Die Waage ist ein wildes Tier


Die Waage ist ein wildes Tier

So, da stehst du nun vor dem Spiegel. 1. Januar 2013. Vorsatzgeschwängert. Besser essen, mehr bewegen. Ganz einfach. Du schaffst das, denkst du. Der Griff an das Hüftgold, die Love-Handles. Sie sind da. Wulstig. Aber schon etwas weniger wulstig als noch gestern. Wegen des leichten Frühstücks, Toast, etwas Margarine, Orangensaft, eine halbe Banane. Das hat bestimmt schon gewirkt, denkst du beim Blick in den Spiegel, beim Griff in die Love-Handles. Das hat schon Spuren hinterlassen, das leichte Frühstück. Besser essen, mehr bewegen.

Die Waage ist ein wildes Tier

Die anderen schaffen das ja auch.
Bekannte, zwölf Kilo abgenommen, in sechs Monaten, zwei Kleidergrößen weniger, mindestens. Du hast es ja mit eigenen Augen gesehen, neulich erst. Die im Fernsehen, die in der Werbung, die schaffen das ja auch immer. Ohne Hunger, schmeckt lecker, macht Spaß, spart noch dazu Geld und ist ganz einfach. Flugananas, Gurke, carbohydrates only, potatoe, potato, tomatoe, tomato, die Traumdiät genau für dich. Michelle Hunziker hat die bestimmt auch gemacht. Sieh sie dir an, das muss wirken! Daniel Craig hat die bestimmt auch gemacht, sie ihn dir an, das muss wirken. Diesmal wirst du es schaffen, denkst du.

Dauerbrenner Übergewicht

Auf den ersten Blick sind die Zusammenhänge ganz einfach: Wenn man mehr Kalorien isst, als verbrennt, nimmt man zu. Isst man genauso viel, wie man sich bewegt, ändert sich nichts. Verbrennt man mehr als man isst, nimmt man ab. Ein einfacher Zusammenhang, plausibel und nachvollziehbar. Auf den zweiten Blick werden die Zusammenhänge komplizierter. Warum schaffen es einige, ihr Gewicht zu halten? Warum nehmen andere immer nur zu, egal wie viel oder wie wenig sie sich bewegen? Bei einigen scheint die Gleichung aus „Kalorien durch Essen rein“ und „Kalorien durch Bewegung raus“ nicht so ohne weiteres auf Null aufzugehen. Einige Kalorien scheinen bei diesen Menschen am Ende des Tages immer übrigzubleiben. Egal wie viel sie essen und wie viel sie sich bewegen.
Seit ca. Mitte der 80er Jahre nehmen die Prävalenzen an Übergewicht und Fettleibigkeit in den Industrienationen zu, das ist Fakt. In den Vereinigten Staaten sind in einigen Bundesstaaten wie z.B. Mississippi inzwischen 35 % der Erwachsenen fettleibig, jeder Dritte also. Die Tendenz ist ansteigend und scheint nicht so ohne weiteres aufzuhalten. 35 % der Erwachsenen haben in Mississippi einen Body-Mass-Index über 30. Kilogramm durch Meter zum Quadrat ist die Formel, mit der man den BMI berechnet. Ein einfaches Maß. Menschen mit einem solchen BMI haben ein deutlich erhöhtes Erkrankungsrisiko für diverse kardiovaskuläre Erkrankungen und Typ II Diabetes Mellitus. Das ist das einheitliche Ergebnis vieler wissenschaftlicher Studien. Das sagt die Weltgesundheitsorganisation. Perfekt ist der Body-Mass-Index nicht. Er unterscheidet nicht zwischen Fettmasse und Muskelmasse. Der Bodybuilder wird über den BMI auch als fettleibig eingestuft, wegen der hohen Muskelmasse, die er hat. Sein Krankheitsrisiko für die kardiovaskulären Erkrankungen und Diabetes ist trotzdem nicht erhöht, denn eine Erhöhung des Krankheitsrisikos entsteht durch die Fettmasse. Warum erhebt man dann in vielen Studien den BMI, wenn man dessen Schwäche kennt? Weil es einfach ist, den BMI zu erheben („Wie groß sind Sie, wie viele Kilo wiegen Sie?“), im Vergleich zu den deutlich genaueren Alternativen, wie z.B. einer Messung des Körperfettgehalts.
Oft nehmen wir an, dass das mit dem Übergewicht ein typisch US-amerikanisches Problem ist. Das ist es leider nicht. Auch in Europa, auch in Deutschland sprechen die Statistiken eine deutliche Sprache. Aktuelle Daten des Robert-Koch-Instituts weisen für Deutschland eine Rate an Fettleibigkeit unter Erwachsenen von 16 % aus. Das ist weniger als in Mississippi, weniger als im US-Durchschnitt und trotzdem ein besorgniserregender Anstieg, auch in Deutschland. Im europäischen Vergleich sehen die Deutschen nicht gut aus. Die Datenlage ist aber unübersichtlich und zum Teil widersprüchlich. In vielen Studien landen die Deutschen im vorderen Drittel, wenn man den Bevölkerungsanteil von Übergewichtigen und Fettleibigen zusammenrechnet. Wie wurde die Stichprobe gezogen (wie wurden diejenigen, die untersucht oder befragt wurden, ausgewählt?), wie wurde gemessen (über den BMI oder ein anderes Verfahren?), aus welchem Jahr stammen die Daten? Schon kleinere Unterschiede zwischen den Designs der verschiedenen Studien können für die unterschiedlichen Ergebnisse verantwortlich sein. Das muss man dann diskutieren. Wissenschaftliches Tagesgeschäft.

