Weihnachten ist vorbei, unsere Wavebuzz Liste der Top 15 Alben des Jahres 2013 aber nicht. Heute sind wir bei #8 und einer schottischen Band, die sich nach dem englischen falschgeschriebenen Plural von Kirche benannt hat. Japjap, CHVRCHES. Wir stellen das Album “The Bones of What You Believe” vor und haben uns noch einen kleinen Exkurs erlaubt in die Welt der Social Media.
CHVRCHES - The Bones Of What You Believe (Virgin, 2013)
I. EIN GOTTESDIENST IN EINER KIRCHE, DIE WIR MÖGEN. “THE BONES OF WHAT YOU BELIEVE”
Vergangenen September ist „The Bones Of What You Believe“, das Debutalbum von den schottischen Chvrches, erschienen. Singleauskoppelungen waren „The Mother We Share“, „Recover“, “Lies” und „Gun“. Der Albumtitel leitet sich angeblich vom Song „Strong Hand“ ab, in welchem es heisst „Give me the bones of what you believe“. In „Strong Hand“ singt die Sängerin Lauren Mayberry mit kindhafter Stimme von metaphorischen A4-Seiten und unausgesprochenen Worten. Kaum ein Album wurde 2013 so oft bewertet, kritisiert, gehyped, zerrissen (wobei eher selten), gehört, geliked, geshared. Metacritic (eine Seite, welche den Durschschnitt von 100 “Mainstream” Kritiken nimmt) berechnet für „The Bones Of What You Believe“ 81 Punkte von möglichen 100.
Lauren Mayberry von Chvrches im Musikvideo zu “Gun”
II. GUTER ELECTRO-POP IST SCHWIERIG LEICHT
Hört man sich die Chvrches an, merkt man sobald, dass musikalisch keine Bäume der Komplexität ausgerissen werden. Doch sind die Melodien und Instrumentierungsabfolgen auf “The Bones Of What You Believe” niemals im Banalen verendend. Zu scharfsinnig und konzentriert sind die Texte, die die tonale Luftigkeit kompensieren.
CHVRCHES – Lies (Musikvideo)
Das einschlagende ”Lies” ist eines der edelmütigsten Stücke auf dem ganzen Album. Das Lied spricht für sich von sich, wenn es sagt: “I can sell you lies, you can’t get enough, make a true believer of anyone anyone anyone”.
CHVRCHES – The Mother We Share
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III. SOCIAL MEDIA UND “ONLINE MISOGYNY” – WAS KOMMENTARE IN SOZIALEN NETZWERKEN BEWIRKEN KÖNNEN
Live Shows werden aufgrund hoher Anfragen von kleineren Locations in grössere verlegt, die Facebook-Posts von Chvrches haben tausende Likes und um die Sängerin Lauren Mayberry herrscht ein kleiner Fanatismus. Am 26.09.2013 posteten CHVRCHES dieses Screenshot-Foto (links) von einem privaten E-Mail:
“Dear guys,
Please stop sending us emails like this.
This is one of the more polite ones. Other recent classics include “I’m going to give her anal” and “I’d fuck the accent right out of her and she’d love it”. (No you wouldn’t; no, she really wouldn’t.)
Seriously. Stop.
K, tks, bye.” (CHVRCHES auf ihrer Facebook-Page, 26.09.2013)
In der englischen Zeitung The Guardian nahm Chvrches-Sängerin Lauren Mayberry dann Ende September Stellung (auch auf die Reaktionen auf den Facebookpost) und machte darauf aufmerksam, dass alles oder vieles, was die Fans ihnen schreiben, die Band erreiche und dass gewisse Leute aufpassen sollten, was genau sie schreiben.
Vielfach habe die Band mit sexuellen Angeboten oder gar Drohungen zu kämpfen, die Teil der Abwärtsspirale der sozialen Medien sind. Lauren spricht sich innerhalb des Artikels sehr direkt gegen “the objectification of women” aus und konfrontiert die Leser, ja, mit sich selbst, indem sie – wie sie sie nennt – ihre derzeitigen “Lieblingskommentare” auswählt, die unverblümt an sie und die Band gerichtet wurden.
Hier sind einige Kommentare:
- “This isn’t rape culture. You’ll know rape culture when I’m raping you, bitch”
- “I have your address and I will come round to your house and give u anal and you will love it you twat lol”
- “Act like a slut, getting treated like a sluy [sic]“
- “It’s just one of those things you’ll need to learn to deal with. If you’re easily offended, then maybe the music industry isn’t for you”
Mayberry entgegnet solchen Stimmen folgende Worte:
“But why should women “deal” with this? I am incredibly lucky to be doing the job I am doing at the moment – and painfully aware of the fact that I would not be able to make music for a living without people on the internet caring about our band. But does that mean that I need to accept that it’s OK for people to make comments like this, because that’s how women in my position are spoken to?”
Heutzutage hat sich die Musikindustrie, wie auch andere Industrien gewandelt und es ist niemals leichter gewesen, die früher unantastbaren Künstler “eigenhändig” durch Kommentare oder Twitter-Sofort-Nachrichten zu berühren. Chvrches sind eine Band des Internets (bekannt geworden durch Blogs und Shares) und daher darum bemüht um einen direkten Austausch mit ihren Fans. Die positiven Aspekte dieses Austausches liegen auf der (starken?) Hand: Durch Backstagebilder, Remixes, Soundcloud-Links, Tour-Infos kann eine Band ihren treuen Fans zusätzliches Material von ihnen zukommen lassen, was gleichzeitig auch eine ideale Marketing- und Imagestrategie ist. Aber auch genau hier beginnt sie, die Zweischneidigkeit der Social Media – und auch die Frage, inwiefern sich eine Band tatsächlich damit auseinander setzen soll. Soll eine Band (heute wie auch gestern) einfach nur Musik machen? Soll sie sich mit ihren Fans austauschen? Der wirtschaftlich-kommerzielle Druck unter anderem scheint viele Bands dazuzubringen, sich ‘dennoch’ zu Social Media durchzuringen, obwohl viele negative Seiten damit einhergehen – Dass Lauren Mayberry die Tatsache offensiver und anstössiger Kommentare im Internet (hier konkret in der Musikindustrie) öffentlich thematisiert und somit die Aufmerksamkeit auf ein reales Problem lenkt, finde ich das Gegenteil von unrichtig. Ja, deshalb schreibe ich hier etwas (un)gewohnt umständlich-ausschweifend darüber. Denn wie auch Mayberry innerhalb des Artikels sagt:
“But then, after all the sniffling had ceased, I asked myself: why should I cry about this? Why should I feel violated, uncomfortable and demeaned? Why should we all keep quiet?”
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Nur weil man selbst die Auswirkungen einer Tat nicht sieht, heisst das nicht, dass die Auswirkungen nicht real sind.
KEEP BUZZIN’ & feeling capable of seeing the end.
Last but not Least:
“The Bones of What You Believe” via Spötifäy:
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