Neun Meter schwarzes Zelluloid für den Motor
Was ist schon so ungewöhnlich daran? Träume vergehen doch mit der Zeit.
Das sagt absolut jeder. Nicht nur deine Mutter, Oma oder Tantchen Greta, sondern auch kollektive Figuren aus Filmen oder Büchern. Ich bin mir sicher, dass Madonna es auch mal in einem ihrer frühen Popsongs beschallt hat. Verharmlosen will ich diesen üblen Nachgeschmack trotzdem nicht.
Es ist jetzt auch nicht das erste Mal gewesen, dass mich ein solcher Alptraum verfolgt hat. Ich lasse die Sequenzen vereinzelnt in meinen Gedanken verschwimmen und versuche, irgendeine Art von Interpretation zu konstruieren. Seltsam und verstörend fühlt sich die Tatsache an, dass ich selbst nicht ein einziges Mal in dem Traum vorgekommen bin. Die Protagonisten sind nur Emma und irgendein namenloser Unbekannter gewesen, dessen Gesicht stetig von einem dunklen Schatten verdeckt wurde und gleicherweise kann ich mich auch nur an einen geringen Lichteinfall erinnern, der den Bildverlauf halbsweg unkenntlich dargestellt hat.
"während er sein gesamtes Körpergewicht verlagert"
Die Szenen sind also von einem intensiven Halbdunkel dominiert gewesen. Eine Art fiktiver Film Noir des einunzwanzigsten Jahrhunderts, der nur im Hirnsalat von Alexander Roth existieren kann. Bescheuert. Aber die größte Schuld an meiner heutigen Verwirrtheit trägt dieser Fremde. Die tausend Fragezeichen in meinem Kopf entstehen gerade nur durch sein unmenschlich brutales Verhalten. Besonders einprägsam bleibt die Szene, in der er die eher zierlich gebaute Emma energisch an ihrem Torso festhält und sie frontal auf den Boden drückt. Sie trägt dabei nur ihre Unterwäsche, während der Inkognito ihren BH öffnet und ihn wieder so fest zudrückt, dass ihr sofort die Luft wegbleibt und sie heftig husten muss. Unterdessen zappelt sie cholerisch verwirrt mit Armen und Beinen, während er sein gesamtes Körpergewicht auf ihr verlagert, nach ihrem Kopf greift und ihr Gesicht in den feuchten Erdboden quetscht, weil ihn möglicherweise ihr Geschrei stört. Ein paar Sekunden später kann man das Mädchen bemitleidenswert leise weinen hören. Ich nehme aus diesem Akt heraus, dass Emma wohl nicht auf diesen Gewalttätigkeitsüberfall vorbereitet war.
Ich hätte ihr so gerne geholfen, dass die Erinnerung daran wehtut, aber ich habe ja selbst keine Rolle bekommen in dieser grotesken Farce und konnte gleichsam nur zusehen. Das Nachspiel dieses Film Noirs ist, dass ich nun ein unerklärliches Schuldgefühl für meine Freundin Emma projektiere. Aber warum? Ich fühle mich innerlich wie ein unschuldig Inhaftierter in meinem eigens erbauten Marottengefängnis, fange aber endlich mit Ablenkungsgedanken an, die mich wieder in die Realität katapultieren.
Aus dem Fenster starrend kann ich erkennen, dass der Tag sich bald verabschieden will. Die Ruhe, die gerade um mich herum herrscht, sollte mir doch eigentlich eine angenehme Harmonie signalisieren, tut sich jedoch noch schwer dabei wobei sie sich zwischenzeitlich mit einem Hauch von Angst vermischt. Eine fürsorgliche Furchtsamkeit. Emma ist etwa zwei Jahre jünger als ich und unsere Freundschaft hält sich nun schon über einen längeren Zeitraum. Sie ist zwar genauso naiv wie dominant überlegen, reitet sich jedoch des Öfteren in noch mehr Debakel hinein als ich. Wo sie sich auf die Oberflächlichkeit nur als alkoholaffines Partygirl auf Highheels und manchmal auch auf Ecstacy reflektiert, ist sie für mich ein bodenständiges und zugleich leicht verletztes Mädchen, zudem ich, wenn auch mühevoll, über die Jahre hinweg ein angenehmes Vertrauen aufgebaut habe. So ist diese besagte Angst vielleicht eine Verlustangst?
Ich denke, ich sehe mich in ihrer Freundschaftskonstellation als eine Art Schutzherren, dessen Rollenverteilung sie noch nicht einmal selbst erfahren will. Soll mir dieser Traum schließlich etwas vermitteln? Sollte ich prävalenter auf sie aufpassen? Ausnahmsweise entscheide ich mich an dieser Stelle, ganz untypisch, für ein sicheres Ja.
Lale Nikki Eggers