Seit vielen Jahren bin ich daran gewöhnt, mich für die Wahl meiner Fahrzeuge rechtfertigen zu müssen. Das begann nicht erst mit dem Renault Twizy, den ich seit Sommer für die täglichen Kurzstrecken nutze, sondern schon vor zehn Jahren, als ich kurz nach seinem Erscheinen den Audi A2 zu meinem Auto machte – ein Modell, das ich seitdem ohne Pause in verschiedenen Ausführungen nutze und ausserordentlich schätze.
Der Rechtfertigungsdruck, der von "normalen" Autofahrern ausgeht, wenn sie ein (wenn auch nur leicht) von den Konventionen des "mehr und stärker" abweichendes Fahrzeug sehen, hat auch eine angenehme Seite: Er erzeugt nämlich ein ziemlich starkes Gefühl der Sicherheit, wenn nicht sogar Überlegenheit, weil man nach vielen Tausend Kilometern weiß, welche Vor-Urteile unsinnig sind, und welche Vorteile dem voreingenommenen Normalnutzer entgehen. Als Designer schätze ich zusätzlich die radikale Stringenz, die intelligente Funktionalität und die fast bauhausmäßig klare Formauffassung, die Audi beim A2 verwirklicht hat.
Wegen eines merkwürdigen Malheurs, an dem etwa 20 Kilogramm schweizer Schnee beteiligt waren, musste mein A2 in eine Karosseriewerkstatt und ich wurde für etwa 2 Monate zum Golf-Fahrer.
Golf heute: Alles richtig gemacht.
Die Welt sieht aus einem Golf betrachtet anders aus. Man befindet sich ja sozusagen in der Mitte der Gesellschaft. Dieses Auto wird allgemein anerkannt und wenn es dunkelgrau lackiert ist und schöne, moderne Felgen trägt, sogar bewundert. Trotzdem musste ich mich erst daran gewöhnen, in gewisser Weise nicht gesehen zu werden. Niemand schaut nach, was "da für einer drinsitzt", niemand riskiert wegen des Autos einen zweiten Blick. Man wird als Insaße unsichtbar.Das hat interessante Folgen für andere Bereiche des Lebensstils. Musik, die ich sonst immer und gerne höre, erschien mir auf einmal seltsam und irgendwie überkandidelt. Auf der anderen Seite kam mir der "scheinkonservative" Kleidungsstil den ich pflege plötzlich todlangweilig und lahm vor. In einer dunkelblauen Übergangsjacke mit Rautenstepp einen relativ auffälligen A2 zu verlassen fühlt sich vollkommen anders an, als mit derselben Jacke einem dunklen Golf zu entsteigen.
Auch die Wahrnehmung anderer Fahrzeuge verändert sich. Und zwar in Richtung des bekannten schwäbischen Prinzips "no nix narrets", also hin zu einer Ablehnung von allem, das irgendwie überflüssig oder übertrieben wirkt. Man begreift, dass für einen Golf-Fahrer ein Opel Astra mit seinem dynamisch-gefälligen Stil ein indiskutabler Modeartikel sein muss. Man nimmt die Unterscheide zwischen japanischen, koreanischen und europäischen "nicht-Premium"-Marken feiner wahr, dabei fällt ins Auge, wie sehr sich alle bemühen, toll, aufregend und dynamisch auszusehen – und wie gleichartig alle diese Bemühungen am Ende doch wirken.
Es ist ja nicht so, dass VW beim Golf auf Eindruck machende Details verzichtet. Außen sind das die Leuchteinheiten, die ausdrücklich als "Showcase", also als kleiner Ausstellungsraum für technische Kompetenz und Brillanz, gestaltet werden. Im Interior sind das bestimmte Schalter und Knöpfe, deren Form und Material eher nach Kriterien des Stils als der Funktion gewählt zu sein scheint.
