Die wichtigste Rolle in der Softwareentwicklung

Natürlich ist Softwareentwicklung eine Tätigkeit, an der viele beteiligt sind. Alle Rollen sind wichtig.

Und doch… ich glaube, es gibt eine Rolle, die ist wichtiger als andere. Sozusagen erste unter gleichen. Das ist die Rolle des Product Owner (PO).

Nicht die Programmierer sind die Wichtigsten, nicht die Qualitätssicherer, sondern der PO. Das stürzt hoffentlich niemanden in Ärger oder Verzweiflung ;-)

Wichtiger ist der PO, weil er die Softwareentwicklung klammert. Er hat zwei Hüte auf. Er kippt einerseits in den Produktionsprozess vorne Anforderungen als Input hinein. Andererseits nimmt er am Ende den Output entgegen und gibt dazu Feedback. Er ist Sender und Empfänger, Quelle und Senke.

imageDamit ist er für den Kurs der Softwareentwicklung verantwortlich. Er ist wie ein Kapitän. Der Steuermann mag lenken, der Ausguck mag vorausschauen, der Maschinist mag für Vortrieb sorgen; und alle entscheiden dabei situativ.

Doch allein der Kapitän entscheidet strategisch, d.h. im Hinblick auf das zu erreichende Ziel. Er gibt den Rahmen für alle anderen vor.

Genauso der PO. Er hat als Ziel den Nutzen für den Anwender im Auge. Dafür soll Software mit bestimmten Eigenschaften bereitgestellt werden. Wie, das entscheidet der PO. Er ist Stellvertreter des Kunden auf dem Projektschiff, so wie ein Kapitän Stellvertreter des Reeders auf einem Handelsschiff ist.

Selbst der Softwarearchitekt ist dem PO untergeordnet. Architektonische Entscheidungen müssen sich immer im Rahmen dessen bewegen, was der PO an Anforderungen stellt.

Die wichtigste Aufgabe des Product Owner

Besonders schwierig macht es die Aufgabe des PO, dass er als Klammer sowohl am Anfang wie am Ende des Produktionsprozesses steht.

Deshalb möchte ich betonen, was die wichtigste Aufgabe des PO ist. Welchen Hut sollte er vor allem aufhaben?

Wikipedia widmet dem PO 14 Sätze. Davon ist allerdings nur ein Teilsatz der aus meiner Sicht wichtigsten Aufgabe des PO gewidmet: Er trifft “die Entscheidung darüber, ob die vom Entwicklungsteam am Ende jedes Sprints gelieferte Funktionalität akzeptabel ist.”

Das vor allem muss der PO tun: akzeptieren. Er muss Lieferungen von Programmierung und QS prüfen und dazu Feedback geben. Im besten Fall akzeptiert er das Gelieferte, im schlechteren Fall verweigert er die Weitergabe und muss Nachbesserungen anweisen.

Am wichtigsten ist der PO also in seiner Funktion als Senke, als schließende Klammer.

Die Literatur hingegen betont vor allem seine Funktion als Quelle, als öffnende Klammer. Da wird von Backlog, Priorisierung, User Stories, Story Points usw. gesprochen; das alles gehört zum PO als Sender von Aufträgen an das Restteam.

Natürlich, es geht nicht ohne klare Aufträge. Anforderungsdefinition ist eine rechte Kunst. Da braucht es auch viel Dialog zwischen Restteam und PO.

Aber die Anforderungsdefinition ist nicht die wichtigste Aufgabe des PO, weil sie nur eine Folge der wichtigsten Aufgabe ist. Der PO will nicht beauftragen, sondern in Empfang nehmen. Nur weil er in Empfang nehmen will, muss er wohl oder übel beauftragen. Aber je weniger Aufwand er darauf verwenden muss, desto besser.

Das Abnehmen, das Akzeptieren ist aber nicht nur für den PO bzw. den weiter downstream gelagerten Anwender/Kunden wichtig, sondern auch für das Restteam.

Indem der PO nämlich zuallererst sich auf das Akzeptieren konzentriert, stiftet er für das Restteam Sinn. Dadurch, dass er geradezu sehnsüchtig auf die nächste abzunehmende Veränderung wartet, weiß das Restteam, wer es braucht, wofür es sich anstrengt. Der PO als schließende Klammer stellt ein Ziel dar, auf das sich jeder ausrichten kann. Kohärenz wird geschaffen. Insofern ist der PO sogar als leader anzusehen.

Folgen eines Missverständnisses

Leider wird die Rolle des PO meist missverstanden. Entweder wird er nicht als die wichtigste Rolle angesehen. Entwickler scheinen am wichtigsten, immerhin produzieren die das “Objekt der Begierde” für den Kunden. So schwer kann das doch auch nicht sein, oder? Am besten wissen es womöglich sogar die Entwickler, was gebaut werden sollte.

