Seit dem 1. August, dem Nationalfeiertag der Schweiz, bin ich von der SVP (Schweizerische Volkspartei) visuell umzingelt. Es begann mit Unterschriftenbögen zu ihrer neuen Initiative «gegen Masseneinwanderung». Die Bögen wurden bestimmt an alle Haushalte in der Schweiz verteilt – zeitgerecht zum Nationalfeiertag natürlich. Und seither ist kein Halten mehr: Die Schweiz wird mit immer denselben Plakaten in allen Formaten zugekleistert. Am Bahnhof empfangen sie die Reisenden, die Dorfkinder rennen auf ihrem Schulweg daran vorbei, und auch vor mir machen die visuellen Zwangsmassnahmen nicht Halt: Ich ertappe mich dabei, dass ich SVP denke, wenn ich ein Schweizer Kreuz sehe. Denn die Plakate zeigen in alter SVP-Manier schwarze Männer, die achtlos über das Schweizer Kreuz trampeln. Bezeichnend ist die Froschperspektive, aus der die Plakate gezeichnet sind. Die Männer kommen auf den Betrachter zu. Von den vordersten sieht man nur noch Unterschenkel und Füsse. Wenn sie weiterlaufen, zertrampeln sie den Betrachter … Darunter die Botschaft in schreienden Lettern.
Ein kreativer, aber hilfloser Versuch
Wie damit umgehen? Verschiedene Szenarien habe ich gedanklich durchgespielt:
- ignorieren
- bis zum Abklingen der Zerrbilderflut nur noch mit zugekniffenen Augen durch die Welt gehen
- die SVP verklagen, weil sie sich – widerrechtlich? – das Gemeingut «Schweizer Kreuz» unter den Nagel gerissen hat und seither für ihre Zwecke missbraucht
- auswandern
- Plakate herunterreissen
- mit «Stopp Atomstrom»-Klebern zukleben
- den Bundesrat davon überzeugen, der Tourismus-Branche unter die Arme zu greifen, damit diese eine gross angelegte Plakataktion unter dem Arbeitstitel «Herzlich willkommen!» lancieren kann (es müssen ja nicht die ganzen 2 Mia. Franken sein, die zur Stützung der durch die Frankenstärke gebeutelten Branchen vorgesehen sind)
- der SVP beitreten, damit ich nicht immer auf der falschen Seite stehe
Keines der Szenarien hat mich wirklich überzeugt.
Und dann bin ich auf die Internet-Aktion SVP-Plakate verhunztexten gestossen. Immerhin wird mit dem Ausgangsmaterial kreativ umgegangen. Zum Beispiel so (designed by iv-info):
Natürlich – auch dies ist nur ein hilfloser Versuch, der massiven SVP-Propaganda etwas entgegenzusetzen. Doch immerhin tut man was. Das stärkt die Immunabwehr. Denn Bilder dringen tief in die Seele, und ihre Wirkung entzieht sich weitgehend der Verstandeskontrolle. Das ist ja die Basis aller Werbung – und macht sie so erfolgreich manipulativ.
Sprachlicher Flurschaden
Vielleicht noch schlimmer als die visuelle Kontamination ist der sprachliche Flurschaden. «Masseneinwanderung» ist zweifellos ein verheerendes Unwort – weil es statt von Menschen von Massen erzählt, weil es an die Stelle von Menschen eine Art amorphe Masse setzt, weil es verneint, dass wir es bei den Eingewanderten mit Menschen zu tun haben. Weil es den Menschen verneint …
Nun ist es nicht neu, dass man den Menschen zu entmenschlichen versucht. Es ist vielleicht der einzige Weg, ihn in den Griff zu bekommen, ihm seine Freiheit zu nehmen. Neu aber ist die geballte, auch wirtschaftlich geballte Kraft, mit der uns diese Botschaft aufgedrängt wird – bis hin zur Umzingelung.
Und dabei geht es – man bedenke! – zunächst und vordergründig bei diesen Plakaten nur darum, die Unterschriftensammlung für die entsprechende SVP-Initiative zu befördern. Dahinter steckt allerdings zweifellos Propaganda für die eidgenössischen Parlamentswahlen im Herbst. Das kann ja heiter werden …
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