Neue Serie: Teil 2
Integration mal anders:
Grenzen existieren nur in den Köpfen derer, die nie in die Welt ziehen
Der sympathische Türkei-Experte mit den galoppierenden türkischen Genen Dr. Ahmet Refii Dener (56) verriet uns gestern im Interview «Die Türkei spricht Almanca», warum er immer der Deutsche beziehungsweise der Türke sein wird. Heute und in den nächsten vier Folgen geht es über das Phänomen Deutschsprechender und ihrer Liebe zur Türkei, die zwischen zwei Welten erfolgreich jonglieren wie der Berliner Filmemacher Neco Çelik (Kurzfilm: Schweinemilch). Er ist Sohn türkischer Immigranten, die als Gastarbeiter nach Deutschland kamen. Die deutsche Honorar-Konsulin und Rechtsanwältin Dr. Gülay Kaman Kaplan ist für die Provinz Muğla zuständig. Ein Foto des deutschen Bundespräsidenten Joachim Gauck verrät, dass sich der Klient in ihrer Kanzlei auf einem Stück deutschen Boden mitten in Bodrum aufhält. Sie wuchs in Stadthagen Hannover auf und studierte Rechtswissenschaften in Bielefeld, ehe die Rechtsanwältin 2001 mit ihrer Familie nach Bodrum auswanderte. Cevat Oflu (77) ist gebürtiger Istanbuler. Ich traf den Vater des berühmten Schauspielers Aydoğan Oflu (†38) alias ,Kurti’ zufällig am Golden Horn in seinem Elternhaus. Und auch die Sugarlation-Päpstin Idil Bozdag (41) aus Flensburg, Jana Bür (38) aus Zürich, Nurel (56) und Frank Zimmerli (58) aus Istanbul und Zürich und Sabine Schmidt (48) aus Gera – sie alle haben etwas gemeinsam: Sie fühlen sich in Europa genauso zu Hause wie in der Türkei. Die Sehnsucht für beide Länder schlägt in jedem Augenblick in ihren Herzen und ja, egal wo sie sich aufhalten: Sie werden immer der Ausländer sein, egal ob in Deutschland, Österreich, Schweiz oder der Türkei. Allerdings: das WorldWildWeb, bringt die Distanzen zwischen der Türkei und Europa erfolgreich zum Schmelzen!
Deutsche, Schweizer und Österreicher wandern aus – in die Türkei! Fast vier Millionen Deutsche, 716’000 Schweizer und 550’000 Österreicher leben dauerhaft im Ausland. Davon leben mehr als 100’000 Deutsche im Land der drei Meere. 1.577 Schweizer wanderten 2012 und 784 Österreicher gingen 2013 dauerhaft in die Türkei! Nie war das Land zwischen Orient und Okzident, Moderne und Tradition für Europäer attraktiver als heute – ganz unabhängig dessen was sich politisch in diesem Land ereignet. Wer von uns Deutschsprechenden hätte das für möglich gehalten, als die ersten türkischen Gastarbeiter von 1961 bis 1973 nahezu ohne deutsche Sprachkenntnisse zu uns kamen? Niemand! Längst entdecken Deutsch-Türken die Heimat ihrer Grosseltern. 245.483 Deutsch-Türken sind bereits in die Türkei zurückgekehrt beziehungsweise ausgewandert.
Studenten, Professoren und Doktoren. Rentner, Anwälte, Honorar-Konsule, Geschäftsleute und deutsche Firmen sind im Jahre 2015 in der Türkei ernstzunehmender Alltag. Facebook ist voll mit Gruppen, die gemeinsam türkisch pauken. Sie informieren sich über die neuen Aufenthalt-Bestimmungen, das Ikamet und Krankenversicherungen und tauschen Kochrezepte aus. Nebenbei verraten sie sich ihre schönsten Reise-Tipps, die neusten Mode-Trends, Musik-Hits und plaudern über die besseren Friseure. Und ständig geht es um die Liebe: Welcher Partner ist der bessere? Der Türke? Der Deutsche? Der Österreicher? Oder der Schweizer? Ja, es geht multikulti zu und im WorldWildWeb wird Integration auf beiden Seiten lebhaft und auf sehr sympathische Weise praktiziert.
