Die Uni brennt und im Spital raucht’s auch
Gestern gab’s wieder eine Uni-Besetzung, von der die APA dann auch mit einiger Verspätung berichtete.
Der Grund war diesmal ein bemerkenswerter:
Studenten der Internationalen Entwicklung haben am Donnerstag das Audimax der Universität Wien für mehrere Stunden besetzt. Sie forderten ein Weiterbestehen des Bachelorstudiums Internationale Entwicklung.
Das Rektorat hatte angekündigt, nur das Masterstudium weiterführen zu wollen.
http://derstandard.at/1334530915494/Studenten-protestierten-gegen-Rektorat-Uni-Wien-Polizei-raeumte-besetztes-Audimax
Na wo gibt’s denn so was …. für mehr Studienbeihilfen und weniger –gebühren, für den Weltfrieden zu demonstrieren, war man von den akademischen Azubis schon gewöhnt, aber dass sie für MEHR Bolognia protestieren, das verwundert ebenso, wie das Fakt, dass dieser Beitrag hier in der Gesundheitssystems-Spalte gelangte …
Wir machen uns hier nun auch des "Überraschungsverbotes" schuldig, das das Grazer OLG der ersten Instanz vorgeworfen hat und deshalb das Urteil gegen UWE Scheuch aufgehoben hat (http://sprechstunde.meinblog.at/?blogId=34247) aber das gehört ja wieder ins Satanswinkerl, so dass auch für diesen Bereich wieder Werbung betrieben wird.
Zurück zum Gesundheitswesen und seinen Querverbindungen in die Welt der Bildung a la bolognese.
Es gab Zeiten, da wurde Krankenpflege und medizinisch-technische Berufe (RöntgenassistenIn, medizinisch Technische AssistentIn, …)
an Schulen und letztere später an Akademien unterrichtet,
die meist großen Spitäler angeschlossen waren und - das war vielen ein Dorn im Auge - letztlich aus dem Krankenhausbudget finanziert werden musste. So ganz falsch war das aber nicht, denn im Rahmen der praktischen Ausbildung „halfen“ die Azubis in eben diesen Spitälern mit bzw. die Ärzte, KrankenpflegerInnen, Techniker, Physiker, …etc. unterrichteten gegen sehr geringes Entgelt unmittelbar nach (manchmal auch während) ihres Hauptjobs im Spital. Eine österreichische Lösung halt.
Im Zuge des Bolognia-Prozesses, der für sehr vieles als Begründung herangezogen wurde wofür er vielleicht gar nicht gedacht war, sahen die Verantwortlichen der Gesundheitsbudgets die Möglichkeit, sich der Kosten dieses Schul- und Akademiebetriebes zu entledigen und verkauften das als dann den Betroffenen als Aufwertung, d.h. Akademisierung dieser Berufe.
Als äußerliches Zeichen wurde die „Assistenz“ aus den Berufsbezeichnungen der medizinische-technischen Dienste (MTD) entfernt, ein sachlich m.E. hinterfragbares Recht zur eigenständigen Berufsausübung wurde ins MTD Gesetz geschrieben (die „Physiko“ diagnostiziert die Ursache ihrer Rückenschmerzen, entscheidet welche Therapie hier angewandt wird und bestätigt sich gleich selbst in der Verlaufskontrolle) und aus den Radiologieassistenten (RTA) wurden die RadiologietechnologInnen (RT), aus den medizinisch-technischen AssistentInnen (MTA) im Labor wurden die die BAs (Biochemische AnalytikerInnen), .. .etc.
Die Fachhochschulen (FHs) waren geboren (http://de.wikipedia.org/wiki/Fachhochschule)
UND ein Wildwuchs im Angebot an Lehrgängen jeglicher Art
UND (trotz stattlicher Förderungen des FH Sektors durch die öffentliche Hand) Semestergebühren in stattlicher Höhe, die die Azubis natürlich nun selbst zu bezahlen haben.
Für die MTDs ist dieser Prozess abgeschlossen, für die Pflegeberufe beginnt er langsam wirksam zu werden.
Hat man sich z.B. in Wien entschlossen den Pflegeberuf zu ergreifen und hat mind. 10 Schulstufen der Grundschule erfolgreich absolviert, dann zahlt die Stadt Wien die nachfolgende 3-jährige Ausbildung und diese endete mit einem Diplom, das zur Berufsausübung im gehobenen Dienst der allgemeinen Gesundheits- und Krankenpflege berechtigt.
Da aus einer Reihe von Gründen dieser Beruf nicht allzu attraktiv war bzw. viele AbsolventInnen den Beruf nur bis zur Familiengründung ausüben, wurden insbesondere in Wien seit Jahrzehnten ganze Horden von Pflegekräften von den Philippinen und dem ehemaligen Ostblock „importiert“.
