Ratzinger lobte den Pacelli-Papst für „die heroischen Tugenden, die der Papst in seinem Leben zeigte und die als Beispiel für die Christen dienen könnten”. Verhofstadt stellt dagegen fest, daß eben jener zu keinem Zeitpunkt den Antisemitismus und die Gräueltaten angeprangert habe. Und er listet eine ganze Reihe von Fragen auf, zu denen Pius XII. geschwiegen habe. Die Frage, warum hat der Papst (nicht nur) zur Vernichtung der europäischen Juden geschwiegen, zieht sich wie ein roter Faden durch das gesamte Buch. Man könnte es aber doch sehr kurz machen mit dieser Überlegung: Ja, warum sollten denn Papst und katholischer Klerus gegen faschistischen Antisemitismus protestieren? Ist doch der Antjudaismus (die Juden als Christusmörder) ein Kernpunkt der christlichen Religion!
Widerspruch ruft beim Rezensenten in weiten Teilen Verhofstadts Vorwort hervor. In Bezug auf die Europäische Union bringt er, voller Illusionen und Idealisierung, nur Hagiographisches zu Papier, wenn es um das Verhältnis von Staat und insbesondere der katholischen Kirche geht. Zu einer Gegenfrage provoziert z.B. sein Satz: „Hat die Kirche, hat vor allem der Papst, als Hüter seiner treuen Herde, Ausreichendes geleistet, um die katholischen Werte zu schützen?” – Welches sind denn nun diese ominösen „katholischen Werte”?
Der Autor hat sein Buch in fünf Teile gegliedert: I – Strategie; II – Kapitulation; III Unterlassung; IV – Mitschuld und V – Verleugnung.
Strategie
Von Naivität geprägt, trotz aller Sachlichkeit, ist das Kapitel 1 „Die Heiligsprechung von Pius XII.” Ein Beispiel dafür: „Und wie reagierte der höchste moralische Führer der Welt auf diese dramatischen Ereignisse?” (S. 17) Ähnliche Wendungen kommen noch oftmals in diesem Buch vor, wie „höchste moralische Autorität der Menschheit”. – Wer sieht einen Papst als solches? Sind solche Titulierungen nicht vielmehr Anmaßungen eines absolut regierenden Theokraten?! Ein Wissenschaftler sollte solche Formulierungen auf jeden Fall nicht unhinterfragt übernehmen.
Im Kapitel 2 setzt sich Verhofstadt mit der nach 1945 massenhaft kursierenden Schutz-Behauptung „Wir haben es nicht gewußt” auseinander und beweist anhand vieler konkreter und belegbarer Beispiele, daß Ausgrenzung, Verfolgung und millionenfache Vernichtung der Juden keinesfalls ein Geheimnis waren. Er schreibt: „Auch deutsche Unternehmer kauften Eigentum von enteigneten und verhafteten Juden für einen Bruchteil dessen wahren Wertes.” (S. 29) Hier ist ebenfalls Widerspruch angesagt, denn es waren eben und gerade diese „auch deutsche Unternehmer”, die Hauptnutznießer sogenannter Arisierungen waren!
Konkreter wird der Autor im Kapitel 3 „Mörder Gottes”. Hier gibt er einen geschichtlichen Überblick über den in Europa seit Errichtung des Staatschristentums offiziellen Antijudaismus/Antisemitismus, der in erster Linie von Klerikern befeuert worden ist. Den Satz: „Wie sehr der Antisemitismus als Krebsgeschwür in der christlich-europäischen Geschichte grassierte…”(S. 47) sollte man all jenen aus Politik und Mainstream-Medien entgegenhalten, die wider besseres Wissen heute von den „jüdisch-christlichen Wurzeln Europas” schwafeln… Aber auch hier muß sich Widerspruch regen, wenn er z.B. (thematisch abgleitend) vom Antisemitismus der von Trotzki (einem Juden) geführten Roten Armee schreibt oder gar dieses: „Die Verfolgung der Juden wird (…) noch weitergehen mit der (…) ‚Befreiung‘ durch die Rote Armee…” (S. 48) Ähnliches auch auf S. 53, wenn er katholisch-polnische Pogrome in den Jahren 1918 – 1921 den Sowjetrepubliken Weißrußland und Ukraine anlastet.
