Kommunikationsmittel sind immer auch Machtmittel. Die Erfindung des Buchdrucks hat die Aufklärung möglich gemacht und in deren Folge die bürgerliche Revolution. Das Potential des Radios erkannten ausgerechnet die Nazis als erste, und mit dem Volksempfänger haben sie das technische Medium zum Massenmedium gemacht. Das Fernsehen hat eine zentrale Rolle gespielt im Kalten Krieg, es spielt heute noch eine wichtige Rolle, aber das Internet hat das Fernsehen viel, viel schneller überholt als das Fernsehen seinerzeit das Radio. Dass auch das Internet ein Machtmittel ist, merkt man spätestens, wenn es die, die an der Macht sind, abschalten.
In mehr oder weniger freien Gesellschaften ist das Internet mehr oder weniger frei. Im Gegensatz zu Radio und Fernsehen, für die es bei uns umfangreiche Gesetze und Rechtsprechung gibt, über deren Einhaltung Landesmedienanstalten wachen, erscheint das Internet gesetzlich wenig eingeschränkt. Es hat sich so schnell entwickelt, dass man mit den Gesetzen gar nicht hinterherkam. Diese Freiheit des Internets in Kombination mit Netzneutralität und offenen Standards ist ein hervorragender Nährboden für Innovationen und neue Geschäftsmodelle. Ist doch prima! Was also sollte es politisch zu regeln geben?
Natürlich gibt es eine politische Diskussion. Diese erreicht auch öffentliche Wahrnehmung. Wenn es darum geht, was Google Street View zeigen darf und was Google verpixeln muss. Ein Nebenkriegsschauplatz! Die eigentliche politische Diskussion von Politikern über die Zukunft des Internets findet ohne große Aufmerksamkeit statt. Die einfachste Variante in dieser Diskussion: Der Wettbewerb sorgt dafür, dass immer genügend Bandbreite vorhanden ist, solange genügend Bandbreite vorhanden ist, gibt es keinen Grund die Netzneutralität in Frage zu stellen, solange die Netzneutralität nicht in Frage gestellt ist, bedarf es keiner besonderen gesetzlichen Regelung. Natürlich gibt es immer wieder Versuche, eine marktbeherrschende Stellung auszunutzen. Zum Beispiel wenn alle Mobilfunkanbieter unisono Skype boykotieren, oder wenn das iPhone nur bei einem einzigen Netzbetreiber zu haben ist. Aber gerade diese Fälle hat der Wettbewerb „geregelt“, ohne dass die Regulierungsbehörde eingreifen musste.
So weit, so gut, so unzureichend. Anders als bei den erwähnten Medien Zeitung, Radio, Fernsehen ist der Empfänger im Internet zugleich auch Sender. Anders als bei den erwähnten Medien, kann ein Internet Zugang heute Basis einer wirtschaftlichen Existenz sein. So ist für manche Jobs die E-Mail-Adresse inzwischen wichtiger als die Postadresse. Oder, wie es RM in seinem Kommentar formuliert: „In Zukunft gehört ein ordentlicher Internetzugang noch eher zum „kulturellen“ Existenzminimum als es vor 30 Jahren das Fernsehen war.“ (Siehe Kommentar zum ersten Teil)
Wie die statistischen Daten über den breitbandigen Zugang in Deutschland zeigen, garantiert der Wettbewerb keineswegs eine allgemeine Verbreitung des breitbandigen Zugangs (in Korea zum Beispiel hat das der Staat übernommen). Wie das Beispiel der USA zeigt, verhindert der Wettbewerb nicht die Verletzung der Netzneutralität. Aber selbst wenn es diese Beispiele nicht gäbe, selbst wenn nur das eine der beiden im technischen Teil beschriebenen Szenario zuträfe, dass aufgrund von Cloud Computing, Smartphones, Machine-to-Machine-Kommunikation und 3D-Applikationen das Verkehrsaufkommen im Internet explodiert, dann fällt die Annahme hinreichender Bandbreite weg, dann wird es buchstäblich eng. Dann bedarf es rechtlicher Regeln, wenn nicht einfach das Recht des Stärkeren gelten soll.
