Wie Gewalt Gewalt gebiert, lässt sich an der Wirklichkeit gut erkennen. Das heißt, wenn man davon abgeht, hinter dem jeweils aktuellen Terroranschlag nichts weiter als einen Einbruch ins westliche Idyll zu wittern. Der IS ist nicht einfach so auf der Bildfläche erschienen. Er ist das Produkt eines Machtvakuums, das die Amerikaner mit ihren Einsätzen im Irak und in Afghanistan rissen. Das wiederum geschah als Rache nach den Anschlägen auf das World Trade Center, die von einer Terrorbande verübt wurden, deren Chef ein Geschöpf war, das aus dem Kalten Krieg stammte und vom Geheimdienst finanziert wurde. Ein anderes dieser Geschöpfe wurde irakischer Diktator – bis er nicht mehr gebraucht wurde. Man kann die Anschläge von Paris also mindestens bis in jene Zeit zurückverfolgen, da die Vereinigten Staaten ihre Interessen am Hindukusch gegen die Sowjets verteidigten. Es eskalierte seither immer weiter.
Und es wird immer weitereskalieren. Immer brutaler werden. Jetzt bombardieren sie wahllos Stellungen auf dem Territorium, das diese Fanatiker besetzt halten. Dabei sterben Unschuldige. Natürlich auch Kinder. Man wird den Drohneneinsatz forcieren. Auch bei diesem angeblich so zielgenauen Instrument gab es schon unschuldige Opfer. Und was wird geschehen? Erzeugt das Einsicht? Werden die Radikalen Abbitte leisten und es sein lassen? Nein, sie werden es wieder tun. Dann erst recht. Unter Beifall weniger radikaler Muslime, die dann immer mehr finden, dass man sich ja wehren müsse.
Der nächste Anschlag wird kommen. Und es ist ziemlich egal, welche Maßnahmen man ergreifen wird, um dies zu verhindern. Wer mit Todessehnsucht ein Himmelfahrtskommando antritt, der lässt sich nicht aufhalten. Irgendeinen Weg gibt es immer. Was werden »wir« dann tun, nachdem wir neuerlich Anteilnahme und Mitgefühl in die sozialen Netzwerke gepostet haben? Wir werden noch mehr Bombardements anordnen, mehr Drohnen bestellen und das Kriegshandwerk vom Schaltpult aus praktizieren. Wieder werden alte Männer auf Marktplätzen sterben, wieder Kinder ohne Eltern dastehen - oder Eltern ohne Kinder. Die Radikalen werden Zulauf erhalten und sie werden den nächsten Terrorakt in Paris, Brüssel, Washington oder Berlin bejubeln.
»Jetzt ist es Hass! Und morgen?«, titelte vor einigen Wochen die »Zeit«. Sie meinte damit das Verhältnis von Abendlandsern gegenüber Flüchtlingen. Man könnte den Aufmacher durchaus als Leitmotiv des Verhältnisses zwischen Westen und islamischer Welt heranziehen. Der Hass wächst auf allen Seiten. Hier schießen sie Leute in Konzertsälen tot; dort fallen Todbringer vom Himmel auf Krankenhausdächer. Was soll dabei herauskommen? Nichts als Verbitterung und Wut, nichts als Hass und Abneigung bis aufs Blut. Heute ist es noch der Hass. Und morgen?
Wenn man die Spirale der Gewalt mal überdreht hat, dann ist mit moralisch einwandfreien Lösungen eigentlich nicht mehr zu rechnen. Wie soll der Westen nun auf das, was sich Islamischer Staat nennt, reagieren? Intervention führt zu Hass, Bodentruppen zu Krieg – nichts zu tun bedeutet, dass man die dortige Zivilbevölkerung ihren Häschern übergibt, vor allem dann, wenn man parallel dazu die Grenzen für Flüchtlinge schließt. Wahrscheinlich gibt es kein Entrinnen. Wir können nur noch Ergebniskorrektur betreiben, versuchen den gegenseitigen Hass zu kanalisieren, damit nichts noch Schlimmeres daraus erwächst. Aber dazu muss die Kette der Gewalt gesprengt werden. Einer muss damit beginnen. Aber keine Seite wird es tun. Wenn wir aus dieser Geschichte als Menschheit noch irgendwie würdevoll herauskommen wollen, dann nur durch die daraus gezogene Lehre, dass man künftig eben nicht mehr immer noch etwas draufsetzen muss, dass man erlittene Gewalt eben nicht wiedergutmacht, indem man selbst den Todesengel spielt.