Ja, man muß Verhofstadt leider auch Oberflächlichkeiten und Ungenauigkeiten anlasten, wenn er sein eigentliches Thema verläßt. Und das ist nun mal der Komplex Judenvernichtung durch die Faschisten Europas und die Haltung des christlichen Klerus hierzu. Und nicht nur der katholische Klerus war antisemitisch, sondern der evangelische nicht minder. Hier zitiert der Autor Luther und konstatiert: „Der Kirchenreformator rief als Erster die weltlichen Herrscher auf, alle Juden zu töten.”(S. 51)
„Was wußte der Papst?” – so ist das 4. Kapitel überschrieben und am Ende desselben zieht Verhofstadt das Fazit: „Die Frage ist also nicht, ob der Papst informiert war über die enorme Tragödie, sondern was er mit diesem Wissen machte.” (S. 74)
Im folgenden Kapitel „Hat der Papst geschwiegen?” zeigt der Autor, daß sich Pius XII. regelmäßig zu Wort gemeldet hat, vor allem dann, wenn er Bedrohungen für die Allmacht des katholischen Klerus im Deutschen Reich und in den besetzen Gebieten vermutete. Das Schicksal von Juden, Kommunisten oder orthodoxen Christen interessierte ihn dagegen nicht. Und wenn der Papst sich zu Wort meldete, dann lt. Verhofstadt so: „Die meisten Kommentare waren verpackt in schwer zu verstehend religiöse Phrasen, welchen die Kraft fehlten, um selbst gutwillige Zuhörer zu einer nennenswerten Reaktion gegen die ‚Nazis‘ zu motivieren.” (S. 81)
Und warum das alles? Das wird offenbar in Kapitel 6 „Angst vor dem Kommunismus”. Angst warum? Weil Aufklärung, liberale Demokratie, Sozialismus und Kommunismus die beanspruchte Allmacht der Priesterkaste über Mensch, Gesellschaft und Staat bedrohten. Angst vor dem Kommunismus doch auch deshalb, weil „die Kirchen” in erster Linie milliardenschwere Wirtschaftsunternehmen sind (seit der Antike die größten Grundbesitzer Europas)… Verhofstadt stellt in diesem Kapitel auch diesen Zusammenhang dar: „Er sah im ‚Nationalsozialismus‘ die einzige Kraft, welche die rote Gefahr aufhalten konnte. Eine Verurteilung des Holocausts und des ‚Nationalsozialismus‘ hätte diese Kraft unterminiert und das wollte er nicht.” (S.85)
Die ukrainischen Juden „wurden von christlichen Soldaten, die Koppelschlösser mit den Worten ‚Gott mit uns‘ trugen, erschossen. Die Frontsoldaten und Eisatzgruppen glaubten, einen heiligen Krieg zu führen und wurden darin von dem deutschen Feldbischof Josef Rarkowski kräftig ermutigt (…) Die deutschen Soldaten und SS-Männer wurden bei ihren Tötungen durch die evangelischen und katholischen Geistlichen nicht gebremst, sondern geradezu angespornt.” (S. 87) Die Militärangehörigen hatten ihren heiligen Fahneneid auf Hitler übrigens „bei Gott” geschworen…
(Ein historischer Grund mehr für Laizisten, die Militärseelsorge deutscher Provenienz grundsätzlich abzulehnen!)
Und was sagte ein Pius angesichts solcher Verbrechen? - „Die Kirche hat die Mission, der Welt die erhabenste und notwendigste Botschaft zu verkünden, nämlich die Würde des Menschen.” (S. 91) Hier erübrigt sich wohl angesichts der Kriminalgeschichte der katholischen Kirche jeglicher Kommentar. Nein, eine Bemerkung doch noch. Wie hieß es stets bei der Durchsetzung dieser Mission? – „Taufe oder Tod.”