Die Kunst, die VW beim Golf zur größten Höhe triebt ist die, individuelle, teilweise beinahe avantgardistische Lösungen so aussehen zu lassen, als wären sie schon immer da gewesen. Beim Golf II hat man z.B. begonnen, starke Proportionskontraste anzuwenden: Es gibt eigenartig kleine, filigrane Details, die in großen, fast groben Flächen sitzen. Dieses Stilmittel hat VW bis heute beibehalten und zum Charaktermerkmal des Golf gemacht. Bemerkt wird diese Besonderheit kaum, jedenfalls nicht von Freunden des Hauses.
So etwas hilft, das Prinzip der "Referenz ohne Nachahmer" zu verwirklichen, das für den Golf lebenswichtig ist. Man sieht aber auch, dass der Gestaltungsspielraum für "Das Auto", wie VW den Golf jetzt nennt, immer enger wird. Das ist die Last des unglaublichen Erfolges: 22.000 Golf und Jetta wurden laut Autozeitung in Deutschland im Oktober verkauft, mehr, als als von den Modellen der Plätze zwei bis vier zusammen (die im Übrigen auch aus dem VW-Konzern stammen)!
Dieser Golf 1 hat noch nicht einmal Kopfstützen…
Mein Golf hatte, wie man so schön deutsch, mit anerkennend vorgeschobener Unterlippe, sagt, "Vollausstattung". Er umsorgte mich mit einem automatisierten Getriebe, konnte automatisch einparken und seine Soundanlage gehörte zu der Sorte, die klangmäßig auf "Beeindrucken" programmiert sind – nicht auf lineare Wiedergabe dessen, was im Studio erarbeitet wurde. Das alles macht am Anfang großen Spaß. Aber das Gefühl des Umsorgt-Seins schlägt – zumindest schlug es bei mir – schnell in ein Gefühl des Bevormundet-Werdens um. Man erlebt sich nicht mehr als Bändiger von Technik (wie das vielleicht zu Zeiten des Golf 1 noch der Fall war), nicht mehr als Nutzer eines komplexen, ausgereiften Gegenstandes, sondern als Angestellter eines Richtigkeits-Unternehmens, in dem keine Fragen erlaubt sind. Es ist z.B. nicht möglich, die Steuerung des DSG so zu überlisten, dass es etwas später hochschaltet. Das Ausschalten des Radios ist so gestaltet, dass man dabei den Eindruck bekommt, einen unguten Ausnahmezustand herzustellen. Bei allem was man tut und lässt ist eine Art stumme Referenz spürbar, wie die Nutzung eigentlich gedacht sei. Nach einigen Wochen, empfand ich das Fahren im Golf dann auch nicht mehr als komfortabel und erfreulich, sondern als Arbeit. Trotz all der Helferlein und obwohl hier alles so richtig ist. Und das Design des Golf wirkte nicht mehr cool, sondern freudlos.Perfektion macht traurig. Dieser Satz fällt mir bei der Begegnung mit Oberklasselimousinen regelmäßig ein, mittlerweile scheint der Effekt in der Mitte der Gesellschaft angekommen zu sein.
Als Zeuge der Anklage diene der Twizy: Das zweisitzige Leichtgefährt ist alles andere als perfekt. Es verfügt über keinerlei Komfort, kommt ohne Seitenscheiben aus, hat ein nicht ganz unproblematisches Fahrverhalten, wird bei exakt 83 km/h Tachoanzeige abgeregelt, und ist, wenn man darin fährt, trotz Elektroantrieb nicht einmal leise, weil das gerade verzahnte Untersetzungsgetriebe singt und pfeift, dass Gott erbarm'. Dennoch (oder deswegen?) schafft das Gefährtchen es, dass sich auf den kurzen Strecken, die man damit fahren kann, regelmäßig die Mundwinkel heben und gute Laune auftritt. Das hat mit der Unmittelbarkeit des Fahrerlebnisses zu tun, mit dem beinahe sportlichen Anspruch, den der Twizy an seinen Reiter – pardon: Fahrer stellt. Und mit dem nonchalanten Witz, mit dem das ganze Ding gestaltet ist – durchaus intelligent, sehr pragmatisch und trotzdem mit Chic.
Vielleicht lässt sich hier was lernen. Der Golf 1 wusste davon noch einiges.