich dann wieder zurück, bin bei meinem Vater da im Presshaus gewesen und plötzlich steht sie da. In einem Sommerkleid obwohl es schon Oktober war. Wir haben Sturm direkt vom Fassl getrunken, geredet und gelacht, wie wenn nie was gewesen wäre. Ich hab ihr gesagt, ich werd jetzt doch noch Weinbauer. Sie hat gesagt, es läuft nicht gut in ihrer Ehe.
Da draußen sind wir gesessen, auf den Stühlen, in der Herbstsonne. „Räum sie nicht weg, ich komm nächstes Wochenende wieder“, hat sie mir gesagt, als es dunkel geworden ist. „Bis dahin hab ich mit meinem Mann gesprochen.“ Draußen stehen lassen hab ich sie nicht können, die Stühle. Hier kommt einfach alles weg, was nicht eingesperrt ist. Aber gleich am Freitag hab ich sie wieder hinaus gestellt und gewartet. Am Samstag wieder. Sie ist nicht gekommen. Am Abend haben es dann schon alle gewusst. Ich war wahrscheinlich einer der letzten, die es erfahren haben. Dass ein Auto gefunden wurde, in der Thaya. Was für ein Unglück, haben sie gesagt. So ein junges, verliebtes Paar, haben sie gesagt. Er schweigt lange, schenkt sich nach und erzählt mir was über den Wein. Er scheint mit der Geschichte durch zu sein. Aber die Neugierde hat mich jetzt gepackt. „Und die beiden Stühle“, frag ich. „Achja, die Stühle, das wollten Sie ja eigentlich wissen, warum ich immer zwei vor die Tür stelle, obwohl ich ganz alleine bin.“ Ich hatte ein gutes Leben, ich hab sie dann kennengelernt, meine wunderbare Frau. Wir haben zwei Söhne. Ich wollte ihnen gern die Weinberge vermachen, die Kellerei. Sie wollten nichts davon, also hab ich alles verkauft. Nur den einen, den Grünen Veltliner hab ich mir behalten, damit ich etwas zu tun hab, in der Pension. Meine Frau hat schmunzeln müssen. Du kannst es nicht lassen, hat sie gesagt. Ohne die Kellergasse, das Presshaus und den Wein bist du einfach nicht glücklich.
Und dann kam der Krebs und die Einsamkeit.Es ist mir zur Gewohnheit geworden, jeden Tag komm ich her, öffne die Tür und stell die Stühle hinaus. Für jede Liebe einen.

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