Erst wenige Wochen zuvor durfte Pregartner als erster und einziger das Gsellmannsche Ungetüm sehen, das in dieser Nacht 1968 sämtliche Stromleitungen lahmlegte. Der Landwirt Gsellmann hatte da bereits acht Jahre geschraubt und getüftelt und "gemurckst", wie er selbst es nannte. Er war nach Graz und Wien gefahren, mit großen leeren Taschen und einem noch größeren leeren Rucksack, und war bepackt wie ein Landstreicher zurückgekommen mit allerlei Schrott und Kuriositäten von Flohmärkten und Alteisenhändlern.
Auf seinem klapprigen Fahrrad schob Franz Gsellmann die Ausbeute durch die Oststeiermark bergauf, bergab zu sich nach Kaag. Darunter: ein Christbaumständer, eine holländische Mini-Windmühle, eine Spielzeug-Raumkapsel nebst vier Raumfahrern, ein Porzellan-Adler, eine Trockenhaube, fünf Kruzifixe, fünf Zündkerzen, sieben Lichtmaschinen, 18 Ventilatoren, 20 Keilriemen, je 25 Motoren und Hula-Hoop-Reifen, 64 Vogelpfeifen, 200 Glühlampen und nicht weniger als 242 Silberschrauben.
"Ein Zufallsgenerator, der Selbstmord begangen hat"
Niemand durfte einen Blick in seine Taschen werfen, nicht einmal seine Frau. Die Tür zur Kammer, in der sein Werk entstand, blieb acht Jahre lang für jeden neugierigen Blick verschlossen. Dort verschraubte und verdrahtete Franz Gsellmann all den Schrott, die Fundstücke und kleinen Schätze, die er gesammelt hatte, zu einem phantastischen Ganzen, verschweißte Spulen und Zahnräder - und schloss das Monster von einer Maschine schließlich an den Strom an.
Was Franz Gsellmann errichtet hatte, spottet jedem Versuch der Beschreibung. Der österreichische Schriftsteller Gerhard Roth nannte es einen "Zufallsgenerator, der Selbstmord begangen hat", die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" ein "buntes Allerlei" und ein "Kuriosum", die "Sächsische Zeitung" beschrieb es schlicht als "Gebilde", und die "Süddeutsche Zeitung" erkannte in dem Werk eine "wundersame Kreation". Ein Kärtner Landeshauptmann hat ihr schließlich ihren Namen gegeben: Gsellmanns Weltmaschine.
Zwölf Schalter sind nötig, um sie in Gang zu bekommen. Dann beginnen grüne, blaue und rote Räder und Reifen sich zu drehen, manche senkrecht, manche waagrecht. Die einen langsam, die anderen so schnell, dass die einzelnen Speichen vor dem Auge verschwimmen. Es quietscht, pfeift und schreit. Es klappert, knarzt und summt. Hunderte Lämpchen blinken, blau, rot und gelb; es jahrmarktet; es kitscht; es spielzeugautomatet; es weihnachtsleuchtet. Auf sechs Metern Länge, drei Metern Höhe und zwei Metern Breite. Mittendrin rotiert ein Mini-Atomium aus Brüssel, leidet ein Christus am goldenen Kreuz, strahlt eine gläserne Marienstatue, umkränzt von roten Plastikrosen mit je einer Glühbirne als leuchtender Knospe. Kunst? Ein Altar? Oder etwas ganz anderes?
Was das ganze nun darstellen sollte, darüber verlor Franz Gsellmann nie ein Wort. Kunst? Technik in Reinform? Der österreichische Lyriker Alfred Kolleritsch, der den Erfinder der Weltmaschine zu Hause besucht hatte, meinte: "Der Alte hatte vor allem Lust an der Bewegung und an metaphysischen Reden, seinen Gott wollte er immer preisen." Der Fotograf Franz Killmeyer besuchte Gsellmann mehrmals auf seinem Hof und begleitete ihn einmal sogar sechs Wochen lang durch seinen Alltag. Killmeyer sagte: "Er begründete sein Tun immer mit der Bemerkung: 'Gott hat mir die Gabe gegeben.'" Ist die Maschine also eigentlich ein Altar? Wir wissen es nicht. Gsellmann hat bis zuletzt darüber geschwiegen.
