Die Welt der Filmkritik gerät ins Schwanken

Was ist nur los in der großen, weiten Welt der Filmkritik? Befindet diese sich etwa in einer Art Umbruchsphase? Wer in den letzten Tagen und Wochen die Szene beobachtet hat, dem werden viele Dinge aufgefallen sein, wie z.B. dass sich etablierte Filmseiten wie critic.de oder negativ-film einer Umorientierung unterziehen. Denn Filmkritik soll Spaß machen, nicht etwa darauf ausgelegt sein, einem Film etwas Gutes zu tun. Die Online-Filmkritik als Propaganda darf gerne aussterben, denn im Endeffekt macht jeder Hobbykritiker diese Sache aus Spaß und Interesse. Profit sollte ein entzückender, aber nicht notwendiger Nebeneffekt sein, auf den im besten Fall verzichtet werden kann. Für Profit benötigt man viele Seitenbesucher. Für viele Seitenbesucher braucht man eine große Fülle an immer aktuellen Informationen. Aber sollte nicht die Qualität vor der Quantität stehen? Hier ist der Moment gekommen, wo vielleicht auch die Blogger in Deutschland erkennen, dass ein Zusammenschluss, das gegenseitige Verlinken von Artikeln, Meinungen und Statements eine gute Sache ist. Mal hier, mal dort einen Kommentar abgeben, durch wenige, gute Artikel eine Reputation verdienen und gemeinsam für die Quantität von Filmbeiträgen sorgen. So jedenfalls funktioniert es in den USA. Dementsprechend darf man gespannt auf die Neuausrichtung von negativ-film sein, wenn Autor Ciprian David schreibt:

„NEGATIV soll zu einer Autoren-Seite werden. Sich somit von dem distanzieren, was im Presseverteiler als wichtig dargestellt wird und den Autoren die Gelegenheit geben, frei und ohne Deadlines, ihre eigenen Interessen in Texte zu verwandeln. Die Diskrepanz zu sprengen, die aktuell besteht zwischen dem, was aus eigenem Interesse konsumiert wird, und dem, was die Medienlandschaft für Pflicht erklärt.“ [ganzer Artikel]

Mit Recht darf er behaupten, dass es für diejenigen unter uns, die ihrer Leidenschaft nachgehen und nicht etwa die Filmkritik als Geldeinnahmequelle sehen, nicht darum geht der Medienlandschaft gerecht zu werden. Wirft man einen Blick auf einschlägige Pressemitteilungen oder auf vorgefertigte Inhaltstexte, entfernen diese sich oftmals, wenn nicht gar immer, von einer objektiven Wiedergabe des Filmes, sind gespickt mit Superlativen und geben manches Mal sogar eine falsche Handlung wieder.

Derweil möchte Frédéric Jaeger von critic.de sich von den immer mehr werdenden Kinostarts verabschieden, die Fließbandprodukte ignorieren und den Blick auf die Filmfestivals dieser Welt schweifen lassen. Denn diese werden nicht nur immer mehr, sondern bringen auch Filme hervor, die zwar bei dem Event selbst Beachtung finden, im Netz aber unerwähnt bleiben und sogar von den Kinos verschmäht werden. Hier greift der Satz, dass die Medienlandschaft Inhalte vorgeben möchte. Hiervon muss sich distanziert werden. Schon seit jeher hat critic.de sich folgendes Ziel gesetzt, welches mit den vielen Vorgaben im Hinterkopf kaum noch durchführbar scheint:

Ohne falsche Kompromisse, nicht käuflich, engagiert für eigene Entdeckungen, dennoch den „kleinen“ Filmen ebenso kritisch gegenüber wie dem Mainstream gegenüber offen, mutig in den Thesen, nachvollziehbar in den Argumenten. [ganzer Artikel]

Hier kommt auch die Leserschaft ins Spiel, die sich von der Filmkritik großer Medien oftmals leiten lässt. Zuletzt entdeckt auf firstshowing.net, dessen Betreiber Alex Billington eine Hasstirade entgegen geworfen bekommen hat, nachdem er sich negativ über den auf dem Cannes-Filmfestival gesehenen Film „Amour“ von Michael Haneke geäußert hat.

I have found my least favorite film of the Cannes Film Festival so far. And it’s the film many critics are calling the best of the festival. But I can’t stand it. I sat through all two hours of this boring, tasteless, bland film and still got nothing out of it. I was absolutely baffled hearing weeping all around me as it started to reach the end. People actually liked this? How? [ganzer Artikel]

Aber darf er so etwas sagen? Darf er als Kritiker gegen die Meinung aller anderen anwettern, sogar gegen die der Festivaljury, die dem Film die Goldene Palme verliehen hat? Was folgte war eine rege Diskussion in den Kommentaren seiner Artikelveröffentlichung. Der Autor wurde als inkompetent hingestellt, seine Kritiken seien sowieso nicht aussagekräftig. Er sei doch kein wirklicher Kritiker, kein Mensch für die Internationalen Filmfestspiele von Cannes, wo nur hochwertige Werke laufen würden – zumindest sagt das der Rest der Welt.

Ähnlich erging es A. O. Scott von der New York Times, als er sich wenig begeistert von dem Sommerblockbuster „The Avengers“ zeigte. Selbst Samuel L. Jackson, im Film als S.H.I.E.L.D.-Direktor Nick Fury zu sehen, verbreitete über seinen Twitter-Account die Nachricht, dass sich Scott besser einen neuen Job suchen solle, einen Job den er ausüben könne. Hier muss sicherlich der Unterschied gemacht werden, ob es sich nun um einen Filmkritiker der New York Times handelt oder aus dem Netz, aber man möchte gerade bei A. O. Scott, einem langjährigen Mitarbeiter der Times, auch davon ausgehen, dass er die Leidenschaft für das Medium Film in sich trägt. Eine eigene Meinung zu haben scheint schwer:

“I’m always angry,” he says at one point, and while “The Avengers” is hardly worth raging about, its failures are significant and dispiriting. The light, amusing bits cannot overcome the grinding, hectic emptiness, the bloated cynicism that is less a shortcoming of this particular film than a feature of the genre. Mr. Whedon’s playful, democratic pop sensibility is no match for the glowering authoritarianism that now defines Hollywood’s comic-book universe. Some of the rebel spirit of Mr. Whedon’s early projects “Buffy the Vampire Slayer,” “Firefly” and “Serenity” creeps in around the edges but as detail and decoration rather than as the animating ethos. [ganzer Artikel]

In dem New York Times Video-Podcast “The Sweet Spot” vom 1. Juni 2012 äußert sich A. O. Scott gegenüber David Carr selbst zu diesem Phänomen, bei dem die Filmkritik zum Streitobjekt wird, wenn die Meinung nicht der Masse entspricht.

filmtogo.net ist davon nicht ausgenommen. In einer Kritik zu dem 2010 entstandenem Lokalfilm „Die Bielefeld Verschwörung“ lehnte man sich weit aus dem Fenster, als man die Produktion für gänzlich gescheitert befand. Natürlich fehlten hier der Lokalpatriotismus und der Gedanke an die viele Arbeit, die hinter den Kulissen geleistet wurde. Vorwürfe, die für das fertige Produkt jedoch nicht zählen sollten. Aber wenn ein Kritiker – oder Hobby-über-Film-Schreiber – sich nicht der Masse anpasst, so scheint es wiederum die größte Kritik zu hageln – oftmals nicht gegen die Filmkritik, sondern gegen den Autoren.


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