Die politischen Statements, sei es der EU Kommission, sei es der Enquete Kommission des Bundestages, seien es die Referate der Regulierungsbehörde, folgen fast alle einem ähnlichen Muster: zunächst wird Netzneutralität postuliert, dann der Wettbewerb beschworen, und danach wird das Türchen zur Internet Klassengesellschaft geöffnet: „Priorisierung von Diensten/Dienstegruppen muss im Rahmen des Netzwerkmanagements möglich sein, um Spitzlast abzufedern und die Sicherheit und Stabilität der Netze sicherzustellen.“ (These 4 der AG Netzneutralität beim letzten IT Gipfel)
Um den Widerspruch zwischen der geforderten Netzneutralität und der gewünschten Aufweichung der Netzneutralität abzufedern, kommen drei Begriffe ins Spiel, die schon die EU Kommission vorgegeben hatte: “Transparenz” “Quality of Service” und “Mindestqualität”. Transparenz bedeutet: im Internet kann ich mir eine Überholspur kaufen. Diese wird als solche aber klar gekennzeichnet. “Weitreichende Transparenz gegenüber Endkunden und Diensteanbietern hinsichtlich Qualitätsklassen und Netzwerkmanagement, sowohl im Moment des Vertragsabschlusses sowie auch im laufenden Vertragsverhältnis” (These 9 der AG Netzneutralität beim IT Gipfel)
“Der Begriff Quality of Service umschreibt Verfahren, die den Datenfluss im Netzwerk so beeinflussen, dass der Dienst mit einer festgelegten Qualität beim Empfänger ankommt. Die Qualität kann zum Beispiel in Bezug auf die Verzögerungen, mit der die Datenpakete beim Empfänger eintreffen, die Varianzen der Laufzeit von Datenpaketen und Paketverluste definiert werden.” (Expertenkommission Forschung und Innovation, EFI, Gutachten 2011, Seite 67)
Mindestqualität wiederum bedeutet, dass, auch wenn Überholspuren angeboten werden, das gute alte Best Effort Internet nicht einfach ausgetrocknet werden darf, sondern mit einer Mindestqualität weiter betrieben werden muss.
Ein Zwischenfazit: Von einem “Grundrecht auf Internet” sind wir ebensoweit entfernt wie von einem flächendeckenden breitbandigen Zugang zum Netz. Wird der Enquete Kommission dazu etwas einfallen? Es ist auf jeden Fall ein genuin politisches Thema. In Sachen Netzneutralität aber reagiert die Politik auf wirtschaftliche Interessen. Diese berühren die innovative Eigenschaft des guten alten Best Effort Internets.
“Genau diese Eigenschaften sind akut gefährdet, wenn Netzbetreibern uneingeschränkt erlaubt wird, Anwendungen, Dienste oder Inhalte zu blockieren, diese unterschiedlich zu behandeln oder Zugangsgebühren für Anwendungen einzuführen. Sollten Inhalteanbieter zum Beispiel erst die Netzbetreiber fragen und mit diesen Preisverhandlungen über ihre Anwendungen führen müssen, würden zwei zentrale Stärken des Internets verloren gehen: Zum einen die Möglichkeit, Innovationen ohne große Investitionen schaffen zu können und zum anderen die Freiheit, neue Anwendungen auf den Markt zu bringen, ohne um Erlaubnis fragen zu müssen. Die neutrale Infrastruktur hat sich hier als exzellentes Experimentierfeld für neue Ideen erwiesen. Durch die großflächige Einführung diskriminierender Preisdifferenzierung, Zugangsgebühren und Marktallianzen von Netzbetreibern mit dominanten Anwendungsanbietern droht die Offenheit des Netzes verloren zu gehen. Ebenso wären die Zeiten des einfachen Markteintritts unwiderruflich vorbei. Alles in allem würde sich damit das Klima für digitale Innovationen insgesamt verschlechtern…” (Noch einmal EFI 2011, Seite 69)
Erst die Betrachtung der wirtschaftlichen Interessen macht das Bild komplett. Darum: Fortsetzung folgt!