Die ungelösten Probleme des Impfwesens

In der Öffentlichkeit wird von Gesundheitspolitik und Medien die Ansicht verbreitet, dass es beim Impfen nur ein einziges Problem gibt: die Impfgegner. In Wahrheit sind die Verhältnisse deutlich komplexer. Fehlplanungen und systemimmanente Missstände werden seit Jahren verschleiert. Das Impfwesen entwickelt sich immer mehr zu einer abgeschotteten Community, die sich selbst mit alternativen Fakten versorgt. 

Die ungelösten Probleme des Impfwesens

Gutes Image und fehlende Kontrolle - eine fatale Kombination


Die eigenen Entscheidungen einer strengen Prüfung zu unterziehen, die begangenen Fehler anschließend in einem öffentlichen Verfahren zu diskutieren und notfalls um 180 Grad zu korrigieren, so etwas klingt zwar edel - gehört aber im Normalfall nicht zu den vorherrschenden menschlichen Eigenschaften. Solche Prozesse mögen einzelne Individuen im Zuge von Lebenskrisen durchmachen - bei mächtigen Institutionen ist kritische Selbstreflexion hingegen unwahrscheinlich, speziell wenn die Angelegenheit kompliziert und schwierig ist.
Deshalb gibt es Kontrollinstanzen wie Rechnungshöfe. Niemand käme z.B. auf die Idee, dem Amt für Straßenbau die Aufgabe zu übertragen, den Bau einer Autobahn – von der Ausschreibung der Arbeiten bis zur Abrechnung – vollständig unabhängig durchzuführen und sich dann selbst zu prüfen. Zum einen würde das Korruption fördern, zum anderen den Lerneffekt verhindern, den die unabhängige Sicht fremder Fachleute immer bringt. Das Fehlen derartiger Kontroll-Instanzen führt zu institutionellem Selbstbetrug. Geduldet wird schließlich nur noch, was die zuvor getroffenen Entscheidungen rechtfertigt.
Ein System, das sich selbst kontrolliert
Auf das Impfwesen treffen viele dieser Beschreibungen zu. Dieselben Behörden, welche die Impfpläne erstellen und für eine möglichst hohe Impfquote werben, kontrollieren anschließend den Erfolg ihrer Empfehlungen. Das ist bereits insofern absurd, als es derzeit kaum Möglichkeiten gibt, die Resultate einer Impfempfehlung überhaupt seriös zu messen und zu bewerten. Die Behörden haben es nämlich bisher verabsäumt, ein elektronisches Impfregister einzuführen, bei dem die durchgeführten Impfungen mit den individuellen Gesundheitsdaten verknüpft werden können. Mit so einem Impfregister wäre es möglich, auf Knopfdruck den Erfolg vieler Impfungen zu messen und der Bevölkerung eine Schaden-Nutzen Abwägung zu präsentieren, welche für eine informierte Entscheidungsfindung notwendig wäre.
Am Beispiel der Influenza-Impfung könnte man damit etwa folgende Fragen beantworten:
  • Erspart man sich mit der Influenza-Impfung Krankenstände bzw. Pflegeurlaub - und falls ja, wie viele Tage? 
  • Welche Altersgruppen profitieren am meisten von der Impfung, welche am wenigsten?
  • Gibt es auffällige Nebenwirkungen der Impfung?
  • Welche Produkte sind nach diesen Kriterien die besten Impfungen, welche sollten vom Markt genommen werden?