Deutsch-Türkische Bäcker wie Annas Bakery in Istanbul-Göktürk oder die Backstube in einer kleinen Seitenstrasse Richtung Lana, ein Stadtteil von Antalya, verkaufen deutsches Brot, Schwarzwälder-Kirschtorte, Berliner und Bienenstich. Das Brauhaus Zur Roten Rose in Side direkt beim Ortseingang Kumköy bietet gute Deutsche Küche an. Currywurst, Schweinekotelett, Buletten und deutscher Kartoffelsalat stehen auf der Speisekarte. Heißhunger auf Salami oder deutsche Leberwurst? Kein Problem. In Alayna gibt es die Metzgerei Pork & Deli. Vor allem Deutsche, Russen und Engländer kaufen hier heiss geliebte Schweinefleisch-Produkte. Der Türke rümpft darüber die Nase, schüttelt den Kopf und denkt sich seinen Teil. Tchibo, Deichmann, Bauhaus, Media Markt und H&M in Istanbul, Ankara, Antalya, Alanya und Bodrum spiegeln wieder, dass die Globalisierung nunmehr auch in der Türkei angekommen ist.
Das alljährliche Oktoberfest in Istanbul mit Brezeln und Weißwurst und einer Mass Bier zieht Einwanderer, Touristen und Türken gleichermassen Jahr um Jahr an. Es geht mulitkulti zu. Die Bedienung trägt Dirndl. Versteht sich. Ja. Die Deutschen machen sich die Türkei zur zweiten Heimat! Aber auch der Österreicher und der Schweizer. Dank Satellitenschüssel auf dem Dach können sämtliche deutschsprachigen Fernsehprogramme erreicht werden. Europäische Dauer-Aufenthalter in der Türkei fühlen sich mit der Heimat in jeder Minute verbunden. Kostenlose What’s App-, Tango-, Viber-, Facetime- und Skype-Telefonie sie Dank.
Deutsch-Türkische Unternehmen boomen in der Türkei und in Deutschland
Derzeit existieren mehr als 6.000 deutsche Unternehmen bzw. türkische Unternehmen mit deutscher Kapitalbeteiligung in der Türkei. Deutsche Firmen, wie Mercedes, Bosch, Deutsche Messe, ARD Studio Istanbul, Deutsches Archäologisches Institut Istanbul, Jungheinrich, Rodle & Partner, Osram, Siemens, Lufthansa, und viele mehr sind in der Türkei zu finden. Eine wichtige Adresse für alle Deutschen und Deutsch-Türken, die in der Türkei ein Unternehmen aufbauen wollen, ist zweifelsohne die AHK, die Deutsch Türkische Industrie und Handelskammer mit Sitz auf dem Gelände der historischen Sommerresidenz der Deutschen Botschaft in Tarabya. Aydın Özyılmaz, Leiter Mitgliederbetreuung der AHK sagt: „Wir sind bereits seit 1994 in Instanbul. Inzwischen zählen wir rund 850 Mitglieder und es werden weiterhin stetig mehr.”
Sommerresidenz der Deutschen Botschaft in Istanbul Tarabya.
