Die Unredlichkeit der “politisch Korrekten”

von Uwe Lehnert

Am 19. Mai die­ses Jahres erschien in der Berliner Zeitung und der Frankfurter Rundschau ein Kommentar der tür­kisch­stäm­mi­gen, inzwi­schen deut­schen Journalistin Mely Kiyak. Sie erging sich darin in der­ben Beschimpfungen von Thilo Sarrazin anläss­lich einer Talkshow im Fernsehen. In die­sem Kommentar bezeich­nete sie Sarrazin u.a. als “lis­pelnde, stot­ternde, zuckende Menschenkarikatur”. Als Leser sich wegen die­ser ver­ba­len Entgleisungen empör­ten, ent­schul­digte sie sich und meinte, wenn sie gewusst hätte, dass Herr Sarrazin infolge einer Tumoroperation im Gesichtsbereich diese Probleme hat, hätte sie sich anders geäu­ßert. Als ob sol­che men­schen­ver­ach­ten­den Äuße­run­gen dann statt­haft wären, wenn ein Mensch von Natur aus mit sol­chen Handicaps belas­tet ist. Wie mag sie über wirk­lich Behinderte den­ken und spre­chen, die lei­der noch ganz andere Abweichungen von der Normalität auf­wei­sen?

MelyKiyak Die Unredlichkeit der politisch Korrekten

Mely Kiyak, Fotoquelle: deutsche-islam-konferenz.de

In einem ande­ren, eben­falls kürz­lich in der Berliner Zeitung ver­fass­ten Kommentar schrieb sie: “In Deutschland wäscht man sich zu sel­ten. Warum sonst riecht es in den öffent­li­chen Verkehrsmitteln so scheuß­lich? Wo doch ein Stück Seife wenige Cents kos­tet?”

Nun könnte man über sol­che Entgleisungen einer Journalistin hin­weg­ge­hen, nicht jeder Mensch ver­fügt über jene cha­rak­ter­li­che Bildung, die sol­che Äuße­run­gen eigent­lich ver­bie­tet. Es gibt – lei­der – genü­gend Deutsche, auch Journalisten und Kommentatoren, die in die­ser Hinsicht nicht bes­ser sind. Was ich wirk­lich empö­rend finde ist, dass sich renom­mierte Zeitungen für sol­che respekt­lo­sen Behandlungen von Mitmenschen her­ge­ben.

Benötigt sach­li­che Kritik Beleidigungen? Gerade diese bei­den Blätter pran­gern bei ver­gleich­ba­ren, z.B. islam­kri­ti­schen, Texten als erste “Rassismus”, “Menschenverachtung”, “brau­nen Sumpf” udgl. an, selbst wenn der Ton wesent­lich harm­lo­ser ist. Selbst mit Fakten und Argumenten unter­füt­terte Kritik am Verhalten – ein­zel­ner – Migranten gerät bei die­sen Zeitungen ganz schnell in die Nähe von Ausländerfeindlichkeit. Sie selbst haben aber offen­bar über­haupt keine Hemmungen, sol­chen nun wirk­lich belei­di­gen­den und in der Tat men­schen­ver­ach­ten­den Meinungsäußerungen – tref­fen sie doch den ideo­lo­gi­schen Gegner – selbst eine Plattform zu bie­ten.

Zwar bedau­erte ein Verantwortlicher der Berliner Zeitung diese Äuße­run­gen im Nachhinein, da sich “einige Leser beschwert” hät­ten. Er selbst kam offen­bar über­haupt nicht auf die Idee, sol­che jour­na­lis­ti­sche Fehltritte – um es freund­lich aus­zu­drü­cken – über­haupt nicht erst zuzu­las­sen. Auch die Kommentatorin erei­ferte sich über eine angeb­lich “gesteu­erte und orga­ni­sierte Beschwerdewelle”, die nach die­sem Sarrazin-Kommentar über sie her­ein­ge­bro­chen sei. Ähnlich geküns­telt ent­rüs­tet gibt sich die taz vom 29.5.12, die eben­falls die Beschwerden über die­sen Kommentar als über­zo­gen ver­ur­teilt und von “der geball­ten Wut der Sarrazin-Fans” sprach.