Dein Blick auf die Waage, im Dezember. Der hat den Ausschlag gegeben. Den Vorsatz gezeugt. So geht es nicht weiter, hast du gedacht. Die Waage ist ein böses Tier, hast du gedacht. Springt dich an, in dem Moment, wo du auf es drauftrittst. Wehrt sich, in dem es dir dein Gewicht unter die Augen schlägt. Brutal. Unmenschlich. Ohne jede Sympathie, in Kilogramm gegossen. Es war mehr als du gehofft hattest, aber auch nicht soo viel mehr, hattest du gedacht. Die Kuchen, die Pommes in der Kantine, klar, war klar, dass das nicht spurlos an dir vorbei geht. Du wirst ja nicht jünger. Die Überstunden am Schreibtisch, dein Rad hat ja seit Monaten einen Platten, verregneter Herbst, das Wetter war echt schlecht. Wenn du ehrlich bist, war es keine Überraschung. Den Kampf mit der Waage, zum neuen Jahr wirst du ihn aufnehmen, hattest du dir vorgenommen.

Kampf den Kilos

Welche Diät wirkt am besten? Der Markt der Möglichkeiten ist riesengroß, mit diätischen Lebensmitteln lässt sich eine Menge Geld verdienen. Klangvolle Namen haben sie, die Diäten, überzeugende, gute Argumente. Frühjahr ist Abnehmzeit, wegen der guten Vorsätze und dem drohenden Strandurlaub. Daten aus den Vereinigten Staaten zeigen, wie viele Menschen mit ihrem Gewicht unzufrieden sind. Einige hunderttausend Amerikaner wurden befragt, ob sie gerade versuchen abzunehmen: 46 % der Frauen und 33 % der Männer antworteten auf diese Frage mit „ja“. Spitzenreiter waren Frauen zwischen 18 und 29 Jahren, die fettleibig waren, 79 % von ihnen versuchten abzunehmen. Unzufriedenheit mit dem eigenen Gewicht ist also ziemlich normal. Viele versuchen es mit mehr Bewegung und besserem Essen, oder weniger essen, oder fast gar nichts mehr essen. Kilos runterhungern und dann wieder draufessen. Auf Dauer abnehmen schaffen wenige.
Es gibt wissenschaftliche Studien, die den Effekt verschiedener Diäten verglichen haben. Solche Studien sind aufwändig, das ist kein wissenschaftliches Tagesgeschäft. Freiwillige müssen gefunden werden, die bereit sind, dem Protokoll dieser Studien zu folgen. Essen, was vorgegeben ist, weglassen, was nicht erlaubt ist, über sechs Monate oder zwölf. Dazu immer aufschreiben, was man isst, wie viel, und bitte nicht schummeln, sonst sind die Ergebnisse verfälscht.