Hier trifft sich die feine Gesellschaft erfolgreicher deutsch-türkischer Unternehmen. Wer sich hier aufhält, vergisst für einen Moment, dass er in Istanbul ist, denn es wird deutsch gesprochen. Einmal in der Wochen lassen sich die AHK-Angestellten mit deutschen Backwaren beliefern – direkt aus Eyüp Istanbul. Muzaffer Aran (45) bringt jeden Donnerstag ein Stück deutsche Heimat in den Büro-Alltag – hausgemachte Berliner mit Aprikose- und Erdbeermarmelade und Vanille- und Schokofüllung. “Meine Kunden sind vor allem Deutsche”, schwärmt der «Deutschländer»-Unternehmer. „So nennen mich die Türken. Almanca. Dank der vielen deutschen Unternehmen wie zum Beispiel die AHK oder das deutsche Callcenter Bon Prix, die den Kundenservice für Quelle in Deutschland erledigen, wächst meine Kundschaft täglich in Istanbul. Es darf gern noch mehr werden”, sagt Muzaffer.
Das Bon Prix-Callcenter in Istanbul: 150 Quadratmeter Grossraum mit neun Reihen à sieben Schreibtischen, je durch eine Trennwand abgeschirmt. 63 Menschen arbeiten hier in der 7. Etage. Perfektes Deutsch ist Grundvoraussetzung für eine Festeinstellung. „Guten Tag, Frau Meyer. Meine Name ist Knut. Wie kann ich Ihnen heute helfen?”
Im wirklichen Leben heisst Knut Mehmet.
„Guten Tag Herr Sauer, schön, dass ich Sie erreiche. Mein Name ist Claudia.”
„Guten Tag, Frau Sonne, mein Name ist Jessica. O. Das tut mir leid, dass der Pullover zu klein ist. Schicken Sie uns den Pullover zurück. Möchten Sie den Pullover vielleicht grösser bestellen?”
Bon Prix’s-Angestellte sind zwischen 28 und 60 Jahre alt und sie alle haben eins gemeinsam: Sie sind in Deutschland geboren, sind dort zur Schule gegangen, haben dort die Universität besucht oder eine Ausbildung gemacht. Jetzt sind sie in der Heimat ihrer Grossväter und Grossmütter. Sie arbeiten 50 bis 60 Stunden die Woche, verdienen monatlich rund 2000 TL (ca. 650 €), sind krankenversichert und bekommen eine Verkehrsmittel-Zulage von 128 TL monatlich.
Gülay (32) sagt: „Hier in der Türkei bin ich die Deutsche. Ein neues Gefühl, denn in Deutschland war ich trotz deutschen Pass immer die Türkin. Dennoch: Jetzt bin ich zu Hause. Hier lebt meine grosse Familie. Klar ist das Leben hier härter, aber es ist ehrlicher. Ich bin endlich glücklich. Nur das zählt. Allerdings gestehe ich: Wenn uns Muzaffer seine leckeren Berliner vorbei bringt, ist das deutscher Gaumen-Genuss pur und für einen kurzen Moment vergesse ich, dass ich in der Türkei bin.”
Mulitkulti belebt die Welt
Das türkisch-schweizer Ehepaar Nurel und Frank Zimmerli pendelt zwischen Bodrum an der türkischen Ägäis und Zürich hin- und her. Sie stammt aus Istanbul, er aus der Schweiz. Im Winter lebt das Ehepaar in Männedorf ZH. Sobald der Frühling naht, entschwinden die beiden nach Bodrum — in ihr selbst gebautes Haus inmitten einer Mandarinenplantage. „Wir haben uns im Türkischunterricht kennengelernt”, erzählt Frank. Die erfahrene Sprachlehrerin Nurel mit Uni- und Masterdiplom unterrichtete in der West-, Mittel- und Osttürkei und in der Schweiz, ehe sie sich mit ihrer Ararat Nur Sprachschule in Zürich selbständig machte. Geschäftsleute, Ärzte, Banker und Journalisten gehören zu ihren Schülern. „Die meisten wollen vor allem aufgrund ihrer beruflichen Situation in der Türkei türkisch lernen. Aber es gibt auch junge Frauen, die sich in ihren Ferien in einen Türken verliebt haben und gerade deshalb sehr motiviert sind die Sprache zu lernen”, verrät Nurel Zimmerli.
