Die Wirtschaft des 21. Jahrhunderts

Die Wirtschaft des 21. JahrhundertsWenn er einmal etwas anderes hören wolle, als was 90% der Ökonomen in Deutschland erzählen, solle er Heiner Flassbeck einladen – dann könne man sich selbst ein Bild davon machen, wer Recht hat. So leitete Felix Hofmann vom AStA der Universität Trier einen Vortrag von Heiner Flassbeck zum Thema “Die Wirtschaft des 21. Jahrhunderts” ein. In einem prall gefüllten Hörsaal sprach dieser am Montag über die Weltwirtschaft im 21. Jahrhundert, über internationale Krisen der Wirtschaft und der Umwelt, und über Maßnahmen jenseits des neoliberalen Mainstreams in den deutschen Wirtschaftswissenschaften. Eine Aufzeichnung des Vortrages (MP3) ist hier zu finden.

Jahrhundert der Krisen

Flassbeck erläuterte zunächst, dass die Welt zurzeit mehrere ernste Krisen durchlaufe, so beispielsweise eine Umwelt-, eine Handels-, eine Arbeitsmarkt- und eine Finanzkrise. Die Finanzkrise habe eine der schlimmsten weltweiten Krisen überhaupt dargestellt. Dennoch, so merkte er an, habe es in Folge der Finanzkrise, anders als bei anderen vergleichbaren Ereignissen, nicht etwa Untersuchungskommissionen gegeben, und noch nicht einmal Diskussionen über die Ursachen oder etwa über die “Systemrelevanz“ von Banken. Vor zweit Jahren seien alle auf einmal Keynesianer gewesen. Heute wollen viele davon nicht mehr wissen und vertrauen wieder der neoliberalen Lehre.

Ein zentrales Thema des Vortrages waren die internationalen Finanzmärkte. Die meisten internationalen Rohstoffpreise sind nicht von realem Angebot und realer Nachfrage bestimmt, sondern “financialized”, werden auf Finanzmärkten bestimmt, und sind damit auch für Spekulationen anfällig. Die Spekulation auf Nahrungsmittel hatte im Jahr 2008 zu einer weltweiten Hungerkrise und zu Toten geführt. Anders, als es die Finanzinstitute ursprünglich vorhatten, als sie sich auf den Rohstoffmarkt ausbreiteten, diversifizierten sie nicht das Risiko, sondern potenzierten es im Gegenteil. Ob Rohstoffpreise, Devisen, Staatsanleihen, Aktien: Sie alle werden auf Finanzmärkten gehandelt – und sie alle folgen in ihrem Trend fast haargenau den gleichen Zyklen. Gibt es auf einem Markt eine Krise, geht die mit Krisen auf allen anderen einher, gibt es einen Aufschwung ebenso. Seit März 2009 geht es auf ihnen allen wieder bergauf – die Frage ist jedoch, wie lange, bis dass die nächste Spekulationsblase platzen wird.

Flassbeck zeigte anhand des Beispiels Island, wie Finanzmärkte und Spekulationen ganze Länder zerstören können. Gerade das Währungssystem sei völlig aus den Fugen, repräsentiere oft nicht die tatsächlichen Verhältnisse. Hier besteht Handlungsbedarf, wollen wir nicht blindlings in die nächste große Krise hineinlaufe. Flassbeck plädiert hier für ein internationales Währungsregime. Diesen Vorschlag hatten er und Wolfgang Filc schon 1998 gemacht und waren damals von der Mainstream-Presse in Deutschland behandelt worden wie Häretiker. Nun jedoch haben die USA genau den selben Vorschlag gemacht. Der Kommentar der deutschen Regierung, namentlich von Wirtschaftsminister Brüderle, lautete platt, das wäre ja „Planwirtschaft“.

Ein weiteres Thema war die Klimakrise. Um die massive Umweltbelastung durch die CO2-Emissionen einzudämmen, müssten als wichtigster Schritt die Ölpreise von den Finanzmärkten entbunden werden – und sie müssten steigen. Überlasse man sie den Finanzmärkten, bestehe die Gefahr, dass diese stark sinken würden und die Investitionen in erneuerbare Energien dadurch unfinanzierbar und unrentabel würden. Hier müssten die Regierungen weltweit eingreifen.

Deutschland als Bedrohung für den Euroraum

Besonders wichtig war Flassbeck die Feststellung, dass Deutschland mit seinen Außenhandelsüberschüssen ein Risiko für den Euro und die Weltwirtschaft darstelle. Deutschland habe hier selber gegen die EU-Richtlinien verstoßen: Diese hatten ein Inflationsziel von 2% vorgesehen. Deutschland habe dies unterlaufen, es habe mit einer restriktiven Lohnpolitik (siehe unten) seine Währung abgewertet. Er äußerte sogar die Prognose, dass die Eurozone auf längere Sicht nicht bestehen könne, wenn dieses Problem nicht gelöst werde. Deutschland müsse seinen Außenhandelsüberschuss abbauen, indem es seine Löhne erhöhe und die Binnenachfrage stärke. Die Defizitländer in der EU sollten nicht zu Lohnsenkungen greifen, da damit ihre Nachfrage einbrechen würde, sondern moderate Lohnsteigerungen vornehmen.

