Die Visualisierung der Angst

NOSFERATU – EINE SINFONIE DES GRAUENS
Deutschland 1922
Mit Max Schreck, Gustav von Wangenheim, Alexander Granach, Greta Schröder u.a.
Regie: Friedrich Wilhelm Murnau
Dauer: 94 min

Die Visualisierung der Angst

Es gibt zwei Filmgenres, mit denen ich mich trotz mehrfacher Versuche einfach nicht anfreunden kann: Der Gangster- und der Horrorfilm. Ich weiss zwar um die Beiträge zur Filmgeschichte gerade des klassischen Horrorfilms, trotzdem muss ich gestehen: Man kann mich damit jagen.
Als Betreiber eines Stummfilmblogs komme ich allerdings um eine Besprechung von Nosferatu, dieser Mutter aller Vampirfilme, nicht herum. Und weil F.W. Murnau zu meinen Lieblingsregisseuren gehört, war ich doch gespannt auf eine erneute Sichtung dieses Klassikers.

Die Sichtung konnte mich nicht zum Horrorfilm bekehren. Ich fand es zwar hochinteressant, Murnau zwei Jahre vor dem letzten Mann zu sehen, doch als besonderes Sehvergnügen kann ich Nosferatu nicht bezeichnen.
Am verblüffendsten war für mich die Entdeckung, dass Murnau von 1922 bis 1924, von Nosferatu bis Der letzte Mann regelrechte Quantensprünge in Sachen Bildsprache und Handhabung der filmischen Mittel gemacht hat. Er hat in dieser kurzen Zeit zu seiner genuinen Filmsprache gefunden. Von 1924 an schuf Murnau seine eigenen Welten im Studio, während Nosferatu an originalen Schauplätzen gedreht wurde und so trotz seiner abstrusen Story viel realer anmutet als die lebensnahe Erzählung vom letzten Mann.
Filmspezialisten argumentieren damit, dass gerade diese Realitätsnähe das beabsichtige Grauen noch verstärke, und damit haben sie natürlich Recht. Murnau zeigt, dass er die äusseren Bedingungen optimal für seine filmische Zwecke zu nutzen wusste – damals schon.
Der Kontrast des idyllischen Biedermeier-Städtchens zur expressionistisch verfremdeten, insektenhaften Figur des Grafen Orlock, der dieses mit einem Sarg unterm Arm durchmisst, ist auch heute noch schockierend; und die Sequenzen, in denen Murnau die Stop-Motion-Kamera einsetzt oder im Zeitraffer filmt und damit erreicht, dass sich Figuren durch ihre groteske Bewegungsart plötzlich aus der realistischen Umgebung herauslösen und sich von ihr abheben, muss damals als etwas Erschreckendes empfunden worden sein.

Die Visualisierung der Angst

Es sind die Bilder, die Nosferatus Status als erster und als einer der grössten Horrorfilme aller Zeiten rechtfertigen, Bilder, die in ihrer alptraumartigen Qualität noch heute unmittelbar wirken. Das Drehbuch von Henrik Galeen weist einige grobe Schnitzer und logische Lücken auf, doch Murnau lässt keinen Zweifel daran, dass es hier um Bilder geht – um Bilder des Grauens, um die Visualisierung von Angst. Wenn Graf Orlock den armen Hutter nachts in seinem Zimmer heimsucht und glotzäugig durch die sargartige Tür hereingleitet, dann  sträuben sich auch heute noch Nackenhaare. Oder die irreale Art, wie er im Schiff aus seinem Sarg herauskippt, von der Bodenlage in den Stand; oder die Art, wie Murnau bestimmte, vom Vampir besetzte Orte filmte, das Schiff etwa, oder das verfallene Haus – diese Bilder beinhalten das Grauen, ohne dass man zu sagen vermöchte, weshalb.

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Der Film war eine Auftragsarbeit für Murnau; es blieb der einzige Film der Produktionsfirma Prana-Film, die sich mit diesem Projekt finanziell völlig übernommen hatte. Bram Stokers Witwe erreichte mit einer Plagiatsklage sogar ein Gerichtsurteil, das die Vernichtung des Werkes gebot, da die Produzenten die Rechte auf der Vorlage – denn auf nichts anderem als auf Bram Stokers Roman Dracula basierte der Film – nicht besassen. Von Nosferatu existierten allerdings bereits so viele semi-offizielle Kopien, Teil-Kopien und Zusammenschnitte, dass der Film vor einigen Jahren wieder in den Originalzustand zurückrestauriert werden konnte. Sogar die Partitur von Hans Erdmanns Original-Begleitmusik konnte gefunden und wiederhergestellt werden.

Nosferatu gilt als einer der ersten genuinen Horror-Filme der Geschichte; einer der ersten, der die Angst personifiziert hat und das Publikum Bildern aussetzte, die es beunruhigte und noch nächtelang verfolgte. Der das Grauen bildlich auszudrücken vermochte und mit diesen Bildern Generationen von Künstlern inspirierte und beeinflusste.
Würde ich das Horrorfilmgenre mehr schätzen, wüsste ich auch die Wichtigkeit dieses Werks gebührend zu würdigen. Aber das haben Legionen von Filmspezialisten bereits getan.
8/10

Die Visualisierung der Angst

Nosferatu ist – mit der Originalmusik von Hans Erdmann – im deutschsprachigen Raum in der hervorragend restaurierten Fassung von Transit-Film auf DVD erhältlich, u.a. bei amazon.de.


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