Deutsche wanderten schon immer in die Ferne aus
Deutsche Familien schicken ihre Kinder auf eine der fünf deutschen Schulen wie die Privatschule der Deutschen Botschaft Ankara mit ihren Zweigstellen in Istanbul und Izmir, das seit 1868 bestehende traditionsreiche private Alman Lisesi in Istanbul und das staatliche Istanbul Lisesi, an dem Deutsch unterrichtet und das Abitur abgelegt wird. Erst vor wenigen Tagen erhielten 117 Abiturienten ihre Abiturzeugnisse im Rosengarten des Generalkonsulats in Istanbul vom stellvertretenden Generalkonsul Dr. Philipp Deichmann überreicht. Ebenso wie der türkische Schulleiter Hikmet Konar und der Leiter der deutschen Abteilung Dr. Volker Schult freute er sich, dass auch dieses Jahr wieder so viele Absolventen die Schule mit einer Auszeichnung verlassen konnten.
Rückblick: Frühe deutsche Einwanderer in Istanbul kamen im 19. Jahrhundert als Handwerker und Geschäftsleute, später auch als Mitglieder von deutschen Militärmissionen, wie beispielsweise Colmar von der Goltz und Liman von Sanders, die zum Aufbau der osmanischen Armee beitrugen. 1852 wurde das Deutsche Krankenhaus in Istanbul gegründet, 1868 die Deutsche Oberrealschule, später dann das Gymnasium Istanbul Erkek Lisesi. So entstand der Begriff Bosporus-Deutsche. Heute ist das Istanbul Lisesi eine der renommiertesten staatlich türkischen Gymnasien mit mathematisch-naturwissenschaftlichem Schwerpunkt in der faszinierenden Metropole Istanbul.
Ein Tipp für Lehrer, die gern in Istanbul leben und arbeiten möchten: Die Schule sucht immer wieder deutsche Lehrer, die in Mathematik, Chemie, Physik, Biologie, Deutsch und Englisch nach deutschen Lehrplänen unterrichten.
Das Istanbul Gymnasium Lisesi ist gleichzeitig eine Deutsche Auslandsschule (Begegnungsschule) und gehört somit zum weltumspannenden Netz des deutschen Auslandsschulwesens mit zurzeit 140 geförderten Schulen.
Unsere Welt war schon immer mulitkulti!
Anfang der dreißiger Jahre wanderten rund 650 deutsch-jüdische Akademiker in die Türkei aus, weil sie in Deutschland mit einem Berufsverbot belegt waren. In Istanbul wurden zu der Zeit massenhaft türkische Wissenschaftler aufgrund politischer Sicherungsmaßnahmen entlassen. Die Türkei suchte händeringend nach Ersatz aus dem Ausland. Da kamen die Deutschen gerade Recht. Mehr dazu in Corry Guttstadts Buch Die Türkei, die Juden und der Holocaust, das es auch in türkischer Sprache zu lesen gibt. Zahlreiche Wissenschaftler und Künstler wie der Bildhauer Rudolf Belling, der Architekt Bruno Taut und der Komponist Paul Hindemith oder der Politiker Ernst Reuter fanden in der Türkei ein neues Zuhause. Heute leben ca. 35’000 Deutsche in der Bosporus Metropole!
Schaut man sich in der Geschichte und auf dem Globus um, ist der Multikulturalismus die Regel, nicht etwa die Ausnahme. Das Habsburgerreich war ebenso multikulturell wie das Reich der Osmanen; der Versuch der ultranationalistischen neuen Staaten auf dem Balkan, ihr Gebiet auf Kosten dieser Reiche zu vergrößern, führte schließlich in den Ersten Weltkrieg, woran der australisch-englische Historiker Christopher Clark vor einiger Zeit erinnerte.