Christopher Gartner und seine Forscherkollegen haben die Wirkung von vier Diäten verglichen: Der Atkins-Diät (weniger Kohlenhydrate), der Zone-Diät (weniger Fett, weniger Eiweiß, weniger Kohlenhydrate), der LEARN-Diät (weniger Kalorien, mehr Bewegung) und der Ornish-Diät (weniger Fett, mehr Bewegung). Nach zwölf Monaten war Atkins der Gewinner (4,7 Kilo Gewichtsverlust je Teilnehmer im Durchschnitt). Teilnehmer an den anderen drei Diäten verloren im gleichen Zeitraum jeweils ca. 2 Kilo. Wie sah es nach zwei Jahren aus? Das wissen wir nicht, die Studie hat leider nur ein Jahr gedauert. Das ist eine Studie, nicht mehr als ein Blitzlicht.
Noch eine, in dieser wurden die Teilnehmer immerhin 24 Monate verfolgt. Auch hier gab es vier verschiedene Diäten, mal weniger Kohlenhydrate, mal weniger Fett, mal eine Reduktion der Kalorien insgesamt. Vier Diäten, zwei Jahre, am Ende hatten die Teilnehmer durchschnittlich ca. drei Kilo abgenommen, egal welche der Diäten sie befolgt hatten. Drei Kilo nach zwei Jahren, das ist klinisch bedeutsam, schreiben die Autoren. Will heißen, die Teilnehmer sind gesünder und haben durch die Gewichtsabnahme ihr Krankheitsrisiko reduziert. Drei Kilo in zwei Jahren, viel ist das trotzdem nicht. Hätte man die Teilnehmer gefragt, viele von ihnen wären wohl enttäuscht über diesen Gewichtsverlust. Klinisch bedeutsam hin oder her.
DIE Wunderdiät scheint es also nicht zu geben. Zumindest noch nicht. Es gibt also keinen Grund jeder angeblichen Wunderdiät zu trauen, die einem so über den Weg läuft. Oft sind nur die Jojo-Effekte stärker. Schnell einige Kilo runter, schnell sind sie auch wieder drauf. Die Wissenschaft forscht mit hohem Aufwand, vielleicht bringt die Zukunft ja bessere Diäten, mit besseren Ergebnissen, wer weiß?

Da schiebst du ihn nun, den Einkaufswagen. Der Supermarkt ist ein Vergnügungspark. Neverland für jeden von uns. Immer linksrum. Obst und Gemüse zuerst, damit du dich besser fühlst. Das kaufst du ja auch. Dann geht es los, durch die Wunderwelt der schokolierten Brotaufstriche, zuckergussbeträufelten Frühstückscerealien, Süßes und Salziges sowieso. Lendchen, Flügel, „Nimm-mich-mit-Salami“ und „Iss-dich-schlank-Käse“. Joghurt extra lecker, extra leicht, extra fruchtig. Quark extra sahnig, extra fett. Das sagen sie dir nicht, das Letzte. Du legst in den Wagen, triffst heute gute Entscheidungen, hältst dich zurück, denkst du. „Der an der Kasse sitzt, ist fett“, denkst du beim Bezahlen. So möchtest du mal nicht aussehen. Du kaufst ja jetzt gut ein, isst gut, du bist auf einem guten Weg, denkst du.