Kapitulation
Der zweite Teil „Kapitulation” geht ausführlich darauf ein, wie sich der Klerus mit faschistischen Regimes zur Durchsetzung eigener Interessen arrangierte. Nicht nur arrangierte, sondern sogar maßgeblich unterstützte (Franco-Spanien, Tiso-Slowakei, Ustascha-Kroatien ebenso wie Mussolini-Italien und Hitler-Deutschland). Dafür ließ die Kurie sogar katholische Parteien fallen. Angesprochen werden hier u.a. das Reichskonkordat des „Heiligen Stuhls” mit der Hitler-Regierung. Übrigens der erste völkerrechtliche Vertrag Nazi-Deutschlands, der in der Bundesrepublik immer noch geltendes Recht ist. Angesprochen werden auch die Nürnberger Rassegesetze, zu deren Durchsetzung die Kirchen eifrig Beihilfe leisteten, sowie das Euthanasie-Programm zur Ermordung geistig und körperlich behinderter Menschen.
Eine Oberflächlichkeit, ja eine Verfälschung der Geschichte aber auch in diesem Teil, wenn Verhofstadt die SPD zur „einzigen Partei, die tatsächlich Widerstand leistete” erklärt. Die Kommunisten, die schon vor 1933 erklärten, wer Hindenburg wählt, wählt Hitler, wer Hitler wählt, wählt den Krieg, und die nach 1933 in zahlreichen Widerstandsgruppen aktiven Widerstand leisteten werden schlicht verschwiegen… Hm, warum dann aber sah der katholische Klerus in den Kommunisten die Hauptgefahr?
Bezugnehmend auf das Konkordat schreibt Verhofstadt: „Jahre später stellte sich heraus, daß es noch ein geheimes Zusatzprotokoll zu dem Abkommen gab, das Privilegien für den Klerus im Falle einer allgemeinen Mobilmachung enthielt.” (S. 118)
Angeblich habe Pius XII. energischen Widerstand geleistet, als er 1937 seine Enzyklika „In brennender Sorge” verkündete. Kapitel 11 ist diesem Thema gewidmet. Verhofstadt kommt hier zu einem vernichtenden Urteil: „Im Text ist nicht die Rede von irgendeiner ‚brennenden Besorgnis‘ über die zahllosen Menschen, die damals in den Konzentrationslagern eingesperrt waren, über die Judengesetze…” (S. 132) Nein, Pius war lediglich in brennender Sorge um den Allmachts-Anspruch der Papst-Kirche…
Sorge bereitete dem Klerus lediglich, daß es in der Nazi-Partei durchaus auch andere religiöse Auffassungen gab (Neuheidentum, Gottgläubigkeit). Dennoch, waren die sogenannten Amts-Kirchen nach wie vor dominieren. „Das ergibt sich daraus, daß über Zweidrittel der Mitglieder der Allgemeinen SS kirchlich gebunden waren; 54,2 % davon blieben der evangelischen und 23,7 % dem katholischen Glauben treu. Nur in den Mitgliedern der Waffen-SS war eine Mehrheit gottgläubig, doch auch selbst in deren Einheiten dienten katholische Kaplane.” (S. 167) Als 1944 zur Waffen-SS nicht nur Freiwillige eingezogen wurden, sondern auch Wehrpflichtige, da dürfte der Anteil „traditioneller Konfessionen” sich auch hier deutlich erhöht haben…
Kapitel 16 beschäftigt sich mit dem „Hang zum Autoritarismus”. Hier klingt leider auch bei Verhofstadt die „Totalitarismus-Theorie” an und er gibt unhinterfragt katholische Horrormeldungen über Verbrechen an Priestern, Mönchen und Nonnen durch Kommunisten in Sowjetrußland und Volksfrontspanien wieder. Doch, so der Autor, „aber Tatsache bleibt, daß die Führer der Christen eine besondere Form des Totalitarismus prinzipiell unterstützten, den Fasschismus…” (S. 175) Hier stellt Verhofstadt dann die richtigen Fragen: „Warum widersetzte sich die Kirche ausdrücklich der Entnazifizierung nach dem Krieg? Warum wurde kein hochrangiger Nazi exkommuniziert?”(S. 177)
Unterlassung
Daß der Papst und der christliche Klerus nicht bloß geschwiegen haben, das wird im Teil III „Unterlassung” deutlich. Zum faschistischen Überfall auf (das katholische) Polen schreibt Verhofstadt: „…drohte die Gefahr, daß der Papst und die katholischen Bischöfe den deutschen Angriff auf Polen mißbilligen würden, doch sie taten es nicht. Die deutschen katholischen Kirchenführer hießen diesen einseitigen und nicht erklärten Krieg sogar gut, trotz der Tatsache, daß Zehntausende katholischer Polen, darunter Hunderte von Priestern, ermordet wurden.” (S. 199)
Und warum sprach sich hier das Oberhaupt der Katholiken nicht gegen diese Aggression aus, warum verweigerte er sogar bewußt eine Verurteilung Nazi-Nazideutschlands. Verhofstadt dazu lapidar: „Polen war der ideale Ausgangspunkt für den Angriff auf die Sowjetunion im Jahre 1941.”(S. 206) Ja, Polen war eben das Territorium, das zwischen Deutschland und der Sowjetunion lag. Und der Antikommunismus der Papstkirche ist nun mal so stark, daß man da Kollateralschäden, wie die Ermordung von Juden und sogar katholischen Polen, billigend in Kauf nimmt.