Die großen Kolonialreiche förderten den Multikulturalismus: Indien und Pakistan trennten sich erst nach dem Ende des Kolonialismus; Südafrika erfand erst nach der Loslösung von Großbritannien das Apartheid-System. Algerien war bis 1962 ein französisches Département und als solches Teil der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft; die französischen Überseegebiete Guayana, Guadeloupe, Martinique, Mayotte und Réunion gehören heute genauso zur Europäischen Union wie die britischen Falklandinseln.
Im Nahen und Mittleren Osten lebten seit je Christen, Juden und Muslime, Sunniten und Schiiten, Kurden und Araber zusammen – oder besser: nebeneinander her. In Ägypten sind zehn Prozent der Bevölkerung koptische Christen. Indien, die größte Demokratie der Welt, ist ein multireligiöser, multikultureller Staat; Amerika, die älteste Demokratie der Welt, ebenfalls.
Willkommen in der Realität deutschsprechender Auswanderer
Doch bleiben wir bei dem Einzelnen: Den interessiert die ganze Politik nur bedingt. Es ist seit Menschengedenken so, das es Familien dort hinzieht, wo sie bessere Arbeit, höheren Verdienst und eine glücklichere Lebensperspektive finden. Im Jahre 2015 rückt dank Internet und Co. die globalisierte Welt noch näher zusammen. Selbst jene Auswanderer, die nur über ein kleines Budget verfügen, können sich in der Türkei eine kleine Eigentumswohnung oder ein Häuschen leisten. Die Zwei-Zimmerwohnungen in Antalya oder Alanya gibt es bereits ab 120’000 TL (ca. 41’654 €). In Bodrum Ortakent bezahlt man für ein Duplex-Haus, vier bis fünf Zimmer, gut eine Million TL (ca. 347.000 €). Die Kurzstrecke mit dem Bus, das Brot, die 0,5 Liter Flasche Wasser, das Simit (Sesamkringel), die dreiminütige Massage im Ledersessel in Einkaufspassagen, oder ein Tee kosten nahezu überall in der Türkei weiterhin eine türkische Lira.
Die Frührentnerin Sabine Schmidt (53) aus Gera, die früher als Journalistin und PR-Beraterin arbeitete, ist Single. Aufgrund ihrer Erkrankung entschied sie sich nach Alanya auszuwandern, da sie hier nahezu über längere Phasen hinweg schmerzfrei ist. „Das schöne Wetter tut meinem Körper gut. Ich habe mir gerade eine kleine Wohnung in Alanya gekauft. Ich stecke mitten im Umzugsstress, denn im Juli ist es so weit, dann ziehe ich ganz in die Türkei.”
In ihrer Freizeit büffelt sie türkische Vokabeln und Grammatik: „Ganz ehrlich: Nicht nur aus Höflichkeit dem Türken gegenüber möchte ich die Sprache noch besser lernen, sondern weil die wenigsten Türken Englisch sprechen. Wie oft habe ich mich am Atatürk-Flughafen in Istanbul oder auf Behörden in Alanya darüber ärgern müssen. Deshalb: Ich muss Türkisch lernen, egal wie schwierig diese Sprache auch ist.” Ein wenig mulmig wird es Sabine schon so unmittelbar vor dem grossen Schritt Auswandern: „Diesen Sommer besucht mich meine Tochter das erste Mal in meiner Wohnung in Alanya. Vor zwei Wochen gab es eine grosses Abschiedsfest für meine Freunde in Gera. Das fühlt sich alles fremd an. Aber die Entscheidung steht: Ich freue mich auf meine neue Heimat.” Dennoch: das Hintertürchen Deutschland bleibt geöffnet: „Ich werde weiterhin in Deutschland krankenversichert sein. Man weiss ja nie.” Sabine informiert sich vor allem in den verschiedenen Facebook-Gruppen über ihr bisher grösstes Lebensprojekt Auswandern: “Nirgendwo sonst bekommst du so gute und qualifizierte Informationen wie hier. Die Gruppen sind hervorragend organisiert und davon profitiert der Einzelne. Wer sich auf das Fachwissen deutscher Behörden rund um das Thema Krankenversicherung im Ausland verlässt, der ist hoffnungslos verloren. Die sind ja noch nicht einmal in der Lage eine türkische Adresse richtig zu übertragen.”