Es war vielleicht mal Normalität, dass Interventionen des Westens in bestimmten fernen Weltregionen ohne unmittelbare Folgen blieben. Die Vietnamesen hatten nicht die Mittel, sich über dem Pazifik zu revanchieren. Die Zeiten sind spätestens seit den Neunzigern vorbei. Es kommt auf »uns« zurück. Das muss der Westen aus dieser ekelhaften Situation, in der wir uns aktuell befinden, als Erkenntnis herausfiltern. Westliche Politiker sagen nach solchen Anschlägen ja oft, dass wir uns »unsere Art zu leben« nicht vermiesen lassen dürfen. »Charlie Hebdo« malte dazu ein passendes Cover. Es zeigt einen durchsiebten Franzosen, der trotzdem Champagner trinkt und dem das perlige Gesöff aus den Einschusslöchern plätschert. Das karikiert tatsächlich unsere Haltung. Aber Leute, die Party ist vorbei, die Welt gehört nicht mehr den Konzernen der Industrienationen und den Militärstrategen des Westens. Man folgt einer antiquierten Weltauffassung, wenn man meint, es könne so konsequenzlos weitergehen. Es ist nicht mehr möglich, überall Büchsen der Pandora zu öffnen, Geister zu rufen und dann zu hoffen, dass alles weiterhin gut geht.
Wenn heute afrikanisches Gemüse in Dakar teurer ist als europäisches Gemüse, weil ein Freihandelsabkommen Schutzzölle verbietet, dann kommt das auf uns zurück. Entweder in Form von Menschen, die aus ihrem Elend in den Teil der Erde flüchten wollen, in dem sie sich mehr ausrechnen. Oder eben, weil sich welche radikalisieren und genug haben von diesem Kolonialismus 2.0 und seinen Folgen. Drohneneinsätze stärken nicht das Vertrauen in das, was man hier in Sonntagsreden »westliche Werte« nennt – sie bringen Tod und es klingt zynisch für jemanden, der etwas von westlichen Werten hört und dabei das Foto seiner Schwester im Blick hat, die versehentlich bei einem solchen Manöver in Stücke gerissen wurde.
Die Zeiten des Champagners, um mit »Charlie Hebdo« zu sprechen, sind endgültig vorbei. Diese Einsicht ist notwendig, um die Spirale der Gewalt zu durchbrechen. Man kann nicht annehmen, dass man dann eine friedliche Koexistenz mit dem IS finden wird. Wie gesagt, man hat die Spirale überdreht. So weit, dass man moralisch nicht mehr rausfinden wird. Jeder Lösungsansatz wird unmoralische Aspekte bergen. Diese Radikalen sind ja auch sicher keine Diplomaten. Jetzt bleibt nur, so glimpflich wie möglich aus der Sache zu kommen. Aber das geht nur mit einem Kurswechsel. Der Atlantizismus hat über seinen Verhältnissen gelebt. Erlebte zu lange keine Gegenwehr. Wie wäre es zur Abwechslung mit Respekt gegenüber Völkern, die sich nicht dem westliche Modell unterworfen haben? Sich die Erde untertan machen war eine nette Parole, als es noch Schwerter gab. Selbst im Zeitalter von Schusswaffen war es noch möglich. Aber die globalisierte Welt, die ja sprichwörtlich immer enger zusammenrückt, rückt auch alles, was in der Welt geschieht und was von »uns« getan wird und Folgen zeitigt, näher an uns heran.