Er war 1910 als einfacher Bauerssohn geboren worden, und als einfacher Bauer sollte er 1981 auch sterben. Verspottet von den Bewohnern der umliegenden Dörfer, unverstanden von so manchem Besucher, ignoriert von der eigenen Familie, einsam inmitten der Menschen. Wäre es nach ihm gegangen, dann hätte er die Schule länger als bis zum 14. Lebensjahr besucht. Dann hätte er den väterlichen Hof nicht übernommen und wäre stattdessen Elektriker geworden oder Ingenieur, vielleicht auch Uhrmacher oder Mechaniker. Aber sein Vater hatte andere Pläne mit ihm, und so plackte sich der kleine Mann, dem sein Sonntagsjacket stets zwei Nummern zu groß war und die Hose zu lang, auf den Feldern und heiratete schließlich die Magd Mathilde.
Aber dann kam das Jahr 1958, und die erste Expo seit Ende des Weltkrieges eröffnete in Brüssel. Ihr Wahrzeichen, das Atomium, schaffte es bis auf die Seiten der Obersteirischen Lokalzeitung - Gsellmann war sofort fasziniert von dem gigantischen Bauwerk. Der Bauer fackelte nicht lange und fuhr nach Brüssel. Drei Tage dauerte die Bahnfahrt damals, und als der 48-jährige Landwirt aus dem österreichischen Dorf vor der über hundert Meter hohen Alu-Kugel-Konstruktion stand, da wusste er: Das war es, wonach er immer gesucht hatte.
Zurück aus Brüssel baute Gsellmann ein Mini-Atomium, das sich bis heute als Herz im Zentrum der Weltmaschine so schnell um die eigene Achse dreht, als wolle es jeden Augenblick wie ein Hubschrauber abheben. Franz Gsellmann sei ein Eigenbrötler gewesen, schreibt Klaus Ferentschik, der den biografischen "Weltmaschinenroman" über Gsellmanns Leben verfasst hat. Doch als er mit dem Bau seiner Wundermaschine begann, da habe er sich noch weiter zurückgezogen. Stundenlang schloss sich Gsellmann von nun an in der Kammer ein, die Fenster des kleinen Raumes verhängte er mit dichtem Stoff, und niemandem, nicht einmal seiner Frau, gestattete er einen Blick auf seine Maschine, oder erklärte, warum er mitten am Tag die Arbeit auf dem Feld abbrach und in seine Kammer eilte. Stets blieb die Türe verschlossen, und Gsellmann investierte Monat für Monat das wenige Geld, das der Familie zum Leben blieb, in den Kauf von Schrott.
Das war weder seiner Frau Mathilde noch seinem Sohn oder seiner Schwiegertochter zu vermitteln, und das wusste Gsellmann. Denn seine Maschine war nichts weiter als Maschine. Sie ratterte und knarzte ganz vorzüglich industriell, aber sie produzierte nichts. Mathilde Gsellmann sagte, ihr Mann "glaubte an ein Eigenleben der Maschine". Irgendwann werde sie schon irgendetwas erschaffen. Über Nacht, und Gsellmann würde eines schönen Tages die Tür zu seinem Schuppen aufschließen, und da sei es, das Produkt: "Vielleicht würde sie von ganz alleine etwas herstellen, ohne sein Zutun, so wie seine Hühner über Nacht Eier legten, die nur noch eingesammelt werden mussten", schreibt Ferentschik.
Als Franz Gsellmann es nach seiner ersten Fehlzündung im Jahr 1968 endlich doch geschafft hatte, die Maschine an das Stromnetz der Oststeiermark anzuschließen, traute er sich schließlich, sie seiner Familie zu zeigen. Die wusste - wie nicht anders zu erwarten - nichts mit dem ratternden und quietschenden und blinkenden Ungeheuer anzufangen. Laut Klaus Ferentschik drohten die Familienmitglieder gar damit, "die Maschine zu zerstören" und Gsellmann "aus dem Haus schmeißen, sobald er sich nicht mehr dagegen wehren könne".