Aber auch beim „Krieg in Westeuropa”, so Kapitel 19, verhielt der Papst sich nicht anders…„Interessanterweise gab der Papst keine offene Verurteilung des deutschen Angriffs ab (…) Einen solchen öffentlichen Protest hat er jedoch sehr wohl gegen die Sowjetunion am 26. Dezember 1939 ausgesprochen, als die russischen Truppen Finnland überfielen. (…) In keinem der (…) Länder [Belgien, Niederlande, Luxemburg und Frankreich; SRK] bestand die Gefahr einer bolschewistischen Revolution, in keinem dieser Länder wurde die Kirche unterdrückt (im Gegenteil) und keines dieser Länder bedeutete eine Bedrohung für die Bewahrung des christlichen Abendlandes.” (S. 211) Nun, dem Papst war bewußt, daß Hitler-Deutschland die Ressourcen eben dieser Länder für den Vernichtungskrieg gegen die Sowjetunion benötigte. Das sagt Verhofstadt hier leider nicht.
Weitere Kapitel dieses Teils befassen sich mit den „Deportationen aus Frankreich”: Juden werden aktiv von französischen Kollaborateuren erfaßt – im Einverständnis mit der großen Mehrheit des Episkopates – und in deutsche Vernichtungslager deportiert. Denn „Vichy erwies der katholischen Kirche den Gefallen, Gott in die staatlichen Schulen zurückkehren zu lassen, während die kirchlichen Schulen und der Bau und die Restaurierung von Kirchen subventioniert wurden.” (S. 217) Warum also gegen Judenvernichtung protestieren, wo doch katholischen Macht- und Geld-Ansprüchen so bereitwillig und großzügig entsprochen wurde?
1941 wandte sich dann das faschistische Deutschland seinem Hauptziel zu. Dazu schreibt Verhofstadt in Kapitel 21 „Die Unterstützung für das Unternehmen Barbarossa”: „Die Unterstützung der Kirchen nahm nach dem Einmarsch der Wehrmacht in die Sowjetunion am 22. Juni 1941 noch zu. Die Abscheu der christlichen Führer vor dem Bolschewismus saß in der Tat sehr tief. (…) Deutsche katholische Kirchenführer (…) äußerten sich in Predigten und Hirtenbriefen positiv zu diesem Überfall. Sie fanden ihn nutzbringend, nicht nur für das Land, ‚sondern zugleich, weil er dem heiligen Willen Gottes folge‘ (…) Feldbischof Rarkowski spornte die Soldaten zu einem europäischen Kreuzzug gegen das bolschewistische Untermenschentum an.” (S. 220) – Hm, soll da nicht ein gewisser Jesus mal was von Nächsten- und gar Feindesliebe gebergpredigt haben???
Nach dem Überfall auf die Sowjetunion nahmen die Greueltaten der Faschisten gegen Juden und Slawen besondere Dimension an. Doch nach wie vor berührt das die angeblich „höchste moralische Autorität” der Menschheit nicht im geringsten, obwohl auf den verschiedensten Wegen detaillierte Informationen über Massenmorde, Hilferufe auch von einfachen katholischen Pfarrern, in den Vatikan gelangen.