Das Resultat ist ein insgesamt schwacher PO. Er ist halbherzig bei der Sache - wahrscheinlich, weil er sich erstens diese Aufgabe nicht gewünscht hat und zweitens auch noch eine Menge anderer Dinge zu tun hat.

Ein schwacher PO - oder noch schlimmer: ein fehlender - führt dann zu schlechtem Input für das Restteam. Nach der Gleichung garbage in = garbage out führt das wiederum zu schlechtem Output. Und der wiederum führt zu Nachbesserungen. Das verringert die Kapazität des Restteams für neue Features, das erhöht die Verschwendung durch Produktion von Unnötigem und das nagt am Vertrauen des Kunden, weil der nur unzuverlässig und mit suboptimaler Qualität beliefert wird. Und zu allem Überfluss steigen noch die Supportkosten und es sinkt die Motivation.

Oder, selbst wenn der PO als wichtig angesehen wird, dann im üblichen Sinn: als sprudelnder Quell von Anforderungen. Er nimmt dann seine Aufgabe ernst und produziert User Stories, dass es nur so eine Freude ist. Er spricht mit dem Support, er spricht mit dem Kunden, er ist da für Fragen vom Restteam. Das Backlog wächst, die Entwicklung hat zu tun. Die Klammer ist geöffnet.

Doch am Ende… da fehlt es an Zugkraft. Der PO beauftragt stark - und zieht am Ergebnis zu schwach. Er hat wenig Erwartung, wann etwas geliefert werden soll. Und wenn, dann lässt er sich einladen zu einer Präsentation dessen, was das Team meint, präsentieren zu können. Im Zweifelsfall hat er womöglich sogar nicht einmal genügend Entscheidungskompetenz, um Abweichungen “vom Plan” akzeptieren oder ablehnen zu können.

Aus womöglich ordentlichem Input wird auf diese Weise Output von ungewisser Qualität. Da der PO nicht maximal daran interessiert zieht, gibt es endgültiges (!) Feedback oft erst Tage oder Wochen nach Fertigstellung.

Das führt zu Ungewissheit, Motivationsschwund, Verschwendung. Die Zuverlässigkeit des Restteams wird auf diese Weise auch nicht erhöht.

Die Qualität des Teams bestehend aus PO + Restteam(Programmierung, QS) steht und fällt also mit dem PO. Ein schwacher PO wird genauso vom Restteam erkannt wie ein schwacher Lehrer oder schwache Eltern. Der mag dann nett sein - aber systematisch und verlässlich für den Kunden muss man dann nicht produzieren.

Fazit

Softwareentwicklung ist kein Ponyhof. Es ist ein hartes Business, in dem man umso besser besteht, je klarer die Richtung ist. Einer, der Richtung vorgibt, ist der PO. Das tut er aber nicht durch Backlog-Einträge, sondern durch seinen unermüdlichen Willen, produziertes Abzunehmen.

Das hat auch einen ökonomischen Grund: Statt neue Aufträge in das Restteam zu stopfen, sollten angefangene Aufträge herausgezogen werden. Es ist sonst unklar, ob der Arbeitseinsatz gelohnt hat. Nur kann auch Wert für den Kunden entstehen. Den freut ja nicht, wenn das Restteam busy ist, sondern nur, wenn er etwas brauchbares in die Hand bekommt.

Ich habe hier den Begriff PO gebraucht, weil er sich für diese Rolle eingebürgert hat. Ich sehe die aber nicht an Scrum geknüpft. Und ich vermute sogar, dass rundum agiles Vorgehen weniger wichtig ist als ein starker PO, der weiß, dass die Abnahme seine vornehmste Aufgabe ist.

Ein klares Ziel und klares, schnelles Feedback – das ist das Geheimnis erfolgreicher Softwareentwicklung. Das ist oft der Fall am Anfang eines Softwareprojektes/-produktes. Daran erinnern sich alle immer gern zurück. Mindestens diesen Zustand aufrecht zu erhalten, sollte das Ziel jedes Projekt-/Produktmanagements sein.

Wenn ich Softwareprojekte/-produkte gesehen habe, die im Verhältnis zu ihrer Codesauberkeit gut im Fluss waren, dann hat das immer an starken POs gelegen.

Oder umgekehrt: Wo der PO schwach oder gar abwesend war, hat es immer massiv gehakt - auch wenn das Restteam motviert und kompetent war.

Ein PO wird der Wichtigkeit seiner Rolle also am besten gerecht, wenn er stets zuerst schaut, was es abzunehmen gibt. Das erfragt er aber nicht beim Team, sondern hat eine genaue Erwartung dazu. Denn darüber hat er schon vorher mit dem Team verhandelt - und das nicht vor Wochen, sondern gestern.

Jeden Tag etwas abnehmen - so sollte der Rhythmus des PO sein.

Und nur, wenn dem Restteam die Aufträge ausgehen, denkt er daran, was er als nächstes “einkippen” sollte.

Im Stil des agilen Manifests könnte ich so formulieren: acceptance over specification.


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