Weltliteratur sind die Werke, die die Seele weiten um innere und äußere „Welt“*
*(Pongs, Hermann: Vorwort. In: Lexikon der Weltliteratur.)
Das Rezeptionsvergnügen und die Welten öffnende Wirkung von Literatur ist nur eine von vielen Umschreibungen für den Begriff der Weltliteratur. Im Alltag sprechen wir von Klassikern, einem Kanon, „Bücher, die man gelesen haben muss“ oder einer Zusammenstellung der besten Nationalliteratur. Doch hinter Weltliteratur verbirgt sich mehr: eine Begriffstradition und zeitgemäße Konzepte, die sich z.B. auf Gegenwartsliteratur und dem Schreiben unter globalisierten Bedingungen anwenden lassen.
Aus der Frage heraus, was Weltliteratur sein kann und wie man sie vermitteln kann, ist die Veranstaltungsreihe „Weltbewegt“ entstanden. Im Projektseminar „Weltliteratur aktuell“ an der Justus-Liebig-Universität habe ich gemeinsam mit weiteren Studierenden eine Doppelveranstaltung aus Workshop und Lesung konzipiert, die wir derzeit in Gießen durchführen.
Workshop zur Weltliteratur
Der Workshop fand letzten Donnerstag statt und lockte überwiegend junge Interessenten an. Gleich zu Beginn näherten sich die Teilnehmer dem Begriff durch Zitate und Textauszüge. Angefangen von Goethe – der Weltliteratur als einen Prozess und Austausch zwischen Autoren, Ländern und Kulturen begreift – bis hin zu neuen Tendenzen aus der Forschung, wie z.B. Mehrsprachigkeit, Transnationalismus und Migration.
Dadurch ergab sich ein breites Spektrum, wie man den offenen Begriff der Weltliteratur füllen kann: Übersetzungsprozesse, kommunikativer Austausch, Grenzüberschreitung, Sprachmischungen sowie das Verhältnis lokal-global.
Ein Basar weltliterarischer Besonderheiten
Die theoretischen Überlegungen zur Weltliteratur wurden im praktischen Teil des Workshops auf Texte von ausgewählten Autoren und Autorinnen angewendet und untersucht. Hierzu erkundeten die Teilnehmer unsere Zusammenstellung über: Juli Zeh, Yoko Tawada, Wladimier Kaminer, Emine Sevgi Özdamar, Uwe Timm und José F.A. Oliver. Auf den Tischen versammelten sich Interviews, Textausschnitte, Fragestellungen und weitere Anregungen zum Nachdenken, Austauschen und Diskutieren.
Ich habe mich ausführlich mit Juli Zeh auseinandergesetzt und ihre Texte nach weltliterarischen Bezügen untersucht. (Die Ergebnisse folgen in einem separaten Artikel). Sie ist ein sehr gutes Beispiel, da man sie auf den ersten Blick nicht mit Weltliteratur in Verbindung bringen würde. In ihrem Reisebericht Die Stille ist ein Geräusch denkt sie globale Probleme für den Einzelnen mit, übernimmt auf die Weise Verantwortung und beschreibt Fremdheitserfahrungen.
Experimenteller Abend zur Weltliteratur
Der zweite Teil der Reihe „Weltbewegt“ findet diesen Donnerstag, 30.01.2014, statt: Ein experimenteller Abend aus Theaterperformance, Lesung und KlangKonzert, der sowohl sprachliche, inhaltliche als auch mediale Grenzen überschreitet. Zu sehen und zu hören gibt es u.a. einen Auszug aus dem „Sounds. LeseKonzert“, einem dreisprachigen Audiogedicht und Lesung von Friederike Kenneweg, die Theaterperformance Medea: „bruchSTÜCKE“, entwickelt und aufgeführt von Viola Grunow und Leonie Vogler, und die Lesung eines Textes von Christian Wolf (Preisträger Junges Literaturfourm Hessen-Thüringen 2013) – und ich werde außerdem eine meiner Kurzgeschichten vortragen.
Weltliterarischer Literaturbetrieb
Ein Blick in die Gegenwartsliteratur und den Literaturbetrieb zeigt uns, wie aktuell und relevant der Begriff Weltliteratur sein kann. Terézia Mora (ungarischer Herkunft und ausgezeichnet mit dem Deutschen Buchpreis 2013), Olga Martynowa (russischer Herkunft und Bachmann-Preisträgerin 2012) und Katja Petrowskaja (ukrainischer Herkunft und Bachmann-Preisträgerinn 2013) stehen nur beispielhaft für Schriftsteller, die gleichzeitig Grenzgänger sind: Sie überschreiten geografische und kulturelle Grenzen, reflektieren ihre (sprachlichen) Weltwahrnehmungen, denken engagiert und globalisiert.
Es gibt also weder eine eindeutige noch eine Ein-Satz-Definition des Begriffes Weltliteratur. Und genau darin besteht seine Tragfähigkeit und Aktualität: weil er auf seine Tradition verweist und dabei gleichzeitig mit neuen Inhalten gefüllt werden kann.