Verhofstadt wird auch hier sehr deutlich, wenn es um klerikales Mittun im verbrecherischten und verheerendsten Krieg der Menschheitsgeschichte geht:
„An der Ostfront arbeiteten während des Krieges fast eintausend Militärgeistliche. (…) sie wurden von dem den ‚Nazis‘ wohlgesonnenen Militärbischof Franz Rarkowski geleitet. Die Kaplane hatten den Dienstgrad eines Majors der Wehrmacht. (…) Sie trugen auch ein Kreuz um den Hals und eine Pistole an der Hüfte – eine deutsche Luger P-08 mit einem 7,65-Millimeter-Kaliber, die Standardwaffe der Einsatzgruppen. (…) Sie saßen in der Mitte des Mordbetriebes, zelebrierten Messen, hörten Beichten und erteilten gruppenmäßig die Absolution an die Soldaten. (…) In diesem Sinne waren die Kaplane keine unbeteiligten Beobachter, die sich nur um die spirituellen Bedürfnisse der Gläubigen kümmerten, sondern sie legitimierten mit ihrem Tun die sichtbaren Greueltaten, die im Namen Gottes und Hitlers begangen wurden.” (S. 226/227) – Und auch in der bundesrepublikanischen Militärdseelsorge geht es nicht um individuelle spirituelle Bedürfnisse von Christen…
Allerdings kann es der Autor auch hier leider wieder nicht lassen, unhinterfragt katholische Zerrbilder über angebliche Greuel von russischen Kommunisten an unschuldigen Priestern wiederzugeben.
Im Kapitel 23 geht der Autor auf den „Widerstand” ein. Hier wird er wieder oberflächlich, wenn er als Beispiele das für das Hollywood-Melodram „Operation Walküre” mit Tom Cruise als Graf Stauffenberg oder die Erinnerungen des Hitlerbiographen Joachim Fest anführt.
Angesprochen wird aber auch der Widerstand zum Beispiel der Geschwister Scholl oder einzelner einfacher Pfarrer und Pastoren, die allerdings ohne Rückendeckung ihrer Kirchenoberen handelt. Wie viele christliche Laien auch. Nach 1945 deutete der hohe Klerus diese vereinzelten, individuellen Widerstandsleistungen in DEN Widerstand DER Kirchen um, um neue Machtansprüche im Nachkriegsdeutschland zu beanspruchen.
Mitschuld
Beklemmend wird es dann in Teil IV „Mitschuld” – und zwar in jenen Marionettenstaaten von Hitlers Gnaden, wo eindeutig klerikal-faschistische Regimes errichtet wurden. Wo Priester höchstselbst Staatsämter übernahmen, wie z.B. der Priesterpräsident Tiso in der Slowakei. Und wie verhielt sich hier der Papst?
„Insgesamt wurden während der Herrschaft des katholischen Präsidenten 105.000 slowakische Juden, d.h. 78 % ihrer gesamten Vorkriegszahl, ausgerottet. Nach dem Krieg wurde Tiso an die Tschechoslowakei ausgeliefert, wo er am 15. April 1947 zum Tode verurteilt und drei Tage später gehängt wurde. Der Vatikan protestierte.” (S. 270/271)
Noch grauenhafter ging es im klerikal-faschistischen Staat der Ustascha in Kroatien zu. Beim Lesen der von Verhofstadt aufgeführten Greueltaten kommt nicht bloß Beklemmung auf, sondern Eiseskälte läßt erschauern. Und hier waren es ausgerecht unzählige Priester und Franziskaner-Mönche, die sich als eigenhändige Mörder und KZ-Kommandanten einen unrühmlichen Namen machten. Hier wurden nicht nur Juden und Roma zu deren Opfern, sondern zu Hunderttausenden auch orthodoxe christliche Serben. Der Autor zitiert hierzu den Priester Ivo Gubina, der schrieb, daß es „notwendig und nützlich war, die Serben zu vernichten und umzutaufen. (…) Aber da diese Elemente sich nicht ändern wollten. Haben wir nach der katholischen Moral das Recht, sie zu vernichten. Mit Feuer und Schwert.” (S. 275) – Auch hier erübrigt sich wohl jeglicher Kommentar.
Dieser „katholischen Moral” ist es wohl geschuldet, daß sich der Vatikan nach 1945 der katholisch-kroatischen Kriegsverbrecher (einschließlich ihres „Führers” Ante Pavelic) besonders innig annahm, ihnen Unterschlupf in italienischen und österreichischen Klöstern gewährte und später zur Flucht nach Spanien und Südamerika. So wie auch anderen faschistischen Massenmördern (siehe dazu auch Kapitel 29 „Hilfe für Kriegsverbrecher”).