Die USA, Frankreich und die USA hätten verstanden und zu recht kritisiert, dass Deutschland durch seine niedrigen Löhne und seine einseitige Exportfinanzierung massive Ungleichgewichte und Risiken verursacht. International erkennt man zunehmend das Versagen der neoliberalen Politik und ihrer Lehrmeinungen – nur Deutschland ist eines ihrer letzten Refugien. Bei den neusten EU-Verhandlungen standen zwei Themen im Vordergrund: Haushaltsdefizite und Wettbewerbsfähigkeit, namentlich die Verzerrungen durch Deutschland. Die deutsche Presse hat jedoch das zweite Thema vollkommen ignoriert, es ist nicht zu finden in den deutschen Zeitungen über dieses zentrale und international hoch diskutierte Thema.

Was steckt dahinter? Die Entwicklung der deutschen Löhne ist seit den 80er Jahren in Deutschland immer unter der Erhöhung der Produktivität geblieben. Inflationsbereinigt gab es sogar so gut wie keine realen Lohnzuwächse. Seit den 80er Jahren nahmen in Deutschland das Wirtschaftswachstum und die Investitionen ab und die Arbeitslosenzahlen stiegen. Die wirtschaftlich dennoch relativ gute Position Deutschlands sei, so Flassbeck, einzig durch die Außenhandelsposition zu erklären. Der Binnenmarkt sei jedoch in Deutschland viel zu klein. Außerdem ist Deutschland internationalen Schwankungen damit sehr viel mehr ausgesetzt als andere Länder: Die Finanzkrise traf Deutschland stärker, und der Aufschwung trifft Deutschland stärker. Flassbeck tritt also für ein Ende des deutschen Lohndumpings ein.

Das Versagen der Neoklassik

Und hier kommen wir zu dem Punkt, wo der Keynesianismus sich am deutlichsten von den Theorien der Neoklassik unterscheidet. Die Neoklassik plädiert dafür, Löhne zu senken, um die Beschäftigung zu steigern. Der Keynesianismus geht davon aus, dass dabei aber zuerst die Güternachfrage reagiert: Durch niedrigere Löhne sinkt die Nachfrage, die Unternehmen weiten ihre Produktion nicht aus, sondern schränken sie ein – und stellen damit, trotz niedrigerer Löhne, nicht mehr Arbeitnehmer ein. Dies wird von der Neoklassik aber seit jeher einfach ignoriert. Auch das diesjährige Gutachten des sogenannten “Sachverständigenrates” etwa gehe wieder von neoklassischen Paradigma aus, dass es so etwas wie ein Nachfrageproblem nicht geben könne. Wie kommt das? Die Neoklassik zeige nur funktionale Zusammenhänge auf, die sei blind für zeitliche und kausale Zusammenhänge.Wie schon Schumpeter (übrigens kein Keynesianer) erkannt habe, gelte am Arbeitsmarkt das Gesetz von Angebot und Nachfrage nicht, da Arbeitsmarkt und Nachfrage hier nicht voneinander unabhängig seien.

Die Neoklassik behauptet, dass Unternehmen immer entweder in Kapital oder in Beschäftigung investieren würden. Das ist aber schlicht und einfach faktisch falsch. Alle Untersuchungen zeigen immer wieder, dass Unternehmen immer in Kapital UND Arbeit investieren – ihre Kapazitäten ausweiten (in einem Aufschwung) oder beide senken (in einem Abschwung). Und diese Wirtschaftsauf- und -abschwünge sind abhängig von der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage.

Bei diesen Punkten müsse ein „vernünftiger Keynesianismus“ ansetzen, so Flassbeck. Wenn die Neoklassik zugebe, dass das Gesetz von Angebot und Nachfrage auf Arbeitsmärkten nicht gelte, dann würde das ganze neoklassische Kartenhaus in sich zusammenfallen, so Flassbeck.

