Die Wikinger auf den Azoren-Inseln

Von Ingo Bading @ingo_34
Ein neues Mosaiksteinchen aus der Hausmaus-Forschung
Sie liegen in der Mitte des atlantischen Ozeans - die Azoren-Inseln. 1369 Kilometer entfernt vom europäischen Festland, 2342 Kilometer entfernt von Neufundland in Kanada, dem nächsten Festland in westlicher Richtung, handelt es sich kleine, sturmumbrauste Inseln mit subtropischem Klima. Es handelt sich um Jahrhunderte alte Stützpunkte für Piraten, Schiffahrtslinien, später für Fluglinien und Telefonkabel zwischen Europa und Amerika.

Abb. 1: Wikingerschiff, Nachbau (in Stockholm) (Wiki a, b)


Diese abgelegenen Inseln nun sind - nach neuesten Forschungsergebnissen (1) - von norwegischen Wikingern bereist und wohl auch besiedelt worden (Abb. 1). Das legen genetische Studien an den Hausmäusen von zwei Inseln dieser Inselgruppe nahe (1). Für die dem europäischen Festland näher und etwas südlicher gelegene Insel Madeira (die nicht zu den Azoren gehört) war ein Besuch von dänischen Wikingern schon vor einigen Jahren aufgrund von genetischen Studien an den dortigen Hausmäusen nahegelegt worden. Mit der neuen Studie nun erweitert sich das Netz der bekannten Wikingerfahrten und -Siedlungen um einen bedeutenden geographischen Raum, nämlich die untere Hälfte des Nordatlantik (Abb. 2 und 3).

Abb. 2: Lage der Azoren-Inseln in der Mitte des atlantischen Ozeans

Hinweise auf noch frühere Besuche und Besiedlungen der Azoren-Inseln hat man allerdings schon seit 200 Jahren. Auf dem deutschen Wikipedia heißt es (Wiki):
Karthagische und cyrenäische Münzen aus dem 4. Jahrhundert v. Chr., die 1749 auf der Insel Corvo entdeckt worden sein sollen, deuten darauf hin, dass die Azoren eventuell bereits von den Phöniziern besucht wurden. In der Antike gab es Sagen um Inseln im Atlantik; so wird auch eine der Lokalisierungshypothesen zu Atlantis auf die Azoren bezogen (Ignatius Donnelly, 1882).
Nach dem englischen Wikipedia (engl) weisen evtl. auch archäologische Befunde auf den Azoren auf eine menschliche Besiedlung schon in antiken Zeiten hin.

Abb. 3: Siedlungsgebiete der Wikinger (Wiki) - Die kleinen Punkte in der Mitte des Atlantiks sind die Azoren

Und in der Humangenetik hatte man schon im Jahr 2006 Hinweise auf menschliche genetische Hinterlassenschaften der Wikinger auf den Azoren gefunden: Die Azoren-Inseln weisen die höchste Rate von Homozygoten in ganz Europa für ein vor allem nordeuropäisches Gen auf, das einen gewissen Schutz vor HIV-1 gewährt. Diese genetischen Spuren finden sich sogar bis hinunter zur Insel São Tomé und Príncipe vor der Westküste Afrikas (s. Human Biology 2006).

Abb. 4: Die Insel Santa Maria - Bucht von São Lourenço (Wiki)

In der neuen Hausmaus-Studie zu den Azoren-Inseln heißt es (1):
Among the islands of the Azorean archipelago, Santa Maria and Terceira produced the most unexpected results. (...) The mice on Santa Maria are predominantly clade F, which unlike the other highly represented clades in the Azores (clades B, C and D) has not been found in either Portugal or southern Spain, nor in the neighbouring archipelagos of Madeira and the Canaries. Clade F has a geographical range that matches well with the realm of influence of the Norwegian Vikings (coastal Norway, northern and western Scotland, Ireland, Iceland: Jones et al., 2012). Norwegian Vikings were certainly transporting mice of this clade (based on sequencing of Viking Age mouse specimens from Iceland and Greenland: Jones et al., 2012), and were excellent mariners, and crossed enormous water gaps, so it is not inconceivable that they visited the Azores, leaving mice as evidence of that event, as suggested for Danish Vikings and Madeira (Gündüz et al., 2001; Förster et al., 2009). (...)
The first written document with a reference to the peopling of the Azores dates back to 1439, according to which the Portuguese crown ordered “sheep to be released in the seven Azorean islands in preparation for human settlement” (Crosby, 2004).
Die norwegischen Hausmäuse finden sich auf den beiden östlichen Azoren-Inseln Terceira und Santa Maria (s. Abb. 6). In der Studie heißt es auch (1):
Interestingly, based on medieval maps and Scandinavian texts, Kelley (1979) has already speculated that Norwegian Vikings may have found their way to the Azores.
Das bezieht sich auf (2).

Abb. 5: Die Insel Santa Maria - Bucht von São Lourenço (Wiki)

Ein weiteres Mosaiksteinchen also, das die zoologisch-archäologische, genetische und historische Hausmaus-Forschung zur Entwicklung menschlicher Gesellschaften beitragen kann.

Abb. 6: Karte von den Azoren-Inseln (Wiki)

Andere Beispiele haben wir ja schon reichlich hier auf dem Blog behandelt und es werden sicherlich auch künftig noch manche spannende Mosaiksteinchen folgen.
Die Beschäftigung mit solchen Neuerkenntnissen weckt einmal erneut die Sehnsucht, sich mit diesem wilden, ungestümen, eigenwilligen Volk der Wikinger zu beschäftigen, insbesondere mit seiner Dichtung und seiner Sagawelt. In ihnen spiegelt sich ja ein vielfach so ganz anderer, viel urtümlicher Menschentypus wieder als er heute vorherrschend ist. ________________________________________________
  1. Gabriel SI1, Mathias ML, Searle JB: Of mice and the "Age of Discovery" - The complex history of colonization of the Azorean archipelago by the house mouse (Mus musculus) as revealed by mitochondrial DNA variation. J Evol Biol. 2014 Nov 14. doi: 10.1111/jeb.12550
  2. Kelley Jr, J.E. 1979. Non-Mediterranean influences that shaped the Atlantic in the early Portolan charts. Imago Mundi, 31: 18–35
Posted by Ingo Bading um 18:37 Diesen Post per E-Mail versendenBlogThis!In Twitter freigebenIn Facebook freigebenAuf Pinterest teilen Labels: Geographie, Hausmaus, Humangenetik, Wikinger

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