Aber Pius XII. zeigte sich nicht nur am Schicksal der Juden weit weg desinteressiert. Mitleid, Barmherzigkeit und Lebensrettung konnten auch die die römischen Juden direkt „Unter den Fenstern des Vatikans” – so Kapitel 26 – nicht von ihm erwarten.
Kapitel 27 ist überschrieben mit „Der ungarische Holocaust”. Leider beginnt dieses Kapitel ebenfalls mit einer Oberflächlichkeit: „Viele ungarische Soldaten kämpften mit der deutschen Armee an der Ostfront gegen die Russen.” (S. 297) Historisch korrekt müßte es jedoch heißen, daß ungarische Truppen gemeinsam mit der Wehrmacht die UdSSR überfallen haben.
Gerade aus Ungarn sind mutige Menschen in offiziellen Ämtern bekannt, die Tausenden von Juden das Leben retteten. So der schwedische Konsul Raoul Wallenberg, aber auch sein Schweizer Kollege Carl Lutz. Nicht so die katholische Kirche oder der päpstliche Nuntius.
Verleugnung
Im abschließenden Teil V geht Verhofstadt auf die „Verleugnung” ein und beleuchtet hier auch das „Versagen der Alliierten” (Kapitel 33), gemeint sind hier die West-Alliierten, die alles unterließen, den bedrängten Juden zu helfen: so durch Asylverweigerungen oder später z.B. durch die Nichtbombardierung der Eisenbahnlinien zu den Vernichtungslagern.
Leider viel zu kurz geht der Autor auf die Geschichtsfälschungen des Klerus nach 1945 ein, der die Kirchen – leider weitestgehend unwidersprochen – sich zur nahezu einzigen Widerstandsorganisation gegen das Nazi-Regime hochstilisieren konnte. Wobei der evangelische Klerus immerhin einige vage gehaltene Worte zu ihrem „Versagen” in der Nazi-Zeit fanden, während der katholische jegliches Schuldbekenntnis verweigert hat.
Die Kapitel 35 und 36 beschäftigen sich mit der Rolle von „Pius XII. in der Geschichte” und mit dem Thema „Die moralische Schuldfrage”.
Der Ratzinger-Papst hat seinen Vorgänger als „ehrenwert” bezeichnet. Doch ist es z.B. diese seine Politik ehrenwert: „Der Vatikan selbst verurteilte die deutschen Angriffe aber nie, protestierte jedoch lautstark, als die deutschen Städte bombardiert wurden.” (S. 379) Oder wie Verhofstadt sehr deutlich es formuliert: „Aber eines ist sicher: Pius XII. schwieg zur [millionenfachen; SRK] Vernichtung der Juden in Europa und protestierte Laut und nachdrücklich gegen eine Bombardierung seiner Paläste.” (S. 380)
Zuzustimmen ist Verhofstadts „Schlußfolgerung(en)” in Kapitel 37: „Der rote Faden ist klar: Die katholische Kirche protestierte nur, wenn ihre eigenen Interessen auf dem Spiel standen, aber sie schwieg, als die deutschen und andere europäische Christen durch antisemitische Ideen indoktriniert und die Juden verfolgt und ermordet wurden.” (…) Die katholische Kirche will Pius XII. dennoch heiligsprechen.” (S. 389) Für den Autor wäre das nichts anderes als das: damit „würde das hohe christliche Prinzip der Nächstenliebe zu einem wertlosen Begriff herabgesetzt.” (S. 389)
Das ist trotz aller angemerkten Oberflächlichkeiten und historischen Ungenauigkeiten zu Fragen außerhalb des Verhältnisses des katholischen Klerus zu faschistischen Regimes eine empfehlenswerte Lektüre. Sie gewinnt ihren Wert nicht zuletzt aus der Aufarbeitung unzähliger Primär- und Sekundärquellen.
Siegfried R. Krebs
[Erstveröffentlichung: Freigeist Weimar]
Dirk Verhofstadt: Pius XII. und die Vernichtung der Juden. A. d. Niederländ. v. Rudy Mondelaers (†). 450 S. m. Abb. kart. Alibri-Verlag. Aschaffenburg 2013. 26,00 Euro. ISBN 978-3-86569-076-0