Vielleicht sollten wir ein paar verinnerlichte Glaubenssätze abstreifen, oder ins Gegenteil verkehren. Weil wir vergessen haben, woraus sie entstanden sind. Oder weil wir spüren, dass eher das Gegenteil zutrifft.
Die Unterscheidung zwischen Mensch und Natur
Wir sind Teil der Natur. Unsere Technologie (eigentlich Werkzeuge) ist nur Mutation und Evolution mit anderen Mitteln. Wir sind unter der Oberfläche immer noch wild und Tiere spüren Schmerzen wie Menschen. Nach den Menschenrechten müssen wir über Tierethik sprechen. Wer die Schöpfung achtet, kauft kein Fleisch aus Tier-KZs. Das ist nicht zu verwechseln mit dem nächsten Punkt.
Der Glaube an die Zerbrechlichkeit der Natur
Die vorhergesagten Weltuntergänge sind nicht eingetroffen. Himmel, Wälder und Flüsse sind wieder sauber. Der messi- und flegelhafte Umgang mit der Umwelt hat diese nicht umgebracht. Wir haben das Recht, die Welt zu gestalten, wir müssen nicht bei jedem Handgriff befürchten, dass wir ihr den Garaus machen. Wer so redet, projiziert sein Selbstmitleid in die Gesellschaft.
Europa
Mir ist nicht nur schleierhaft, inwiefern der EURO eine Frage von Krieg und Frieden sein soll. (Und mal angenommen es stimmte: Warum weilen Merkel und Westerwelle dann auf anderen Kontinenten, wenn das Gespräch auf Italien kommt?). Mir ist auch schleierhaft, warum Europa einer formalen Einheit entgegen taumeln muss? Die aufgeklärten und vernetzten Bürger denken längst anders über sich und ihre Nachbarn. Sie wissen, dass wir alle ähnlich ticken. Dass wir über jeden Unterschied inzwischen froh sind. Es bedarf keiner formellen Gleichmachereien, um uns davon abzuhalten, einander die Köpfe einzuschlagen. Wir besuchen einander mit Billigfliegern, twittern über die gleichen weltbewegenden Themen und stehen nebeneinander auf der Südtribüne. Das gilt sogar südlich des Mittelmeeres. Mehr denn je gilt: Die Grenzen verlaufen nicht zwischen Staaten und Völkern, sondern zwischen den Gesellschaftsschichten. Wir sind nach oben undurchlässiger geworden, aber durchlässiger zu unseren Staatsgrenzen.
Innovationen
Warum sollen wir andauernd abgehetzt Dinge, Prozesse und uns selbst verändern und neu erfinden? Innovationen sind kein Selbstzweck. Und sie werden nicht hektisch erfunden. Kunst und Erfinden sind langsame, konzentrierte Prozesse. Im Atelier eines Malers, im Studio eines Photographen, am Schreibtisch eines Schriftstellers oder Publizisten und auch im Büro eines Ingenieurs herrscht konzentrierte Ruhe und gefälligst keine Bahnhofshektik: Beobachtung, Erkenntnis, Assoziation, Analogie, Plan, Handwerk, Konstruktion, Qualität. Wer am Gras ziehen muss, damit es schneller wächst: zurück in die Sozialisierung. Pubertäre Ungeduld hat ausgedient. Hektik ist ein Zeichen von Unreife. Bullen auf die Koppel, Gorillas auf den Baum!
Kontakte und Netzwerke
Weniger ist mehr. Alle ungesunden Beziehungen kappen. Die gesunden Beziehungen profitieren davon. Wer Freundlichkeit als Schwäche auslegt: Kappen. Wer nur seiner Einsamkeit entgehen will, und dann mit Vorliebe über sich -in der dritten Person- redet: Kappen. Wer unter Networking nur einen Vertriebskanal ohne die lästigen Qualifizierungsrunden sieht: Kappen. Wen nur das Prestigepotenzial an der Beziehung interessiert: Kappen.
Weltweite Wettbewerbsfähigkeit
Wer immer noch fürchtet, dass der Wettbewerb nur einen Mausklick entfernt ist, verbringt mehr Zeit mit dem Vergleichen von Büchern als mit deren Lektüre. Die weltweite Wettbewerbsfähigkeit ist ein uns aufgezwungenes Phantom. Raki schmeckt mir nur in der Türkei, Estrelle nur in Spanien und Budweiser nur in Florida. Das gleiche ist es mit dem Essen, Mode, Musik, Autos und so weiter. Wer permanent mit diesem Argument Politik macht, will uns atem- und bewusstlos machen. Uns gegeneinander aufhetzen. Z.B. in der EU. Es kann nicht sein, dass mehr als die Hälfte aller EU Volkswirtschaften nicht wettbewerbsfähig. ist. Die Welt kann nicht überwiegend aus nicht wettbewerbsfähigen Ländern bestehen. So denken höchstens Leute, die ihre Lebensmittel, Bücher und Musik ausschließlich nach dem Preis einkaufen. Solche Leute halten Erdbeeren mit Geschmack für eine Produkdifferenzierung nach McKinsey.
Datenschutz
Ich bin für Waffengleichheit. Ich habe während unserer Zeit im Regierungsviertel so viele Informationen auf Vorrat gesammelt, dass wir bei Bedarf eine zeitlang dagegen halten könnten. Aber man muss keine Paranoia entwickeln. Es gibt ein einfaches Mittel gegen die Offenbarung des eigenen Profils bei Google: Einfach zu viel publizieren. Dann kommt die Schwelle, an der der Herr Detektiv sich aus Zeitgründen entscheiden muss, was er aus der Fülle lesen will. Er muss wissen, wonach genau er eigentlich sucht. Erkenntnis eines Überlebenden des Kriegsrechts in Polen: Wenn Du Dich dem System nicht entziehen kannst, dann füttere es bis es kotzt. Es hilft auch, einen berühmten Namensvetter zu haben.