“Die Zeit” gegen “Die Anstalt”: Beschämendes Ende des Qualitätsjournalismus

Es wird wieder einmal Zeit, mich für den Berufsstand zu schämen, dem ich Gott lob nur im Ehrenamt und aus idealistischen Gründen angehöre, für den Journalismus nämlich. Das unwürdige und bedrückende Theater, das sich das ZDF und die Wochenzeitung “Die Zeit” vor Gericht liefern macht deutlich, das der Qualitätsjournalismus in den Leitmedien zur Farce verkommen ist. Mit Wonne schlachten Kabarettisten und Satiriker das Drama aus, und ich versuche verzweifelt, nicht zu verzweifeln.

Ich eigne mich nicht zum Satiriker, aber ich möchte mich der Meinung von Max Uthoff und Claus von Wagner anschließen. Sie behaupten, der Journalismus werde heute von den Satirikern gemacht, während die Medien zur Realsatire verkämen. Und bitte nageln Sie mich jetzt nicht auf das wörtliche Zitat fest, es war eine Zusammenfassung mit eigenem Kommentar. Heute muss man so etwas ja schon dazu schreiben. Wovon ich eigentlich rede, möchten Sie endlich wissen? Also schön: Ich erzähl es Ihnen, deshalb bin ich ja schließlich hier.

In der ZDF-Satiresendung “Die Anstalt” vom 29. April 2014 ging es um die Frage, ob deutsche Medien über den Ukrainekonflikt einseitig berichten oder nicht. Die ARD-Korrespondentin Gabriele Krone-Schmalz erklärte zum Beispiel öffentlich, die deutschen Medien hätten erkennen und verkünden müssen, dass das Assoziierungsabkommen der Ukraine mit der EU das Land zerreiße. Warum berichteten also deutsche Journalisten nicht davon? Die Kabarettisten Max Uthoff und Claus von Wagner, die “Die Anstalt” seit Beginn des Jahres mit frischem Wind moderieren, zeigten anhand eines Schaubildes die vielfältigen Verbindungen deutscher Spitzenjournalisten mit Organisationen und Institutionen auf, die sich für eine stärkere westliche Rüstung und mehr militärische Konfliktlösung einsetzen, überspitzt gesagt. Jochen Bittner, Qualitätsjournalist der Wochenzeitung “Die Zeit”, sei Mitglied im German Marshall Fund, der zum Beispiel die Rede von Bundespräsident Gauck auf der münchner Sicherheitskonferenz mit geschrieben habe. In dieser Rede hatte der Bundespräsident sich für mehr sicherheitspolitische Verantwortung Deutschlands eingesetzt, auch durch Teilnahme an Militäraktionen. Der Zeit-Herausgeber Josef Joffe sei Mitglied in gleich 8 Organisationen dieser Art. Hier liege ein Interessenkonflikt vor, meinten die Kabarettisten.

Anstatt die Schelte einzustecken, die sie verdient hatten, zogen Joffe und Bittner gegen “Die Anstalt” vor Gericht und bekamen erstinstanzlich auch noch recht. Zum Beispiel mit der Behauptung Bittners, er sei nicht Mitglied im German Marshall Fund, sondern “Participant”, also Teilnehmer. Das stimmt, denn Mitglieder hat der Fund überhaupt nicht. Inhaltlich ändert sich daddurch jedoch nichts. Auch Josef Joffe wendet sich gegen sogenannte Tatsachenbehauptungen, in welchen Organisationen in welchen Städten er Mitglied, Beirat, Vorstand, berater oder in anderer Form beteiligt sei. Und wie gesagt, das Gericht gab den Zeit-Redakteuren recht. Dabei legten sie offenbar an eine Satire mindestens ebenso hohe Maßstäbe an wie an einen gut recherchierten Bericht der Leitmedien des Qualitätsjournalismus. Die Kernaussage, und die ist hier einzig interessant, können die Kläger nicht bestreiten: Sie machen sich in ihrer Berichterstattung mit den Wirtschaftsinteressen der Rüstungslobby gemein! Das allein zählt.

Ich beobachte seit Jahren, dass Kabarettisten wie Georg Schramm, Volker Pispers, Hagen Rether und viele Andere versuchen, den Menschen die Gegenwart, die Politik und den Kapitalismus zu erklären. Dabei lassen sie zwar mal eine überspitzte und humorvolle Bemerkung fallen, und sie vereinfachen manchmal vielleicht etwas, zumindest wenn man ihre Aussagen durch die Brille eines
Wirtschaftswissenschaftlers sieht. Doch eigentlich vermitteln sie nur recherchierte und unbestrittene Fakten, setzen sie in den richtigen Zusammenhang und berichten über Dinge, die der Qualitätsjournalismus außenvor lässt, weil es nicht ins aktuelle Bild passt. Wer heute versucht, den Ukraine-Konflikt von allen Seiten zu betrachten, wird von Politik und Medien als gefährlicher Putinversteher gebrandmarkt. Was soll man dann noch sagen, wenn der Stempel schon aufgedrückt wird, noch bevor man sagen kann, dass man das Regime Wladimir Putins für despotisch und grausam hält, dass das aber bei der zu behandelnden Frage eben nur ein Aspekt der Angelegenheit ist? Die Medien berichten heute über viele Konflikte einseitig, weil das Geld bringt. Geld durch Werbeeinnahmen, Geld durch eine gute Verkaufsquote bei der dramatischen Darstellung von Konflikten. Und es ist immer gut, wenn man einen hat, dem man die Schuld geben kann. Je einfacher man die Verhältnisse darstellen kann, desto besser.

Müssen also Satiriker und Kabarettisten den Qualitätsjournalismus machen, während die früheren Qualitätsmedien zu Lobbypamphleten verkommen? Wir brauchen qualitativ hochwertigen Journalismus, sonst können wir die Flut der auf uns einstürmenden Informationen nicht bewältigen, sonst können die meisten von uns kein klares Bild einer internationalen Krise, eines nationalen Ereignisses oder der Haushaltslage in der eigenen Kommune bekommen. Wir brauchen unabhängigen, unaufgeregten Journalismus, der sich selbst zurücknimmt und die dienende Funktion erfüllt, die ihm gegeben ist und in der er glänzen kann, die Funktion der Aufarbeitung und der Vermittlung von Nachrichten. Daneben ist selbstverständlich auch der kommentierende Journalismus gefragt, der unterschiedliche Meinungen präsentiert. Ohne die Qualitätsmedien aber ist ein wertender Journalismus nicht denkbar.

Welches Blatt, welche Onlinezeitung kann man also noch lesen und sich einigermaßen darauf verlassen, dass dieses Medium mehr informiert als verdreht, mehr darstellt als bewertet? Oder muss man dazu “Die Anstalt” oder ihr Pendant “Mitternachtsspitzen” in der ARD hören und sehen? Wir sind weit gegangen und auf den Hund gekommen. Der Journalismus hat seinen Idealismus verloren, und vor Gericht wird nun ausgefochten, ob Satiriker die Wahrheit sagen dürfen, auch wenn sie statt “Teilnehmer” das Wort “Mitglied” verwenden.

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Jens Bertrams Jens Bertrams

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