Parallaxe verweist auf eine sehr sehenswerte ARTE-Doku, „Für eine andere Welt“, die anhand des Beispiels des Widerstands gegen die Räumung eines besetzten Hauses in Kopenhagen, dem Aufstand in Griechenland nach einer Ermordung eines 15-jährigen durch die Polizei und einer Streikwelle in China in diesem Jahr einen Überblick über den zunehmenden sich gewaltsam artikulierenden globalen Unmut gegen das aktuelle Herrschaftsmodell (was auch immer das sei – darüber besteht ja mitnichten Einigkeit) zu bieten versucht. Kommentator ist u.a. Tonio Negri. Besonders interessant fand ich – zumal ich davon vorher überhaupt nichts gehört hatte (das kommt davon, wenn man seine Informationen über das Zeitgeschehen v.a. über web.de bezieht ^^) – den Bericht über die Arbeiteraufstände in China.
Anscheinend befindet sich – natürlich im Verbund mit der aktuellen ökonomischen Krise, deren Ende ja noch garnicht abzusehen ist – das aktuelle System im Weltmaßstab in einer durchaus ernstzunehmenden Legitimationskrise. Jüngst ereigneten sich ja erst große Streiks in Frankreich und Spanien und der Protest gegen Stuttgart 21 im Schwabenländle. Letzterer ist meines Erachtens ein besonders krasser und interessanter Fall, da es einmal nicht „irgendwelche Jugendlichen“ oder gar „migrantischen Jugendlichen“ waren, die „Krawall“ gemacht haben, sondern im Grunde ganz normale Bürger, die sich von der Politik übergangen fühlen. Die Anlässe für die Aufstände bzw. Akte zivilen Ungehorsams (ein „Aufstand“ war das in Stuttgart ja nun nicht gerade) mögen dabei wie ihr – wenn überhaupt existierendes – Programm vollkommen nichtig oder gar kritikabel sein: den Kitt der wütenden Massen scheint eher ein diffuses Unbehagen zu bilden, dem jeder Anlass recht ist.
Da der krisengeschüttelte Kapitalismus aktuell weder ideologisch noch politisch und ökonomisch in der Lage zu sein scheint, die überall grassierenden Konflikte zu lösen, sondern eher abzusehen ist, dass sie sich in den nächsten Jahren noch mehr zuspitzen werden, ist ein Ende der Protestwelle nicht abzusehen. Selbst die Staatsgewalt selbst scheint an ihre Grenzen zu stoßen, so klagt etwa die Gewerkschaft der Polizei über eine dauerhafte Überbelastung wegen der ständigen Sondereinsätzen:
Wenn man sich das anhört, kriegt man fast ein wenig Mitleid mit den willigen Handlagern des Systems. Droht demnächst sogar ein Aufstand der Polizei selbst?
Diese Legimationskrise, die inzwischen auch im akademischen Diskurs offen thematisiert wird (es gab beim diesjährigen Kongress der deutschen Gesellschaft für Soziologie einige bemerkenswerte Äußerungen dazu), scheint jedoch zum gegenwärtigen Zeitpunkt keinen Anlass für irgendeinen Optimismus zu bieten. Es handelt sich in der Tat um keine neu erwachende revolutionäre Klasse, sondern eine diffuse Multitude. Ihr Merkmal ist gerade die Verzweiflung und das Wissen um die eigene Ohnmacht, das sich nur mühsam vertuschen lässt. Das System ist noch immer stabil genug und die aktuelle sicherheitspolitische Aufrüstung ist ja zu einem guten Teil Aufstandsprävention. Aber das muss ja nicht so bleiben. Das Fehlen einer postiven Alternative, einer „großen Erzählung“, in die sich das eigene Unbehagen widerspruchsfrei eingliedern könnte, markiert ja eher eine Radikalität als Stärke, die auf Künftiges verweist.