Heute morgen am Frühstückstisch habe ich festgestellt, dass ich mich auf dem direkten Weg zur völligen Vertantung befinde. Es war in dem Moment, als ich den kleinen Plastikverschluss, die hier mit den Brotverpackungen geliefert werden, abknibbelte, glattstrich und gedankenverloren in eine kleine Blechdose legte – zu den anderen 100 – 200 Verschlüssen, die ich dort in den letzten Jahren gesammelt habe.
Ich habe schon vor langer Zeit aufgehört, unbequeme G-Strings zu tragen und sie gegen baumwollene Schlüpfer ausgetauscht. Vorbei die Zeiten, in denen ich meinen Alltag auf 12 cm hohen Absätzen bestritt – heutzutage trage ich Bequemschuhe einer bekannten skandinavischen Bequemschuhmarke und wenn es abends gestürmt hat, sammele ich am nächsten Morgen das Fallobst auf um es (natürlich mit einer praktischen Schürze bekleidet) zu Kompott zu verarbeiten. Ich kontrolliere die Kassenquittung im Supermarkt, damit die Verkäuferin auch ja den Sonderangebotsaufstrich 2 zum Preis von 1 richtig abgerechnet hat und ich finde nichts seltsames daran, meinen Teebeutel zwei Mal zu benutzen. Ich streiche Alufolie nach dem Benutzen glatt, falte sie und lege sie in die Schublade, denn sie wegzuwerfen wäre ja Verschwendung. Ich habe neulich sogar eine Flasche Haarfestiger gekauft, damit die Frisur besser hält.
Kurz: ich bin eine richtige Tante. Und ich bin stolz darauf.
Hier in Schweden findet das Tantentum im Alltag mehr und mehr Beachtung und vor allem: Anerkennung. Tantig zu sein ist salonfähig, es ist moderichtig und es ist weder bieder, altmodisch oder verstaubt. Nein, tantig zu sein ist hip und das ist eine echte Erleichterung für uns Frauen, in denen eine große Portion Tante steckt.
Tanten geben mit selbstgebackenen Zimtkringeln statt mit goldenen Vielfliegerkarten an. Tanten mischen sich lieber Fleckentferner statt Longdrinks und kommen mit dem Fahrrad mit Rockschutz statt im Porsche zu Geschäftsessen (und nehmen von dort selbstverständlich die Reste im Doggy-Bag mit). Tanten haben den Gefrierschrank voller selbstgesammelter Beeren statt Tiefkühlpizzas und häkeln Ärmelschoner für die Wohnzimmersessel statt sie durch Designermöbel zu ersetzen.
Gerade ist ein tolles Buch erschienen: „Supertanten“ von Elin Ek. (Bonnier Fakta, ISBN: 9174241508)
Darin berichtet sie über das neue Tantentum und fordert die weibliche Allgemeinheit zu mehr Mut zur Tantigkeit auf. Elin Eks Tanten schreiben gerne Beschwerdebriefe, wenn sie mit irgend etwas unzufrieden sind. Zum Beispiel, wenn Babykleider von Herstellerseite nur mit 30°C gewaschen werden dürfen, neue Schuhe gleich nach dem Kauf neu besohlt werden müssen oder Kaffee in unhygienischen, gesprungenen Tassen serviert wird. Tanten sind solche, die sich laut der Autorin nicht davor scheuen, in der U-Bahn oder im Bus junge Leute zu ermahnen, die Füße vom Sitz zu nehmen. Tantentum hat auch etwas mit Zivilcourage zu tun, damit, die Polizei zu rufen, wenn etwas merkwürdig erscheint, oder beherzt mit dem Regenschirm einzugreifen, wenn die Situation es erfordert.
Sie muntert Frauen wie mich auf, die sich in ihrem Leben in Deutschland niemals auch nur ein bisschen Tantigkeit erlaubt hätten. Dort erschien es wichtiger, die Karriereleiter zu erklimmen und sich so Anerkennung zu verdienen. Hier in Schweden bekommt man sie auch für ein Eimerchen eingelegte Gurken.
Und für alle, die auch gerne ein bisschen tantiger wären, hier ein paar 1a Tantentips:
Recycling: Flaschenkorken und Gummibänder in einer hübschen Vintage- Stofftasche aufheben und recyceln
Goldwasser: 1 Teil Urin mit 9 Teilen Wasser mischen – der billigste und effektivste Dünger für selbstgezogene Tomaten
Kaffee: Kaffee selber kochen, mit Kaffeepulver und Wasser. Auf dem Herd. Eine richtige Tante hält Espresso für neumodischen Quatsch.
So, genug für heute. Ich muss mir noch die Haare eindrehen.