Dieses Spiel ist aus. Wir brauchen einen neuen globalen modus vivendi. Keine Rachepolitik, keine neue Gewalt, keine noch bessere Drohnengeneration oder fleißige Bomberpiloten. Nichts was mit dem IS dann geschehen mag - ob Intervention oder Heraushalten -, wird hohen moralischen Ansprüchen genügen. Aber man könnte daraus lernen, dass sich Eskalation nie mehr wiederholen darf. Wenn es denn überhaupt Interesse bei den Eliten gibt, dem Hass etwas entgegenzusetzen, was nicht auch Hass ist. Und exakt da, so kann man meinen, scheitert das hier geäußerte Ansinnen.
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Und es wird immer weitereskalieren. Immer brutaler werden. Jetzt bombardieren sie wahllos Stellungen auf dem Territorium, das diese Fanatiker besetzt halten. Dabei sterben Unschuldige. Natürlich auch Kinder. Man wird den Drohneneinsatz forcieren. Auch bei diesem angeblich so zielgenauen Instrument gab es schon unschuldige Opfer. Und was wird geschehen? Erzeugt das Einsicht? Werden die Radikalen Abbitte leisten und es sein lassen? Nein, sie werden es wieder tun. Dann erst recht. Unter Beifall weniger radikaler Muslime, die dann immer mehr finden, dass man sich ja wehren müsse.
Der nächste Anschlag wird kommen. Und es ist ziemlich egal, welche Maßnahmen man ergreifen wird, um dies zu verhindern. Wer mit Todessehnsucht ein Himmelfahrtskommando antritt, der lässt sich nicht aufhalten. Irgendeinen Weg gibt es immer. Was werden »wir« dann tun, nachdem wir neuerlich Anteilnahme und Mitgefühl in die sozialen Netzwerke gepostet haben? Wir werden noch mehr Bombardements anordnen, mehr Drohnen bestellen und das Kriegshandwerk vom Schaltpult aus praktizieren. Wieder werden alte Männer auf Marktplätzen sterben, wieder Kinder ohne Eltern dastehen - oder Eltern ohne Kinder. Die Radikalen werden Zulauf erhalten und sie werden den nächsten Terrorakt in Paris, Brüssel, Washington oder Berlin bejubeln.
»Jetzt ist es Hass! Und morgen?«, titelte vor einigen Wochen die »Zeit«. Sie meinte damit das Verhältnis von Abendlandsern gegenüber Flüchtlingen. Man könnte den Aufmacher durchaus als Leitmotiv des Verhältnisses zwischen Westen und islamischer Welt heranziehen. Der Hass wächst auf allen Seiten. Hier schießen sie Leute in Konzertsälen tot; dort fallen Todbringer vom Himmel auf Krankenhausdächer. Was soll dabei herauskommen? Nichts als Verbitterung und Wut, nichts als Hass und Abneigung bis aufs Blut. Heute ist es noch der Hass. Und morgen?
Wenn man die Spirale der Gewalt mal überdreht hat, dann ist mit moralisch einwandfreien Lösungen eigentlich nicht mehr zu rechnen. Wie soll der Westen nun auf das, was sich Islamischer Staat nennt, reagieren? Intervention führt zu Hass, Bodentruppen zu Krieg – nichts zu tun bedeutet, dass man die dortige Zivilbevölkerung ihren Häschern übergibt, vor allem dann, wenn man parallel dazu die Grenzen für Flüchtlinge schließt. Wahrscheinlich gibt es kein Entrinnen. Wir können nur noch Ergebniskorrektur betreiben, versuchen den gegenseitigen Hass zu kanalisieren, damit nichts noch Schlimmeres daraus erwächst. Aber dazu muss die Kette der Gewalt gesprengt werden. Einer muss damit beginnen. Aber keine Seite wird es tun. Wenn wir aus dieser Geschichte als Menschheit noch irgendwie würdevoll herauskommen wollen, dann nur durch die daraus gezogene Lehre, dass man künftig eben nicht mehr immer noch etwas draufsetzen muss, dass man erlittene Gewalt eben nicht wiedergutmacht, indem man selbst den Todesengel spielt.