Kalorienbomben im Supermarkt

Auf den ersten Blick sind die Zusammenhänge einfach, mal wieder. Es geht um eine ausgewogene Ernährung und die Nahrungsmittelpyramide. Wer viele Kalorien verbrennt, braucht auch kalorienreiche Kost. Kohlenhydrate, Zucker, Fett sind gute Energielieferanten. Die Ausgewogenheit zählt. Salat, Obst, Gemüse, Brot, Fleisch. Wer das isst, kann dann auch mal Pommes, Chips, Schokolade, Kuchen essen. Es kommt auf die Menge an. Es macht keinen Sinn, McDonalds zu verteufeln, oder Milka oder Kelloggs. Gesundes Essen, gesunde Alternativen gibt es heute (fast) überall. Der Markt bietet an, die Konsumenten entscheiden, was sie kaufen und essen. Wir leben schließlich in einer Demokratie.
So oder so ähnlich klingt das Mantra der Nahrungs- und Genussmittelindustrie. Die Nahrungs- und Genussmittelindustrie spricht mit bei den wissenschaftlichen Tagungen, den Anhörungen im Bundestag, sitzt in der deutschen und der europäischen Plattform für Ernährung und Bewegung. Sie vertritt dieses Mantra bei jeder Gelegenheit. Sie macht ihre Lobbyarbeit in Berlin, Paris, Brüssel und London. Diese Lobbyarbeit ist professionell, eloquent und finanziell hervorragend ausgestattet, sie wird befeuert von den Profiten der Konzerne. Und sie wird befeuert von der Angst dieser Industrie, dass es ihnen einmal so gehen könnte wie der Tabakindustrie, dass sie von der Politik reglementiert und an die Kette gelegt wird und dass dann die Profite schmelzen. Dass die Politik sich durchringt zu einer klaren Kennzeichnung von ungesunden Lebensmitteln, oder einer erhöhten Besteuerung von besonders fett- und zuckerhaltigen Lebensmitteln, oder aber Beschränkungen der Werbung und des Verkaufs für bestimmte Produkten.
Mit Nahrungsmitteln lassen sich gute Profite machen, das steht fest. Besonders mit den Nahrungsmitteln, die aus preiswerten Grundstoffen hergestellt werden können, die gut zu transportieren und möglichst lange haltbar sind. Fett und Zucker erfüllen diese Voraussetzungen perfekt. Mit Produkten, die vorwiegend aus diesen Grundstoffen bestehen, lassen sich besonders hohe Profite erzielen. Bei einer Flasche Cola beträgt die Gewinnspanne für die Industrie ca. 90 %, bei einem frischen Apfel sind es nur ca. 10 %. Das erklärt, warum die Konzerne ein hohes Interesse haben, den Verkauf von Cola, Chips und gezuckerten Cerealien nicht zu verringern. Im Gegenteil, diese Produkte werden besonders beworben, die Konsumenten werden umgarnt, genau diese Produkte zu kaufen. „Mmmh, schmeckt lecker, ein Traum, zergeht im Gaumen, schließ die Augen beim Genießen“, sagt die Werbung. Schon die Kleinsten sind dieser Werbung ausgesetzt zwischen ihren Zeichentrickhelden und deren Abenteuergeschichten. Es wirkt, in den letzten Jahren sind die Zusammenhänge zwischen dem Schauen von Werbung und dem Konsum ungesunder, kalorienreicher Nahrungsmittel bei Kindern gut belegt worden. Wer viel Werbung schaut, isst viel ungesundes Zeug. Bequengelt Mama und Papa im Supermarkt. Für Äpfel wird im Kinderprogramm nie geworben.