Wie ver­ein­bart sich huma­nis­ti­sches Denken mit sol­cher Form von Journalismus, gerade in Blättern, die sich gern als Vorhut auf­ge­klär­ten und men­schen­wür­di­gen Umgangs mit­ein­an­der ver­ste­hen? Damit wir uns nicht miss­ver­ste­hen: Es geht hier über­haupt nicht um Sarrazin. Es geht um einen respekt­vol­len Umgang mit­ein­an­der, auch und gerade bei kon­tro­ver­sen und gesell­schafts­po­li­tisch bri­san­ten Themen. Und die­ser respekt­volle Umgang ist nicht nur von uns gegen­über zum Beispiel Migranten zu for­dern, son­dern auch von die­sen im Umgang mit uns. Der Stil in den öffent­li­chen Medien sollte in die­ser Hinsicht vor­bild­lich sein – aber nicht “poli­tisch kor­rekt” ver­bo­gen und unehr­lich – und nicht das nach­ah­men, was in vie­len Berliner Schulen mit hohem Migrantenanteil lei­der oft genug der übli­che Umgangston ist.

Anmerkung zu den Text-Quellen: Ich selbst habe diese Äuße­run­gen der Frau Mely Kiyak noch gele­sen. Inzwischen hat die Berliner Zeitung die Texte von Frau Mely Kiyak voll­stän­dig vom Netz genom­men. Offenbar hat sich Scham über sol­che Verstöße gegen fai­ren und ver­ant­wor­tungs­vol­len Journalismus selbst bei die­sen Verantwortlichen ein­ge­stellt. Indirekt fin­det man den Beleg über diese Kommentare bei dem oben erwähn­ten taz-Artikel vom 29.5.12, bei der – ups! – Bild-Zeitung (goo­geln mit: Bild Sarrazin Kiyak) und in einem Beitrag der Soziologin und Autorin Necla Kelek im Politischen Feuilleton des Deutschlandradio (“Warum fragt mich nie­mand, …”) vom 21.6.12.

Da die Wiederholung bekannt­lich die “Mutter der Pädagogik” ist, erlaube ich mir, hier einen Abschnitt aus mei­nem Buch “Warum ich kein Christ sein will” zu wie­der­ho­len, der die Art und Weise the­ma­ti­siert, wie wir mit ande­ren, spe­zi­ell frem­den Kulturen umge­hen soll­ten: respekt­voll, ehr­lich, um Verständigung und nicht um Aus- und Abgrenzung bemüht. Dieses Bemühen sollte aber, liebe Frau Kiyak, auch für Sie gel­ten! Ich for­mu­liere dort in einem etwas ande­ren, aber hier über­trag­ba­ren Zusammenhang:

Im Übri­gen wehre ich mich gegen die lei­der ver­brei­tete Auffassung, dass Islamkritik, selbst sach­lich vor­ge­tra­gene, aus­län­der­feind­lich sei. Der unbe­dingte Respekt vor dem ande­ren Menschen – auch gläu­bi­gen, gleich­gül­tig aus wel­chem Land er kommt – schließt Kritik an des­sen Meinung und Religion für mich kei­nes­falls aus. Respekt meint, dass ich den ande­ren so behan­dele, wie ich behan­delt wer­den möchte, und dass ich seine Position als per­sön­li­che Meinung tole­riere. Tolerieren in die­sem Sinne heißt, for­mal zu akzep­tie­ren, dass er das Recht auf einen eige­nen, von dem mei­nen abwei­chen­den Standpunkt hat. Inhaltlich jedoch erlaube ich mir, die Meinung des ande­ren mit Argumenten zu kri­ti­sie­ren, gege­be­nen­falls sogar ent­schie­den abzu­leh­nen. Toleranz setzt aller­dings Gegenseitigkeit vor­aus. Denn Toleranz und Respekt kann nur erwar­ten, wer selbst die­ses Verhalten zeigt, andern­falls ver­liert eine faire Auseinandersetzung ihre Basis. … Daraus (den­noch) ent­ste­hende Konflikte sind im Geiste unse­res Grundgesetzes aus­zu­tra­gen.

 


Anmerkung des Blogbetreibers:
Ich habe lange über­legt, ob ich den Artikel ein­stelle. Denn auch PI regt sich über Frau Kiyak auf (http://www.pi-news.net/2012/05/mely-kiyak-uber-sarrazin/) und der Beginn des Artikels unter­stellt der Autorin und den bei­den Zeitungen absicht­li­che Diffamierung des Herrn Sarrazin.
An die­ser Stelle gehen die Ansichten des Autors und des Blogbetreibers aus­ein­an­der. Andererseits denke ich, dass der Artikel der Debatte dient. Deshalb habe ich ihn hier ver­öf­fent­licht.

Nic 


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