Es war vielleicht mal Normalität, dass Interventionen des Westens in bestimmten fernen Weltregionen ohne unmittelbare Folgen blieben. Die Vietnamesen hatten nicht die Mittel, sich über dem Pazifik zu revanchieren. Die Zeiten sind spätestens seit den Neunzigern vorbei. Es kommt auf »uns« zurück. Das muss der Westen aus dieser ekelhaften Situation, in der wir uns aktuell befinden, als Erkenntnis herausfiltern. Westliche Politiker sagen nach solchen Anschlägen ja oft, dass wir uns »unsere Art zu leben« nicht vermiesen lassen dürfen. »Charlie Hebdo« malte dazu ein passendes Cover. Es zeigt einen durchsiebten Franzosen, der trotzdem Champagner trinkt und dem das perlige Gesöff aus den Einschusslöchern plätschert. Das karikiert tatsächlich unsere Haltung. Aber Leute, die Party ist vorbei, die Welt gehört nicht mehr den Konzernen der Industrienationen und den Militärstrategen des Westens. Man folgt einer antiquierten Weltauffassung, wenn man meint, es könne so konsequenzlos weitergehen. Es ist nicht mehr möglich, überall Büchsen der Pandora zu öffnen, Geister zu rufen und dann zu hoffen, dass alles weiterhin gut geht.
Wenn heute afrikanisches Gemüse in Dakar teurer ist als europäisches Gemüse, weil ein Freihandelsabkommen Schutzzölle verbietet, dann kommt das auf uns zurück. Entweder in Form von Menschen, die aus ihrem Elend in den Teil der Erde flüchten wollen, in dem sie sich mehr ausrechnen. Oder eben, weil sich welche radikalisieren und genug haben von diesem Kolonialismus 2.0 und seinen Folgen. Drohneneinsätze stärken nicht das Vertrauen in das, was man hier in Sonntagsreden »westliche Werte« nennt – sie bringen Tod und es klingt zynisch für jemanden, der etwas von westlichen Werten hört und dabei das Foto seiner Schwester im Blick hat, die versehentlich bei einem solchen Manöver in Stücke gerissen wurde.
Die Zeiten des Champagners, um mit »Charlie Hebdo« zu sprechen, sind endgültig vorbei. Diese Einsicht ist notwendig, um die Spirale der Gewalt zu durchbrechen. Man kann nicht annehmen, dass man dann eine friedliche Koexistenz mit dem IS finden wird. Wie gesagt, man hat die Spirale überdreht. So weit, dass man moralisch nicht mehr rausfinden wird. Jeder Lösungsansatz wird unmoralische Aspekte bergen. Diese Radikalen sind ja auch sicher keine Diplomaten. Jetzt bleibt nur, so glimpflich wie möglich aus der Sache zu kommen. Aber das geht nur mit einem Kurswechsel. Der Atlantizismus hat über seinen Verhältnissen gelebt. Erlebte zu lange keine Gegenwehr. Wie wäre es zur Abwechslung mit Respekt gegenüber Völkern, die sich nicht dem westliche Modell unterworfen haben? Sich die Erde untertan machen war eine nette Parole, als es noch Schwerter gab. Selbst im Zeitalter von Schusswaffen war es noch möglich. Aber die globalisierte Welt, die ja sprichwörtlich immer enger zusammenrückt, rückt auch alles, was in der Welt geschieht und was von »uns« getan wird und Folgen zeitigt, näher an uns heran.
Dieses Spiel ist aus. Wir brauchen einen neuen globalen modus vivendi. Keine Rachepolitik, keine neue Gewalt, keine noch bessere Drohnengeneration oder fleißige Bomberpiloten. Nichts was mit dem IS dann geschehen mag - ob Intervention oder Heraushalten -, wird hohen moralischen Ansprüchen genügen. Aber man könnte daraus lernen, dass sich Eskalation nie mehr wiederholen darf. Wenn es denn überhaupt Interesse bei den Eliten gibt, dem Hass etwas entgegenzusetzen, was nicht auch Hass ist. Und exakt da, so kann man meinen, scheitert das hier geäußerte Ansinnen.
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