Die Wahrheit kann hilfreich sein, aber auch Menschen kränken und zerstören!

Von Wernerbremen


Ihr Lieben,

ich möchte Euch heute die Geschichte eines unbekannten Autors erzählen:
„Die Wahrheit“ 

„Es war einmal ein junger Krieger, der um die Hand einer schönen Prinzessin anhielt.

Ihr Vater, der König, fand allerdings, dass er allzu anmaßend und unerfahren war und stellte ihm deshalb eine Aufgabe: Er könne die Prinzessin erst dann heiraten, wenn er die Wahrheit gefunden habe.

Und so zog der junge Mann auf der Suche nach der Wahrheit in die Welt hinaus. Er kam zu Tempeln, Klöstern und er stieg auf alle erdenklichen Berggipfel, wo Weise meditierten, um diese nach der Wahrheit zu fragen.

Er ritt auch in die entlegensten Wälder, wo sich Asketen geißelten, doch nirgends konnte er die Wahrheit finden. Er war kurz vorm Aufgeben, als er eines Tages Schutz vor einem Gewitter suchte und in eine schummrige Höhle flüchtete. Dort lebte ein altes Weib mit verfilztem Haar und Warzen im Gesicht. Ihre Haut hing schlaff an ihren knochigen Gliedern. Wenn sie ihren Mund öffnete, entwich ihm ein übler Gestank und ihre Zähne waren gelb und faul.

Doch im Laufe des Gesprächs erkannte er mit jeder Antwort auf seine Fragen, dass er am Ziel seiner Reise angelangt war: Sie war die Wahrheit. Sie redeten die ganze Nacht und als der Sturm sich gelegt hatte, erklärte der Krieger ihr, dass er seine Aufgabe erfüllt habe.

"Doch, nun da ich die Wahrheit gefunden habe", fragte er, "was soll ich im Palast über Dich erzählen?" Die verhutzelte alte Frau lächelte breit und antwortete. "Sag ihnen, ich wäre jung und schön!"  

Ihr Lieben,

als ich diese Geschichte zum ersten Mal las, vor allem ihr Ende, war ich sehr erschrocken, denn auch ich stelle mir in meinen Gedanken die Wahrheit eigentlich als eine wunderbare Schönheit vor.
Und dann fordert die Wahrheit den jungen Mann auch noch auf, zu lügen!
Wie passt das zusammen???

Erst nachdem ich die Geschichte mehrmals gelesen hatte, wurde mir der innere Sinn deutlich:
Die Wahrheit ist etwas, das oft gar nicht schön ist.
Nehmen wir doch einmal unsere eigene Welt als Beispiel:

Wenn Ihr ein Girokonto besitzt und 500.- Euro Sparguthaben, dann gehört Ihr zu den 10 (!) Prozent der Menschen auf dieser Welt, die so reich sind, 90 Prozent der Menschen auf dieser Welt besitzen weder ein Girokonto und erst recht kein Sparguthaben von 500.- Euro.
Die Wahrheit ist also oft hässlich, gar nicht schön und hart.
Dafür ist die alte Frau in unserer Geschichte das Sinnbild.
Wenn wir aber das, was wir als Wahrheit erkannt haben, anderen Menschen verkünden wollen, dann sollten wir das liebevoll tun.
Ich meine nicht damit, dass wir lügen sollen, aber dass wir die Wahrheit in ein schönes Kleid stecken sollten. Das ist das, was die alte Frau meint, wenn sie dem jungen Mann rät, zuhause zu erzählen, sie sei jung und schön.

Ein Beispiel:
Wenn eines unserer Kinder oder Enkelkinder Schwierigkeiten in der Schule z.B. im Fach Mathematik hat, dann könnten wir zu ihm sagen:
„Du bist zu dumm für Mathematik!“

Vielleicht wäre das sogar die hässliche Wahrheit.
Wir könnten aber auch zu diesem Kind oder Enkelkind sagen:
„Ich sehe, Du hast Schwächen in Mathematik, lass uns hinsetzen und gemeinsam überlegen, wie Du diese Schwächen beseitigen kannst!“

Das wäre dann die junge und schöne Wahrheit!
Ich hoffe, dass uns Gott jeden Tag die Weisheit gibt, die Wahrheit in liebevoller, annehmbarer Weise weiterzugeben, sodass sie den anderen Menschen nicht kränkt und zerstört, sondern ihm hilft, sein Leben noch besser zu bewältigen.
Ich wünsche Euch einen fröhlichen Nachmittag und grüße Euch alle ganz herzlich aus dem schönen Bremen
Euer heiterer Werner

Das Foto wurde von Karin Heringshausen zur Verfügung gestellt