Jahr 2011 beginnt mit dem “Arabischen Frühling”
Es sind elektrisierende Momente der Überwältigung und Freude – Freude für das ägyptische Volk. Endlich hat auch Pharao Mubarak durch das Fenster geblickt und die wütenden Demonstranten erkannt. 18 Tage – soviel Durchhaltevermögen muss man erstmal haben, in Anbetracht der über 300 grausam getöteten Menschen und tausenden Verletzte. Noch am Montag schien die Revolution an Fahrt zu verlieren. Bis dann Aufnahmen eines Initiators des Aufstandes, der zuvor inhaftiert und Anfang der Woche wieder freigelassen wurde, die Runde machten. Man hielt ihm Bilder der getöteten Menschen vor, beschuldigte ihn, er sei dafür verantwortlich. Dieser brach in Tränen aus, warf aber zurecht dem Regime vor, die Schuld dafür zu tragen. Die Revolution gewann wieder an Fahrt, bis schließlich am Donnerstag sich das Gerücht, Mubarak würde seinen Rücktritt am Abend kundtun, schlagartig in der ganzen Welt verbreitete. Die Rede Mubaraks jedoch erfüllte nicht die zuvor noch hohen Erwartungen. Am darauf folgenden Tag strömten wieder zehntausende, wenn nicht sogar hunderttausende Ägypter zum Tahrir-Platz. Wieder wurden Parolen gerufen, die den Rücktritt Mubaraks forderten. Am Freitag Abend gegen 17 Uhr hiesiger Zeit, bricht dann der gesamte Tahrir-Platz in Jubel aus. Der letzte Pharao ist nicht mehr. Suleiman, der neulich ernannte Vize-Präsident, kündigt diese sehnsüchtig erwartete Nachricht sehr trocken in einer 30 Sekunden Ansprache an.
Es ist diese Freude, welches sich das ägyptische Volk reglich verdient hat, und die Welt – zumindest ein Großteil von ihr – freut sich mit ihnen. Ein Reporter sagte hierzu, es sei ein unheimliches Privileg als Journalist, solch ein sensationelles und äußerst seltenes Ereignis live miterleben zu dürfen. Vielen Reportern vor Ort merkt man den emotionalen Moment an.
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Blicken wir zurück. Ägypten ist ein beliebtes Touristenziel. Das Land der Pharaonen und dem Roten Meer. Es ist ein beliebtes Urlaubsland. Die Unzufriedenheit der Bevölkerung, davon bekommt man kaum etwas bis nichts zu spüren. Ebenso Tunesien. Und so geht es vielen arabischen Völkern, die von den Diktatoren mit eiserner Hand regiert werden. Am 17. Dezember 2010 zündet sich Muhammad Bouazizi in Sidi Bouzid, Tunesien, an. Grund dafür sind die Ungerechtigkeiten, die er vom Polizeistaat schon mehrmals erfahren hat. Sein verzweifelter Akt führt schnell zu kleineren Protesten in Sidi Bouzid und anderen Städten. Schnell versucht das Regime wieder einmal mit Gewalt diesen zu antworten. Doch die Proteste gewinnen an Aufwind und neben den oftmals gut gebildeten Jugendlichen ohne Jobs reihen sich eine Menge an Anwälten, Lehrern, usw. dazu. Am 14. Januar 2011 ist Ben Ali gestürzt. In Ägypten und der restlichen arabischen Welt verfolgte man dieses Ereignis mit Bewunderung und ein paar dieser Länder wollten dem gleich tun. Ägypten organiserte sich schnell. Am 25. Januar, so hieß es, soll die Revolution beginnen – The Egyptian Uprising. Und gleich zu Beginn schlägt das Regime mit harten Bandagen um sich. Auch bei der ägyptischen Revolution machen viele Bilder und Videos über das Internet, insbesondere Facebook und Twitter, die Runde und zeigen grausame Szenen inmitten der Zusammenstöße. Schnell wird das Internet gesperrt und Journalisten werden an ihrer Arbeit gehindert. Doch nichts hilft. Die Ägypter, insbesondere die Jugend, sind entschlossen.
