Die Zahnfee-Krise

Von Beautifulvenditti

Gestern Abend, kurz vor zehn Uhr, Luise kommt zu mir in die Küche: “Mama, der Zoowärter hat einen Zahn verloren und ihn unter sein Kopfkissen gelegt, damit die Zahnfee ihn holen kommt. Du musst ihm unbedingt ein kleines Geschenk unters Kissen legen.”

Ich: “Warum soll ich jetzt plötzlich die Zahnfee spielen? Das habe ich bei euch doch auch nie gemacht.”

Luise: “Wenn du wüsstest, wie sehr ich immer gehofft habe, die Zahnfee würde kommen…”

Ich: “Du armes Kind! Warum hast du mir nichts davon gesagt? Nicht im Traum wäre ich auf die Idee gekommen, dass du an die Zahnfee glaubst. Woher auch? Ich habe euch diesen Bären ja nicht aufgebunden. Es tut mir ganz schrecklich leid…”

Luise (unterbricht mich): “Ist schon okay, Mama. Aber der Zoowärter muss unbedingt etwas bekommen. Er wünscht es sich doch so sehr. Stell dir vor, wie traurig er sein wird, wenn morgen der Zahn noch immer unter dem Kissen liegt.” (Irre ich mich, oder schwingt in Luises Stimme ein Hauch von bitterer Erfahrung mit?)

Ich: “Na gut, dann leg ihm eben dieses Fläschchen Fruchtnektar unters Kopfkissen.”

Heute Morgen am Frühstückstisch. Der Zoowärter streckt mir freudestrahlend den Fruchtnektar entgegen: “Sie mal, Mama, die Zahnfee war bei mir!”

Karlsson: “Die Zahnfee war hier? Zu mir ist die nicht ein einziges Mal gekommen und dabei habe ich mir das immer so sehr gewünscht.”

Ich: “Aber Karlsson, warum hast du mir das denn nie gesagt?”

Karlsson: “Abend für Abend habe ich meine ausgefallenen Zähne unter mein Kopfkissen gelegt und Morgen für Morgen war ich enttäuscht, weil kein Geschenk unter dem Kopfkissen lag…”

Zoowärter: “Aber zu mir ist sie gekommen!”

FeuerwehrRitterRömerPirat: “Zu mir ist sie nur ein einziges Mal gekommen. Sie hat mir Smarties gebracht.”

Karlsson: “Und zu mir nicht ein einziges Mal. Bei den Kleinen macht man plötzlich Dinge, an die bei mir keiner gedacht hat.”

Ich: “Ich hätte überhaupt nichts gemacht, wenn Luise mich nicht bestürmt hätte.”

Karlsson: “Es ist trotzdem unfair.”

Ich: “Natürlich ist es das und es tut mir auch ganz schrecklich leid, aber ich wusste doch gar nicht, dass du an die Zahnfee glaubst. Glaub mir, hätte ich gewusst, wie sehr du dir das wünschst, ich hätte dir sofort etwas unters Kopfkissen gelegt. Es tut mir wirklich von Herzen leid. Aber ich habe euch doch immerhin sonst mal die eine oder andere Überraschung geboten…”

Karlsson: “Ja schon, aber die Zahnfee ist halt trotzdem nie gekommen…”

Irgendwann verlief das Gespräch im Sande und ich blieb alleine mit meinem schlechten Gewissen in der Küche zurück. Kein Zweifel, in Sachen Zahnfee habe ich komplett versagt, weil es mir nicht im Traum in den Sinn gekommen wäre, diesen mir vollkommen fremden Brauch zu pflegen. Und das Dümmste an der Sache ist: Ich kann es nicht wieder gut machen, indem ich bei den Kleinen nachhole, was ich bei den Grossen verpasst habe, ohne die Grossen vor den Kopf zu stossen. Die Zahnfee weiterhin ignorieren geht wohl auch nicht mehr, denn nach der heutigen Krise weiss auch das Prinzchen, was Kinder zu erwarten haben, wenn sie ihre Milchzähne verlieren. Mir bleibt also gar nichts anderes übrig, als auf diesem Gebiet weitere Fehler zu begehen.

Blöde Zahnfee.

Und zu mir ist sie auch nie gekommen. Nicht ein einziges Mal.