Eine bessere Weltwirtschaft

Flassbeck beschäftigte sich aber nicht nur mit der Diagnose der Probleme, sondern nannte auch eine Reihe von Lösungen – Lösungen, die in der neoliberal dominierten deutschen Debatte seit Jahren von der Presse ignoriert werden. Viele der für die aktuellen Krisen verantwortlichen Faktoren würden als sakrosankt und unveränderlich behandelt, so die niedrigen Löhne, die angeblich für die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands notwendig seien, die Unabhängigkeit der Zentralbanken oder die wirtschaftspolitische Priorität der Inflationsvermeidung. In der Wirtschaftspolitik dürfe es aber nicht ideologisch, sondern müsse es logisch zugehen. Höhere Löhne in Deutschland, Reduzierung seiner Außenhandelsüberschüsse, Kooperation der Regierungen, Eindämmung und Regulierung der Finanzmärkte, etwas durch eine Finanztransaktionssteuer sind solche Punkte, gegen die es kaum sachliche Argumente gibt.

Auch das Vorhaben der US-Regierung, zwischen Geschäfts- und Notenbanken zu trennen, das leider von der Finanzlobby verhindert wurde. begrüßte er. Die aktuelle Taktik der USA, Geld zu drucken, sei als letztes Mittel richtig, wenn man keine Schulden machen dürfe. Er kritisierte dabei scharf die europäische Vorgabe nach von den Regierungen Notenbanken. Für die Neoliberalen gelte es nur als richtig, wenn die Banken Geld von diesen bekämen, nicht aber, wenn es sich um Regierungen handelt. Warum, fragte Flassbeck, sollten die Zentralbanken nicht der Regierung Geld zu 0% Zinsen leihen können? Aus welchem Grund sei dies im Maastricht-Vertrag verboten? Die EZB sei in Europa einseitig auf die Bekämpfung der Inflation ausgerichtet, andere Ziele wie Wirtschaftswachstum und Arbeitslosigkeitsbekämpfung verfolge sie nicht. Die Angst vor der Inflation, die den Deutschen immer wieder eingeredet werde, sei bloße Ideologie. Deflation sei in Wahrheit viel gefährlicher als Inflation. Allein der Fall Japans zeigt dies schon.

International plädiert Flassbeck für mehr Zusammenarbeit der Staaten. Es solle einen Wettbewerb der Unternehmen, nicht der Länder geben. Die Wechselkurse sollten den Lohnstückkostendifferenzen folgen („konstanter realer Wechselkurs“), wodurch es keine Über- und Unterbewertungen gäbe. Die UNCTAD erarbeite gerade einen diesbezüglichen Vorschlag. Es müsse einen Wettbewerb um Produktivität, nicht um niedrigere Löhne geben. Hierbei machte Flassbeck auch klar, warum Deutschland auch im Rahmen der Globalisierung nicht mit China im Wettbewerb um niedrigere Löhne stehe. Zwar seien die chinesischen Löhne vielleicht nur ein Viertel so hoch wie die deutschen, aber dafür betrage auch die Produktivität der chinesischen Unternehmen nur ein Viertel der deutschen. Zudem, merkte er an, stiegen die chinesischen Löhne, im Gegensatz zu den deutschen, auch mit der Produktivität. Deutschland stehe eher mit den ausländischen Unternehmen in China in Konkurrenz: 60 bis 70 % der chinesischen Exporte stammten von Tochterunternehmen ausländischer Firmen.

Schlussbemerkungen

In der anschließenden Diskussion konnten dann auch einige Vorurteile aufgeklärt werden, wie, dass Keynesianismus stets und ausschließlich Schulden machen bedeutet und das Wirtschaftswachstum nur bei exzessivem Ressourcenverbrauch möglich wäre. Leider meldete sich die neoliberale Seite recht wenig zu Wort. Es bleibt zu hoffen, dass wenigsten ein paar von diesen ein wenig die Beschränktheit der neoklassischen Lehren erkannt haben. Die Neoklassik ist simplifizierend, verkennt grundlegende Zusammenhänge und beruht zu einem großen Teil auf bloßer Ideologie.

Alle anderen haben hoffentlich, auch wenn sie nicht alle Gedankengänge teilen oder Lösungsansätze für umsetzbar halten müssen, einige neue Erkenntnisse und Sichtweisen gewonnen. Neben den neoliberalen Talkshow-Ökonomen mit ihrem dogmatsichem Einheitsbrei gibt es eben auch noch andere Richtungen der Ökonomie, auch in Deutschland. Auch wenn es ein wenig mehr als 10% der deutschen Ökonomen sein dürften, die sich auf Keynes berufen (2006 waren es laut einer Umfrage 14,3%, inzwischen dürften es etwas mehr geworden sein), sind es aber immer noch viel zu wenige. Vielleicht setzen sich aber irgendwann einmal selbst unter den den deutschen Ökonomen die besseren Argumente durch.

Wen das Thema weiter interessiert, dem sei das neue Buch von Heiner Flassbeck, „Die Marktwirtschaft des 21. Jahrhunderts“ empfohlen, in dem er vieles, was in diesem Vortrag angesprochen wurde, detaillierter aufgreift (dazu nochmal der Hinweis auf diese Zusammenfassung auf den NachDenkSeiten und diese Rezension des Buches).


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