Dass der Regisseur Olivier Assayas früher Kritiken schrieb, bevor er seine Kinolaufbahn startete, ist in Die Wolken von Sils Maria kaum zu übersehen. Mehrdeutige Einblicke gibt er in das Leben der Schauspielerin Maria und auch in die Kunst der Theater- und Filmindustrie.
Maria Enders (Juliette Binoche), eine seriöse französische Schauspielerin, sitzt zusammen mit ihrer dauertelefonierenden persönlichen Assistentin Val (Kristen Stewart) im Zug nach Zürich. Dort soll sie für ihren Freund Wilhelm Melchior einen Award entgegen nehmen. Doch noch bevor beide in Zürich ankommen, erfahren sie, dass Wilhelm plötzlich und unerwartet verstorben ist. Erschüttert und etwas widerwillig nimmt Maria an der Preisverleihung teil, die kurzerhand zu einer Gedenkveranstaltung umdisponiert wurde.
Bei dieser Veranstaltung trifft Maria auf den deutschen Regisseur Klaus Diesterweg (Lars Eidinger), der das Originalstück von Wilhelm Melchior „Maloja Snake“, welches die Liaison zwischen der Geschäftsfrau Helena und ihrer 18-jährigen Angestellten Sigrid abhandelt, neu inszenieren möchte. Maria, die damals in diesem Stück die junge Sigrid verkörperte, soll nun in der Neuauflage in die Rolle der Helena schlüpfen. Trotz schwerer Zweifel an der Neuauflage und ihrer Rolle als Helena sagt Maria zu den Part zu übernehmen. Ihre Gegenspielerin soll vom Hollywood-Starlet Jo-Ann Ellis (Chloë Grace Moretz) dargestellt werden. Weil Maria auch nach der Zusage von Zweifeln geplagt wird, zieht sie sich zusammen mit ihrer jungen Assistentin in Wilhelms Haus in Sils Maria in der Schweiz zurück und beginnt zu proben.
Das Drama Die Wolken von Sils Maria feierte im Mai 2014 beim Internationalen Filmfestival in Cannes seine Weltpremiere. Assayas arbeitet in seinem neuen Werk mit unterschiedlichen Ebenen und lässt diese ohne Warnung ineinander fließen. Er lässt zum Beispiel den Theatertext in die Dialoge des Films einfließen, ohne dass der Zuschauer merkt, dass es sich dabei um eine Probe von Maria mit ihrer Assistentin Val handelt. Der Text könnte ebenso gut auch Teil der filmischen Handlung sein. Die Dramaturgie des Theaterstücks lässt Schlüsse zu, dass es Verbindungen zwischen den Charakteren des Stücks und jenen von Die Wolken von Sils Maria gibt: Der Helena-Charakter umschreibt eine Frau in den 40ern, die sich in ihre jüngere Angestellte Sigrid verliebt. Der Filmcharakter Maria ist beinahe fünfzig Jahre alt und verbringt die meiste Zeit des Tages zusammen mit Val. Eine mögliche Romanze ist daher nicht ausgeschlossen.
Dadurch erzeugt Assayas eine subtil inszenierte Symbiose zwischen der filmischen und der theatralischen Diegese. Solche Momente gibt es viele in Die Wolken von Sils Maria. Assayas verführt einem geradezu zum Suchen von Gemeinsamkeiten zwischen Filmrealität, dem Inhalt des in der Handlung thematisierten Theaterstücks und der allgemeineren Alltagswelt. Schon allein die Besetzung mit der seriösen Schauspielerin Binoche an Seite von Twilight-Ikone Stewart spiegelt eine Fassette der Filmstory wieder (die seriöse Aktrice und der Hollywood-Star).
Die Wolken von Sils Maria ist ein sehr intellektuelles Werk, der zum Nachdenken anregt und noch einige Tage danach im Kopf wirkt. Man könnte den Film umschreiben als philosophisches Gedankenspiel, bei dem man vielleicht mehr hineininterpretiert als tatsächlich dargestellt ist. Wer nun denkt, das Drama wäre furchtbar schwer zu fassen und hätte kaum Unterhaltungswert, sei eines besseren belehrt. Die Wolken von Sils Maria mag zwar keine leichte Kost oder fröhlich sein, aber die Unterhaltung kommt dennoch nicht zu kurz. Stellenweise ist er sogar mit überraschend humorvollen Momenten angereichert. In Erinnerung bleibt auf jeden Fall das ansteckende Lachen von Juliette Binoche oder ihre spitze Zunge und auch Moretz sorgt mit ihrer Rolle des Hollywood-Starlets Jo-Ann für Gelächter.
Überraschend schöne Landschaften zeigt uns Assayas, indem er die Schweizer Alpen in langen Einstellungen und Totalen portraitiert. Hinzu kommt noch das wunderbare Naturschauspiel des einzigartigen Wolkeneinzugs über das Tal, dass der Regisseur in die Geschichte einbaut. Das Naturphänomen des Wolkenzugs zeigt er ausführlich, indem er in Die Wolken von Sils Maria den Film Das Wolkenphänomen von Maloja aus den 20er Jahren in schwarz-weiß einfach hineinschneidet. Ein überraschender Zug von Assayas, der dem Film etwas besonders gibt.
Trotz der schönen Bilder und der komplex durchdachten Handlung, scheint das Drama dann doch sehr lange und könnte ab und an eine Kürzung bestimmter Einstellungen vertragen. Auch die gute schauspielerische Leistung des gesamten Cast kann diesem Gefühl der Überlänge nicht den Kampf ansagen. Abgesehen davon ist Die Wolken von Sils Maria eher dialoglastig und befasst sich über lange Strecken mit eher künstlerischen Aspekten. Den Kinosessel räumt man daher mit einem seltsamen Gefühl, dass jedoch aufgrund der starken Wirkung und die gelungen dargestellten Figuren positiv zu deuten ist.
Regie und Drehbuch: Olivier Assayas
Darsteller: Chloë Grace Moretz, Kristen Stewart, Juliette Binoche, Lars Eidinger, Johnny Flynn
Filmlänge: 123 Minuten, Kinostart 19.12.2014, cloudsofsilsmaria-derfilm.de