Was die arabischen Revolutionen so besonders macht. Unheimlich viele Parallelen konnte man während der Aufstände in Ägypten zu denen von Tunesien feststellen. Nicht nur im Handeln und Reagieren des Regimes, sondern auch im Verhalten der Bevölkerung. Es sind teilweise Bilder und Videos, aber vor allem viele Berichte, von denen man zu hören bekommt, die davon erzählen, wie die Bevölkerung sich gegenseitig unterstützt. Wasser wird verteilt, Ärzte schließen ihre Praxen und versorgen Verletzte vor Ort, die Demonstranten machen die Straßen sauber, junge Menschen schützen ihre Viertel, als Plünderer von der Regierung geschickt wurden, sie kontrollieren die Polizei, welche nicht mehr Freund und Helfer ist. Doch am meisten hat mich die folgende Nachricht beeindruckt: Christen beschützen die Muslime beim Freitagsgebet vor Schlägertrupps und Muslime beschützen die Christen bei ihrer Sonntagsmesse. Diese Message muss die Welt erreichen. So muss es sein! Der Anschlag auf die Kopten noch im Neujahr 2011 hatte ein konfliktreiches Bild zwischen Christen und Muslimen in Ägypten abgegeben. Doch spekulieren viele, dass dieser sogar vom Innenministerium angestachelt wurde. Nicht zuletzt solidarisierte sich das Volk schon damals und nahm die Christen in Schutz.
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Die Zukunft. Der 11.02.2011 ist ein Tag der Freude und Feier und das zurecht. Doch leider wird man sich schon bald Gedanken um die Zukunft des Landes machen müssen. Diese Aufstände sollen nicht umsonst gewesen sein. Tunesien ist bereits ein Stück vorwärts gegangen. Nach weiteren Protesten nach dem Sturz Ben Alis wurde die Übergangsregierung nochmals neu gebildet. Für Ben Ali wurde ein Haftbefehl gestellt und seine Partei RCD soll auf juristischem Wege aufgelöst werden. UN-Verträge, welche Presse- und Meinungsfreiheit garantieren sollen, wurden unterzeichnet und eine demokratische Wahl soll in die Wege geleitet werden. Ebenso haben nun etliche im Exil lebende Tunesier wieder ihr Heimatland betreten können und Oppositionen können sich organisieren. Es sind Zeichen der Besserung, dennoch kommt es hier und da noch zu Konflikten, bei denen zuletzt auch wieder mindestens zwei Menschen getötet wurden. So wird auch Ägypten sich nun der schwierigsten Aufgabe stellen müssen. Einer Aufgabe, die nicht leichter wird, wenn man dabei die internationalen Interessen noch in Betracht zieht. Die USA und Europa haben nicht zuletzt großes Interesse an Stabilität und einem westlich-treuem Partner in Ägypten, da dieses Land den Suez-Kanal beheimatet und direkt an Gaza angrenzt. Und wie wir die letzten Wochen durch die Tunesier und Ägypter deutlicher denn je erleben konnten, ist die Weltpolitik ein dreckiges Geschäft.
Der “Arabische Frühling”. In Jordanien und Jemen gab es auch bereits Aufstände. Araber in den anderen Ländern verfolgen gründlich die Nachrichten aus Ägypten, dem bevölkerungsreichsten arabischen Land, welches weltpolitisch eine der bedeutendsten Rollen inne hat. Viele sehen in Ägypten den Schlüssel zur arabischen Revolution. Schafft es Ägypten sich zu befreien, so werden die anderen nicht mehr lange auf sich warten lassen. Tatsächlich wurde nun auch wieder in Algerien angekündigt, man wolle auf die Straße gehen. Einige fordern lautstark, dass Gaddafi, der Herrscher Libyens nun dran glauben soll. Die arabische Welt atmet auf – sie lebt. Und sie zeigt der Welt ein neues Gesicht. Während insbesondere seit dem 11.September 2001 der arabischen Welt immer mehr das Image des Bösen aufgedrängt wurde, brechen nun die Bevölkerungen aus dieser Rolle aus und zeigen der Welt ein neues freiheitsliebendes Gesicht. Dies erschüttert sicherlich das Weltbild so einiger Menschen.
Freiheit. In der Schule lehrte man mir schon recht früh, dass wir in Deutschland die Meinungsfreiheit, Religionsfreiheit, usw. schätzen lernen sollten. Wie es sich gehörte nickte man mit dem Kopf und bejahte dies, im Glauben durch den Verstand dies tatsächlich wertzuschätzen. Gefühlsmäßig konnte ich Freiheit jedoch erst dann wirklich wertschätzen, wenn diese meine eingeschränkt war, wenn ich in Tunesien sehr behutsam mit meinen Meinungsäußerungen zur Regierung in der Öffentlichkeit umgehen musste. Wenn ich zu hören bekam, wie Leute von korrupten Beamten bestochen und geschlagen wurden. Freiheit – Es ist ein Gefühl, was unbeschreiblich ist und was nun Millionen von Menschen weltweit miterleben durften, die Ägypter und Tunesier hautnah.
Elf Elf Mabrouk ya Masr – Tausende Glückwünsche Ägypten
und
Viel Erfolg Algerien, …