Die sind echt nett hier, denkst du. In ein anderes Fitnessstudio dieser Kette gehen auch die Kollegen, die haben es empfohlen. Freundlich, kompetent, sauber, nicht zu teuer ist es. Wenn die Supermärkte Neverland sind, dann sind die Fitnessstudios Tempelanlagen. Körperkult die Religion, so ist das heute. Das hier ist nett, denkst du. Da sind auch andere, die neu sind, man sieht es ihnen an, wie sie da unsicher zwischen den Geräten stehen, in die Spiegel schauen. Da sind auch welche, die es nötiger haben als du. Du kannst schnuppern und dich umschauen, eine Trainingseinheit mit einem der Coaches ist gratis. Du hast an den Hebeln gezogen, dich auf den Sitz gezwängt, dabei gelächelt, die sollen sehen, dass dir das Spaß macht und du für dein Alter noch ziemlich fit bist, hast du gedacht. Nachher hat es sich gut angefühlt, den Zwei-Jahres-Vertrag haben sie dir zugesteckt. „Füllen Sie den aus und kommen Sie doch wieder“, haben sie gesagt. Den Vertrag hast du zuhause direkt unterschrieben. Du bewegst dich ja jetzt mehr, machst Sport, du bist auf einem guten Weg, denkst du.

Wunderwaffe Bewegung

Auf den ersten Blick sind die Zusammenhänge einfach, das kennen wir schon. Wer viel Sport treibt, wird nicht dick. Wer viel Sport treibt, nimmt ab. Denkste! Es ist mal wieder komplizierter, die Zusammenhänge zwischen dem Körpergewicht und der Bewegung sind weniger klar und wenn überhaupt, dann nur schwach ausgeprägt. Manche bewegen sich viel und sind trotzdem möppelig, manche bewegen sich wenig und sind trotzdem schlank. „Sport und Bewegung können ein gesundes Körpergewicht unterstützen“, sagen die Centers für Disease Control der Vereinigten Staaten, das ist nicht ohne Grund vorsichtig formuliert. Zum fitter werden ist Sport und Bewegung hervorragend geeignet, zum Abnehmen eher weniger. Ein Beispiel: In der Studie von Emily Irwin wurden Frauen über 50 Jahre einem Trainingsprogramm ausgesetzt. Fünf bis sechs Tage in der Woche, für jeweils mindestens 45 Minuten am Tag, zwölf Monate lang. Die Frauen hatten vor Beginn des Trainingsprogramms im Durchschnitt ein Körpergewicht von 87 Kilogramm, einen BMI von ca. 30, waren also fettleibig, machten wenig bis gar keinen Sport. Preisfrage, was wogen die Frauen nach zwölf Monaten, wie viele Kilo hatten sie im Durchschnitt abgenommen? Unsere Sportstudenten schätzen auf diese Frage fünf bis acht Kilo, im Schnitt. Das wäre doch nicht schlecht, oder? Das Ergebnis ist leider viel ernüchternder. 1,3 Kilo, im Durchschnitt, BMI nach einem Jahr, immer noch ca. 30, im Durchschnitt. Klar, die Frauen sind fitter geworden, haben bessere Blutwerte. Aber, abgenommen haben sie fast nicht. Woran das liegt? Vielleicht haben sie sich außerhalb des Trainingsprogramms weniger bewegt, oder haben mehr gegessen, weil der Sport sie hungrig gemacht hat?
Fakt ist, wer abnehmen will, muss neben dem Sport auch die Ernährung deutlich umstellen. Dann gelingt vielleicht eine Gewichtsabnahme von einigen Kilos im Jahr im Durchschnitt, ohne dass ein Jo-Jo-Effekt zu befürchten ist. Natürlich gibt es auch wissenschaftliche Studien, die höhere Gewichtsabnahmen berichten, aber oft sind die Ergebnisse dieser Studie nicht so ohne weiteres verallgemeinerbar, waren sehr spezielle Personengruppe Teil der Studie, oder es wurde nur ein kurzer Zeitraum (z.B. sechs Wochen Trainingsprogramm, Nacherhebung drei Monate später) untersucht. Die Ergebnisse dieser Studien muss man dann diskutieren, wissenschaftliches Tagesgeschäft.
Es kommt noch schlimmer: Neuere Studien der letzten Jahre haben gezeigt, dass der Körper von ca. 10-15 % der Erwachsenen fast überhaupt nicht auf Sport reagiert. Nach drei Monaten Trainingsprogramm unter Aufsicht (2-3 Mal in der Woche für 60 Minuten) haben sich diese Menschen gar nicht in der Kraft oder Ausdauer verbessert oder nur wenig. Andere haben sich sehr deutlich bei diesen Parametern verbessert, vielleicht genetisch bedingt. Für die, die sich drei Monate gequält haben, ist das frustrierend. Keine Verbesserung, kein Gewichtsverlust. Mach’ trotzdem weiter so, sagt die Wissenschaft diesen Menschen. Vielleicht braucht es bei diesen Menschen einfach mehr Zeit, bis der Sport seine Wirkung entfaltet? Die Forschung läuft auf Hochtouren, vielleicht fallen die Antworten bald besser aus.