In einem intelligent organisierten Gesundheitssystem sollten die Behörden für jede Impfung ein Anforderungsprofil schaffen mit bestimmten Zielen. Außerdem müssten Sicherheits-Standards festgelegt werden: Was ist an Nebenwirkungen tolerierbar, was wäre eine rote Linie, die nicht überschritten werden darf.
Weil die Daten von Millionen Menschen einfließen, wäre es möglich auch seltene Risiken statistisch zu klären. Und dann könnte mit Hilfe des Impfregisters jedes Jahr geprüft werden, ob die jeweilige Impfung die an sie gestellten Anforderungen erfüllt.
Ohne ein derartiges Impfregister ist hingegen jede Impfung aus wissenschaftlicher Sicht ein "Schuss ins Dunkle".  Wirkung und Sicherheit der Impfungen können derzeit nur über statistische Umwege abgeschätzt werden. Und damit ergibt sich ein Graubereich der Interpretation, der fehleranfällig ist und zu Beschönigungen einlädt.
Impfpflicht als Eigentor
Im Mittelpunkt der Diskussion steht derzeit meist die Masern. In Deutschland plant die schwarz-rote Koalition eine Impfpflicht. Wichtigster Grund für diese Initiative sind Meinungsumfragen, die eine starke Befürwortung der Impfpflicht in der Bevölkerung zeigen. Die meisten Impfexperten warnen hingegen vor einer derartigen populistischen Aktion.
Schon jetzt sei die Impfquote bei Masern sehr hoch. Mit Hilfe einer gesetzlichen Impfpflicht kann sie kaum weiter erhöht werden. Im Gegenzug wächst hingegen die Gefahr, dass diese Aktion nach hinten los geht. Immerhin geschieht damit – erstmals seit der alten Pocken-Impfung – wieder ein tiefer Eingriff in zentrale Grundrechte unserer Verfassung wie z.B. das Recht auf körperliche Unversehrtheit und das Recht der Eltern, die Erziehung und Pflege ihrer Kinder selbst zu bestimmen. Wenn der Amtsarzt mit Polizeibegleitung zur Zwangsimpfung schreiten muss, ergibt sich eine dramatische Polarisierung, welche einer informierten Entscheidungsfindung nicht zuträglich ist.
In Frankreich stieg - nach der Ausweitung der Impfpflicht durch die Regierung Macron - die Zahl der Impfkritiker auf Rekordwerte. Laut aktueller Daten des britischen "Wellcome Trust" stufen 33 Prozent der befragten Franzosen Impfungen als "unsicher" ein. Ein absoluter Spitzenwert in Westeuropa.
Ob es gelingen kann, die Masern auszurotten, ist derzeit – mit oder ohne Impfpflicht – höchst zweifelhaft. Und mit jedem Jahr, das verstreicht, werden die Chancen geringer, weil bei einem Teil der geimpften Erwachsenen der Schutz schwindet.
Windpocken: Das programmierte Desaster
Anstatt nun von diesen Problemen zu lernen und neue Fehler möglichst zu vermeiden, sind die Behörden derzeit dabei, bei Windpocken dieselben Fehler zu machen. Auch bei dieser meist vollständig unkompliziert verlaufenden Kinderkrankheit wird seit 2004 die Impfung empfohlen. Im Vergleich zu Masern ist hier der Impfschutz mit rund 80 Prozent deutlich geringer. Außerdem besteht überhaupt keine Chance, die Windpocken-Viren jemals auszurotten. Diese Varizellen bleiben nämlich sowohl nach durchgemachter Krankheit als auch nach einer Impfung im Körper zurück und "schlafen" dort am Ende von Nervensträngen. Wenn wir Glück haben ein Leben lang.
Wenn wir kein Glück haben, brechen die Varizellen wieder aus - diesmal jedoch nicht in Form der Windpocken, sondern als Gürtelrose (Herpes zoster). Die Viren verbreiten sich entlang der Nervenstränge und lösen auf der Haut unangenehme, teils extrem schmerzhafte Ausschläge aus, die schwer zu behandeln sind.
In den USA wurde die Windpocken-Impfung zehn Jahre vor Deutschland eingeführt. Und seit langem wird dort von einer starken Zunahme der Fälle von Herpes zoster berichtet. Epidemiologische Studien zeigten einen überraschenden Zusammenhang: Das Risiko, an einer Gürtelrose zu erkranken war umso höher, je weniger Kontakt die betroffene Person mit windpocken-kranken Kindern hatte. Offenbar braucht das Immunsystem der Erwachsenen ab und zu diese Erinnerung, um auf die schlafenden Windpocken Viren besser acht zu geben. Heute gibt es in den USA bereits mehr Fälle von Gürtelrose als von Windpocken.
In Deutschland sind nach Angaben des Robert Koch Instituts (RKI) die Fälle von Windpocken seit 2005 um 71 bis 88 Prozent zurückgegangen. Eine erste Erhebung der Behörde zur Häufigkeit der Gürtelrose zeigt nun, dass die US-amerikanischen Verhältnisse auch hierzulande einkehren. Mit jedem Jahr nehmen die Krankenhaus-Einweisungen mit der Diagnose Herpes zoster zu. Lag die Zahl im Jahr 2005 noch bei 14.446 Fällen, mussten 2015 bereits 23.463 Personen deshalb in einer Klinik behandelt werden.