Größter Touristenmagnet der Region
Und vielleicht wäre Franz Gsellmann auch in dem Dreibettzimmer eines Pflegeheims gestorben und nicht im breiten Ehebett mit dem blumig gemusterten Überwurf, wenn die Gerüchteküchen von Kaag und Edelsbach nicht gehörig gebrodelt und Gsellmann zu Ruhm verholfen hätten. Bald lauschten Oststeiermärker Tal auf, Tal ab verwundert den Erzählungen darüber, was es da auf dem Gsellmannschen Hof zu bestaunen und verspotten gab. Und 1972 erreichten die Geschichten auch die Redaktion des Lokalblattes "Kleine Zeitung".
Der erste Artikel über die Weltmaschine erschien am 2. Juli 1972 unter dem Titel "Die nutzlose Wundermaschine" , 1973 folgte eine Fernsehdokumentation, 1980 ein Spielfilm. Mehr Reporter kamen und mit ihnen mehr Neugierige, die einen Blick in die Scheune werfen wollten. Heute gibt es etwas abseits des Hofes einen Parkplatz für Touristenbusse. Rund 10.000 Menschen kommen nach Angaben der Erben jährlich, um sich das Spektakel in der Scheune anzusehen. Laut Gemeinde Edelsbach ist die Installation "einer der größten Touristenmagnete der Region". Enkel Franz Gsellmann und Schwiegertochter Maria kümmern sich um den Erhalt der Maschine.
Angelockt von den zahlreichen Zeitungsberichten ist angeblich auch der Künstler Jean Tinguely nach Kaag gereist, um sich das ratternde Ungetüm aus der Nähe anzusehen. Der Schweizer Tinguely ertüftelte wie der Kaager Bauer gigantische Installationen, deren einzelne Teile sich drehen und allerlei industrielle Geräusche erzeugen. Im Gegensatz zu Gsellmann aber war Tinguely erklärtermaßen Künstler. Seine kinetische Kunst stand im New Yorker Museum of Modern Art, in der Londoner Tate Gallery und im Frankfurter Städel. Ferentschik deutet an, Tinguelys Kunst sei von Gsellmanns Weltmaschine beeinflusst.
Jean Tinguely kann nicht bunt
Es sei Mitte der siebziger Jahre gewesen, als der Maschinenkünstler in das kleine Dorf Kaag kam, sagten Gsellmanns Frau Mathilde und Schwiegertochter Maria dem Biografen Ferentschik. Der wühlte sich daraufhin durch die Notizen und Aufzeichnungen des Künstlers im Archiv des Baseler Tinguely-Museums - ohne Ergebnis. Tinguely erwähne nirgends eine Reise nach Kaag, geschweige denn Gsellmanns Weltmaschine. Doch Tinguely soll laut Mathilde Gsellmann beim Anblick des kinetischen Monsters zu ihrem Erbauer gesagt haben: "Deine Maschine gefällt mir viel besser als meine, denn meine haben immer verrostete Teile." Und: "So eine Maschine könnte ich niemals bauen, eine, die so schön bunt ist und leuchtet." Ob Tinguely nun tatsächlich die Gsellmannsche Maschine besichtigt hat und was er sagte, das bleibt ungewiss.
Sicher ist, dass Franz Gsellmann bis zu seinem Tod in der kleinen Kammer an dem Wunderwerk schraubte: hier noch ein Rouletterad, da noch eine Mini-Holzmühle und dort noch ein Auto-Luftfilter. Und wenn er wieder einmal allzu sehr unter dem "Gelächter der Umwelt" (Klaus Ferentschik) litt, dann verschwand Franz Gsellmann für einige Zeit auf dem Dachboden und weinte. Dort lagerte Weizen, und der verkannte Erbauer der Wundermaschine breitete eine Decke über das Körnermeer und legte sich hin. Wie ein Kind, die Hand unter den Kopf geschoben, die Beine angewinkelt.
Eines Tages im Jahr 1981, da schlurfte Bauer Gsellmann in die Küche, sagte seiner Frau, dass die Maschine fertig sei und die Familie nun damit machen könne, was sie wolle. Er legte sich ins Bett, tat seinen letzten Atemzug und starb. So will es zumindest die Familiensaga. Märchenhaft klingt das. Und eigentlich zu schön, um wahr zu sein. Genau wie die wundersame Weltmaschine.
Quelle: einestages Zeitgeschichten auf SPIEGELONLINE