Da stehst du nun vor dem Spiegel. 1. April 2013. Baby Blues. Besser essen, mehr bewegen. Der Griff an die Hüfte. Das Hüftgold ist da. Wulstig. Du hast es versucht. Letzte Woche hast du dich wieder mit dem Waagentier angelegt. Bist entschlossen draufgetreten. Es hat zurückgetreten, gebissen, gespuckt. 1 Kilo weniger, wenn man dem Tier nicht so genau in die Augen schaut. Protest, hast Du gedacht. Hast doch aufgepasst, was du isst, warst im Fitnessstudio! Okay, am Geburtstagswochenende gut gegessen und die Pommes, das waren vier, fünf Ausnahmen, maximal sechs. Pffh, ging halt nicht immer mit dem Training, wenn die heiße Phase der Projektvorbereitung auf der Arbeit läuft und der Chef schreit. Die Übungen, die sie dir im Fitnessstudio gegeben haben sind aber auch komisch. Es ist umständlich dahin, nach der Arbeit, wegen dem Verkehr und dem Parken. Wenn du ehrlich bist, war es keine Überraschung.

Da sitzt du nun, vor deinem Kaffee Latte. Da sitzt du nun, vor deinem Weizenbier. Besser essen, mehr bewegen, das klang einfach. Sie lockten dich, die Wunderdiäten, die Trainingsapologeten. Sirenen. Sirenen, die dich riefen. Verhießen dir Michelle Hunziker, Daniel Craig, den Körper deiner Wahl. Mit Spaß, ganz einfach, mit einem Lächeln auf den Lippen, in nur zwölf Wochen. Ohne Schmerzen, ohne Verzicht. Sie haben dich auf Klippen gelockt. Die Klippen hießen Neverland-Vergnügungspark, anderslautende wissenschaftliche Erkenntnisse. Ach, denkst du, es ist nicht so schlimm. Der Griff in die Hüften. Love-Handles, Hüftgold, was auch immer. Die anderen haben das auch. Bekannter, doch wieder zugenommen, leicht verlegen deswegen, du hast es mit eigenen Augen gesehen, letztens erst. Du wirst das Waagetier in Ruhe lassen, ab jetzt. Waffenstillstand. Kein Treten, keine brutalen Zahlen. Januar 2014. Januar 2015. Die werden kommen. Dann wirst du es schon schaffen, denkst du.

von Karim Abu-Omar


Über den Autor
Karim Abu-Omar ist Akademischer Oberrat am Institut für Sportwissenschaft und Sport der Universität Erlangen-Nürnberg. Die Zusammenhänge zwischen Bewegung und Gesundheit sind einer seiner Forschungsschwerpunkte.

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Quellen – weiterführende Links

Foto1: Teufelswaage, Fotomontage by politropolis, aus “Waage” by Sigrid Rossmann, www .pixelio.de und “Teufel” Rudolpho Duba, www .pixelio.de

Eine hochwertige und frei verfügbare Dokumentarserie zum Thema Übergewicht aus den USA: http://theweightofthenation.hbo.com/


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