Dass die eigene Impfempfehlung dafür verantwortlich ist, will die Behörde aber nicht zugeben: "Ob die beobachtete ständige Zunahme der Inzidenz von Herpes zoster bei Erwachsenen mit der Windpocken-Impfung der Kinder zusammen hängt, bleibt unklar", heißt es im Bericht des RKI.
Die Zunahme der Gürtelrose ist allerdings nur eines der Probleme, welche durch das Impfprogramm ausgelöst wurde. Wie bei Masern entstehen auch bei Windpocken neue Risikogruppen. In den USA hat sich das durchschnittliche Alter in dem die Kinder erkranken von rund 4 bis 5 Jahren auf 11 bis 12 Jahre mehr als verdoppelt. Ähnlich wie bei Röteln bilden die Windpocken aber ein starkes Risiko für Schwangere, weil die Viren das ungeborene Kind angreifen und schwer schädigen kann. "In spätestens zehn Jahren wird dann die Windpocken-Impfpflicht gefordert werden, weil es mehr und mehr Schwangere geben wird, die - ob geimpft oder nicht - keine verlässliche Immunität haben", erklärt der Münchner Kinderarzt Martin Hirte. "Dann müssen entweder die Schwangeren oder die Ungeimpften in Dauer-Quarantäne. Was für ein selbsteingebrocktes Szenario!"
Befangene Impfexperten
Die Empfehlung zur Windpocken-Impfung abzuschaffen wäre wohl die sinnvollste Variante. Noch besteht dazu die Möglichkeit. Doch einmal getroffene Beschlüsse wieder zurück zu nehmen, das steht für die Behörde nicht zur Diskussion.
Die Impfempfehlungen erstellt die "Ständige Impfkommission (STIKO)" am Robert Koch Institut in Berlin. Ihr kommt eine gewaltige Verantwortung zu, indem hier entschieden wird, welche Impfstoffe die Mehrzahl der deutschen Kinder bekommt. In der STIKO wird aber auch entschieden, wie viel Steuergeld für das Impfen ausgegeben wird. Und das ist eine ganze Menge: Im Jahr 2017 belief sich der Aufwand der gesetzlichen Krankenversicherungen in Deutschland für Impfungen auf immerhin 1,23 Milliarden Euro.
Insofern wäre es eine Selbstverständlichkeit für ein zivilisiertes Land, dass die Auswahl der Mitglieder dieses Gremiums nach strengsten Kriterien der Transparenz und der wissenschaftlichen Objektivität stattfindet. Dass finanzielle Verbindungen mit Impfstoff-Herstellern nicht geduldet werden und auch von der intellektuellen Einstellung des jeweiligen Experten eine gewisse geistige Unabhängigkeit erwartet wird.
Seit langem gleicht die STIKO hingegen einem Club von Pharma-Lobbyisten, die neue Impfungen anstandslos durchwinkt. Speziell in der Ära ihres Langzeit-Vorsitzenden Heinz-Josef Schmitt wurden mit der Empfehlung der Immunisierung gegen Windpocken, Meningokokken oder Pneumokokken laufend neue Impfungen in den Impfkalender gehievt. Den Höhepunkt bildete im Jahr 2007 die Empfehlung der brandneuen, 450 Euro teuren Impfung gegen humane Papillomaviren (HPV), die als erstes Land Europas - kurz nach der Eilzulassung in den USA übernommen wurde.
Kurz davor hatte sich Schmitt noch mit einem Geldpreis für die "Förderung des Impfgedankens" auszeichnen lassen, der ausgerechnet vom Herstellerkonzern der HPV Impfung finanziert worden war. "Das sind öffentliche Bestechungen", schimpfte Wolfgang Becker-Brüser, der Herausgeber des unabhängigen "arznei-telegramm". Zahlreiche Medien schlossen sich der Kritik an. Heinz-Josef Schmitt war beleidigt und wechselte endgültig zur Industrie, wo er zuletzt als Direktor im Impfbereich des weltgrößten Pharmakonzerns Pfizer tätig war.
In der Folge wurde die Pflicht zur Offenlegung der finanziellen Interessenskonflikte der STIKO-Mitglieder eingeführt. Insofern hat sich eine gewisse Besserung der Zustände ergeben. Die Mehrzahl der 18 Mitglieder hat jedoch nach wie vor enge Beziehungen zur Industrie.
Im Bereich der Prävention sollte es eine strenge Trennung geben zwischen den Behörden, die Impfpläne erstellen - und einer unabhängigen Kontrollinstanz, welche mögliche unerwünschte Folgen sammeln und wissenschaftlich objektiv beurteilt.
Derzeit gibt es diese Trennung nicht: Die Behörden sind alles in einer Instanz. Im Wirtschaftsbereich ist es klar, dass Interessenskonflikte ein „No Go!“ darstellen und sich der zu Kontrollierende nicht selbst kontrollieren soll. Hier jedoch erwartet man plötzlich Wunder an Zivilcourage. Wunder, die nicht passieren.
Von Bert Ehgartner ist kürzlich der Ratgeber "Gute Impfung - Schlechte Impfung" erschienen (Verlag Ennsthaler). Darin wird für jede der gebräuchlichen Impfungen ein eigenes Nutzen-Risiko Profil erstellt. (siehe Bestell-Hinweise in der Spalte rechts)

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