Der einzige Nachteil eines Festbrennweiten-Fetischisten wie mir ist, dass hat man oft genug die “falsche” Brennweite im Beutel trägt. Wie sagt man so schön: “Turnschuh-Zoom”? Nun ja, Brennweite hat für mich nichts mit Turnschuhen oder “Wegen” zu tun, sondern vor allem mit “Perspektive”. Und – Gott was liebe ich offene Blende! Ein Objektiv, dass f3,5 Eingangsblende und ausgefahren bis f5,6 schliesst, würde mir nie in den Sinn kommen! Nunja, wie haben wir gestern so schön im Nikonianspodcast formuliert? “Was kümmert mich mein Geschwätz von gestern”. Übersetzt: Man darf seine Meinung ändern – wär ja sonst echt schlimm!
Ich will ehrlich sein: Oft genug nervt mich mein Nikkor 24-70/2,8 deshalb, weil mir die entscheidenden 15mm fehlen um während einer Hochzeits-Reportage (beim Empfang etc.) die entscheidende Distanz zu wahren. Meist schnall ich mir dann das 85er drauf und “sammle Gesichter”. Bis – ja bis sich die Braut mit ihrem Patenonkel in den Weg stellt und ein schnelles Portrait verlangt. 85er runter – 35er rauf… Drops gelutscht… 35runter…85 rauf… Ach, dahinten zeigt der Bräutigam stolz seinen Ring? Ich pirsch mich heran, werde bemerkt… Situation im Arsch. Meist hol ich dann aus lauter Verzweiflung mein 80-200 aus dem Sack und geh auf Beobachtungsstation, bis die Braut mit Ihrem zweiten Patenonkel vor mir steht…
Ich könnte unendlich viele Storys (vor allem aus dem Urlaub) davon erzählen, wie oft ich mir ein “Universal-Zoom” gewünscht habe. Eines, dass vom Weitwinkel bis in den Telebereich geht… eine Urlaubskanone, ein Reportagezoom, ein Schnellretter… Immer mal wieder schielte ich deshalb auf das Nikkor 28-300 /3,5-5,6 G, doch war ich mir nicht sicher, ob der Blendenbereich meinen Ansprüchen genügen würde. Umso glücklicher war ich, dass mir der Nikon Profi Service über die Nikonians eins zur Verfügung stellten. Und weil man auf einem Bein nicht stehen kann, gesellte sich das Nikkor 24-120/f4 dazu.
Ok, ich muss sagen: ich bin verwöhnt, bestens ausgestattet und meine Ansprüche an ein Objektiv sind möglicherweise höher als das bei anderen der Fall ist. Deshalb war ich wirklich skeptisch. Zumal das Objektiv bei etwa 800€ Strassenpreis nicht wirklich als “sauteuer” zu bezeichnen ist. Verlangt von mir keine Ziegelsteinmauer-Testbilder oder ähnliches. Die Linse muss meinen eigenen Anforderungen genügen. Mein Workflow beinhaltet immer eine Nachbearbeitung in Lightroom – insofern kann ich mit einigen Makeln sogar ganz gut leben. Ein Universalzoom ist ein Korrekturwunderwerk mit Kompromissen… Also schauen wir mal:
Das Objektiv wird mit Samtbeutelchen und Sonnenblende geliefert. Bei der Verarbeitung kann ich keinen Unterschied zu meinem Nikkor 24-70 feststellen… Profi-Qualität… Am Objektiv selber kann man – wie üblich – zwischen Manuellem und manuell-/automatischem Fokus umschalten. Zwei weitere Schalter verraten, dass Nikon hier “mitgedacht hat”. Neben dem “VR- ON/OFF” – der die Bildstabilisierung ein- oder ausschaltet, befindet sich ein weiterer Schalter “normal/active” wo man offenbar den “Grad” der Beanspruchung der Bildstabilisierung einstellt. Er verspricht bis zu 4 mal längere Belichtungszeiten. Ein Wert, den ich im ersten Test zumindest “gefühlt” bestätigen kann.
Die Schärfe des Objektives
…ist über alle Brennweiten absolut ok. Ich würde es nicht als Rasierklingenscharf bezeichnen, es reicht jedoch, dass es ohne späteres Nachschärfen auskommt. Wie immer und überall, bringt das leichte Abblenden mehr Schärfe. Schärft man es in Lightroom oder Photoshop später etwas nach, ist es absolut TOP!
“Out of Cam” | Brennweite: 300mm | Blende: 5,6| Verschlusszeit: 1/500 | Nikon D3s
100% Vergrößerung
Randabschattung / Vignette
Sichtbar, aber nicht störend. Insgesamt wesentlich kleiner als bei manchen meiner Festbrennweiten bei offener Blende
“Out of Cam” | Brennweite: 300mm | Blende: 5,6 | Verschlusszeit: 1/1000 | Nikon D3s
Chromatische Aberrationen
…konnte ich bei den ersten 120 Bilder nicht feststellen! Ich hab teurere Linsen, die das nichts schaffen!
Verzeichnung
… Heia! Hier streckt die Linse im Weitwinkelbereich die Waffen. Es sind deutliche (!) Verzeichnungen zu sehen, die ich aber in Lightroom mit einem Knopfdruck zu 100% beseitigen konnte
Verzeichnung bei 28mm “out of Cam” Brennweite: 28mm | Blende: 4,0 | Verschlusszeit: 1/320 | Nikon D3s
Verzeichnung bei 28mm “in Lightroom korrigiert”
Bokeh
Wie oben bereits geschrieben “Ein Universalzoom ist ein Korrekturwunderwerk mit Kompromissen”. Ein butterweiches Bokeh wie bei meinen Festbrennweiten hab ich nicht erwartet. Das Universalzoom schlägt sich hier ganz brauchbar. Das Bokeh schmeichelt nicht, ist aber auch kein Weltuntergang. Ich finde es völlig ok…
“Out of Cam” Brennweite: 300mm | Blende: 5,6 | Verschlusszeit: 1/160 | Nikon D3s
Geschwindigkeit des Autofokus
Ich würde ihn – verglichen mit meinem Nikkor 24-70 ebenfalls als schnell, leise und präzise bezeichnen. Die Laufenten der Nachbarn, konnte es jedenfalls einfangen:
“Out of Cam” Brennweite: 120mm | Blende: 5,6 | Verschlusszeit: 1/1200 | Nikon D3s
Kontrast / Abbildung
Kein Überstrahlen heller Bildanteile. Der Kontrast ist weder matschig noch exorbitant, aber absolut ok!
Mein erstes Fazit:
Für 800€ Strassenpreis bekommt man ein ordentliches Stück Glas geboten, dass sich nicht verstecken muss. Im direkten (kurzen) Vergleich zum 24/120 f4 kann ich bei den mir wichtigen Merkmalen (Bokeh, Schärfe, Kontrast, Schnelligkeit) nur marginale Unterschiede feststellen. Für das Geld hab von 24mm bis 300mm alles abgedeckt und das bei einer soliden Qualität. Als Universalzoom für den Urlaub oder bei kurzen Reportage-Einsätzen ist es eine echte Empfehlung.