Strebt man jedoch nach Höherem findet man nun an den FHs genügend Möglichkeiten sich, unabhängig der wirklichen Familienplanung, Bachelor zu nennen.
Zuerst z.B. 4 Semester berufsbegleitend bis zum Master of Science in Advanced Nursing Counseling (MSc) (
120 ECTS-Credits) für 10.800 € und dann 6 Semester Vollzeit, d.h. Sie scheiden aus dem Berufsleben aus) zum Bachelor of Science in Health Studies (BSc) (180 ECTS-Credits) für € 363,36 + ÖH Beitrag pro Semester.
Es würde den Platz hier sprengen, wenn man alle einschlägigen Kurse hier anführen würde, aber auf http://www.fh-campuswien.ac.at/studium/ können Sie sich gerne ein Bild machen.
Die FH Campus Wien ist mit ca. 3800 Studierenden eine der größten Fachhochschulen in Österreich, jedoch letztendlich nur eine von vielen: http://de.wikipedia.org/wiki/%C3%96sterreichische_Universit%C3%A4ten_und_Fachhochschulen, von denen die meisten Kurse im weiten Feld der Gesundheitswissenschaften bzw. der Life Science anbieten.
Jetzt mag man einwenden, dass denn das alles eh unheimlich supi wäre, denn ein mehr an Ausbildung kann doch nicht schlecht sein?!
Doch, das ist es:
Unterschiedliche Berufe haben einen unterschiedlichen Bedarf an
„Kenntnissen“ = theoretische Wissen
„Erfahrungen“ = empirischen Wahrnehmungen in aktiver oder passiver Rolle
„Fertigkeiten“ = Fähigkeit etwas auch (manuell) eigenverantwortlich zu tun
Selbstverständlich, handelt sich ja bei den FHs um „wissenschaftliche“ Einrichtungen, so dass wir von dort mit einer Fülle an „Arbeiten“ überschwemmt werden, die durchaus ambitioniert sein können, jedoch, in Zeiten da die universitäre Forschung im Bereich der Medizin kaum mehr finanzierbar ist, irgendwo oberflächlich bleiben müssen.
Nie wird nach der Evidenz gefragt, ob denn das Erstellen einer wissenschaftlichen Arbeit zu einer besseren Performance in einem Beruf führt, der im täglichen Leben keine „Forschung“ sondern „Handeln“ auf Basis der erforschten Wissensbasis erfordert.
Verstehen Sie mich nicht falsch, natürlich gibt es einen Bedarf an Forschung in den Pflegewissenschaften, jedoch ist für mich sehr hinterfragbar, ob die Mehrheit der Menschen, deren primärer Impuls es war „Menschen zu pflegen“, von tieferen Kenntnissen der Multivarianzanalyse profitieren, weder persönlich noch in ihrer täglichen Arbeit.
Und das führt uns wieder zum aktuellen Ausgangspunkt:
Sowohl in einem IMHO (in my humble opinion) mehr theoretisch als praktisch ausgerichteten Fach, eben den Internationalen Beziehungen, als auch in den überwiegend praktisch orientierten Ausbildungen nicht-ärztlichen Berufe in der Medizin gibt es einen extremen Trend in Richtung einer Akademisierung,.
In der Ärzteausbildung hingegen hält sich das Gespenst des „Medizin Bachelors“ http://diepresse.com/home/bildung/universitaet/491057/MedizinBachelor_Aerzte-gegen-ein-bisschen-Medizin , wird auch auf europ. Ebene weiter diskutiert (http://www.wissenschaftsmanagement-online.de/converis/artikel/1210).
So weit sind wir in Ö noch nicht, aber der hier schon einmal angeprangerte OÖ Ärztekammerpräsident Niedermoser (http://sprechstunde.meinblog.at/?blogId=33516) hat diese Haltung gemeinsam mit dem Bundesministerium für Gesundheit (Dr. Türk) durch die „Modularisierung“ der postpromotionellen Ärzteausbildung weitergeführt, wo (Originalzitat:)
„Halt nicht mehr jeder Facharzt alles in seinem Fach können muss.“
Also stellt sich die Frage, ob sich nicht auch die Medizinstudenten mit den Audimaxbesetzern (#unibrennt) solidarisieren sollen, denn der Trend vom soliden Erlernen des Handwerks hin zu Theoretisierung und oberflächlichen „Akademisierung“ ist hier wie dort unübersehbar.
Das Büro der http://unibrennt.at/ befindet sich übrigens auch in der SPITALgasse, am Fuße des AKH....
Bildnachweis: HP Screenshot von #unibrennt