Die Wahrheit – ist sie wirklich immer eindeutig?

Von Wernerbremen

„Die Wahrheit ist eine Keule, mit der ich meinen Mitmenschen erschlagen kann. Viel wichtiger ist es, GEMEINSAM darüber nachzudenken, was wirklich geschehen ist.“
Alexander Rykow
Ihr Lieben,

heute möchte ich Euch eine Geschichte vor Curt Goetz erzählen.
Das Besondere an dieser Geschichte ist – und das war auch von Curt Goetz so gewollt – dass diese Geschichte praktisch auf jeden Menschen übertragen werden kann.
„Die Wahrheit?!“

„Lieber Leser, stelle Dir bitte einmal vor, Du möchtest abends noch einen Spaziergang in einem kleinen Wäldchen machen. Nur 10 Sekunden, nachdem Du das Wäldchen betreten hast, betritt ein junges Ehepaar aus der entgegengesetzten Richtung das Wäldchen.
Während Deines Spazierganges hörst Du plötzlich einen gellenden Schrei.

Du hast nun zwei Möglichkeiten:
Die eine ist, das Wäldchen schnellstens wieder zu verlassen, die andere ist, in die Richtung zu eilen, aus welcher der Schrei ertönte.
Da Du engagiert und verantwortungsbewusst bist, entscheidest Du Dich für die zweite Möglichkeit und eilst in Richtung des Schreies. Du bist sehr aufgeregt. Auf einer kleinen Lichtung findest Du einen Mann, der auf dem Rücken liegt und furchtbar stöhnt. In Deiner Aufregung beugst Du Dich über diesen Mann und erkennst, dass etwas in seiner Brust steckst. Um ihm zu helfen, fasst Du an seine Brust, da erkennst Du erst, dass ein Messer in seiner Brust steckt.

In dem Augenblick, in dem Du Dich über den Mann beugst und das Messer in seiner Brust berührst, stirbt der Mann und unglücklicherweise betritt jetzt das junge Ehepaar, das zehn Sekunden nach Dir das Wäldchen aus entgegengesetzter Richtung betreten hat, die Lichtung.

Was glaubst Du, für wen man Dich halten wird?
Du bist am Tatort, Deine Hand hat die Tatwaffe berührt, an der Deine Fingerabdrücke sind, und das Ehepaar wird aussagen, dass es Dich angetroffen hat, wie Du gerade über dem Mann standest mit der Hand an der Tatwaffe.
Wenn nicht ein Wunder geschieht, wird man Dich zweifelsfrei (!) für den Mörder halten!“

In Wirklichkeit aber wolltest Du doch nur helfen!!!!!

Ihr Lieben,
als ich als junger Student diese Geschichte von Curt Goetz zum ersten Mal las, hat sie mein Denken, was Schuld und Unschuld betrifft, völlig verändert. Seitdem bin ich sehr vorsichtig, ein Urteil über einen Menschen zu fällen.
Vor allem ist es mir bis heute immer sehr wichtig, erst einmal denjenigen, dem etwas vorgeworfen wird, zu fragen, was er dazu zu sagen hat.
So habe ich das auch bei meinen Kindern gehalten.
Ich habe immer erst einmal meinen Kindern geglaubt, auch wenn alles gegen sie sprach und ich bin damit sehr gut gefahren.
Denn meine Kinder gewannen dadurch großes Vertrauen zu mir und erzählten mir von selbst, wenn sie etwas getan hatten, das nicht in Ordnung war.

Es ist besonders bei unseren Kindern und Enkelkindern sehr wichtig, dass wir ihnen glauben, dass wir auf ihrer Seite stehen, zu ihnen halten.
Es kann doch nicht sein, dass wir anderen, fremden Menschen mehr glauben als unseren eigenen Kindern.

Ihr Lieben, ich wünsche Euch nun eine gute neue Woche, ganz viel Vertrauen in Eure Kinder und Enkelkinder und ganz viel Freude in Euer Herz.

Euer zuversichtlicher und vertrauensvoller Werner
 

Das Foto wurde von Karin Heringshausen zur Verfügung gestellt