Mulitkulti ist auch Jana Bür (38). Sie ist halb Sizilianerin und halb Schweizerin. Sie wuchs in Bern auf und arbeitete später in Zürich als Chef-Sekretärin für das Migros Magazin. Jana verliebte sich in einen Türken, der als Kind mit der Familie nach Zürich gekommen war. „Als seine Eltern zehn Jahre später in die Türkei zurückgingen, entschied sich Engin in der Schweiz zu bleiben. Acht Jahre lang sahen sich Engin und seine Familie nicht mehr, bevor wir dann vor fünf Jahren seine Eltern das erste Mal gemeinsam in Istanbul besuchten. So entstand meine Liebe zur Türkei und ihren Menschen. Engin und ich hatten grosse Träume und Ziele. Wir wollten in die Türkei ziehen und uns im Süden ein Haus kaufen. Doch das Leben lässt sich nicht planen. Es folgt seinen eigenen Gesetzen.”
Janas Mann erkrankte unerwartet an Krebs. „Wir waren in Brasilien auf der Suche nach Hilfe und Heilung als mein Mann starb. Danach wusste ich lange nicht wie es weitergehen soll. So machte ich mich auf Reisen, um herauszufinden, wie ich mein Leben ohne Engin gestalten werde. Nun habe ich mich dazu entschlossen unseren gemeinsamen Traum allein zu verwirklichen und in der Türkei ein neues Leben zu beginnen. In Alanya habe ich meine neue Heimat gefunden und ich hoffe, hier auch neuen Lebensmut zu finden. Es ist nicht immer einfach als Europäer die türkische Mentalität zu verstehen, doch ich bin Gast und muss mich daher anpassen und vielleicht ein wenig mehr anstrengen als in meiner eigenen Heimat. Ich denke, das ist normal. Doch ich bin froh, dass ich ein wenig Türkisch spreche und bereits türkische Freunde vor Ort habe, die mir vor allem bei Behörden-Gängen sehr helfen.”
Morgen: Fortsetzung der 3. Serie: Die Türkei spricht Almanca
Das Geschäft für Dolmetscher und Übersetzer in der Türkei boomt. Doch wie sieht es tatsächlich mit der Integration in der Türkei aus? Leben Deutsch-Türken unter sich? Lernen Deutsche, Schweizer und Österreicher die türkische Sprache und finden sie Anschluss in der türkischen Gesellschaft? Die deutsche Honorar-Konsulin Dr. Gülay Kamaran Kaplan sagt: „Die hierher zugewanderten Deutschen und Deutschtürken haben ein anderes Knowhow im Gepäck. Dieses wirkt sich sowohl positiv als auch negativ aus. Der Begriff Integration ist meines Erachtens allerdings nicht unbedingt der richtige, da die hiesige Gesellschaft, insbesondere in Bodrum, nicht die Erwartungen an Hinzugewanderte stellt sich integrieren zu müssen. Jeder lebt nach seiner eigenen Fasson und eher nebeneinander her. Natürlich finden in binationalen Lebensgemeinschaften Schnittmengen statt, diese werden als Bereicherung angesehen. Die Deutsch-Türken haben es dahingehend möglicherweise schwerer, da die Grundhaltung der türkischen Gesellschaft die ist, dass man sich „türkisch” verhält, „türkisch” denkt. Da Deutsch-Türken andererseits aber genauso deutsch oder vielleicht sogar mehr deutsch als türkisch sind, fallen sie entsprechend eher auf… ” Der deutsche Dokumentarfilm “Hadi Tschüss“ von den Filmemachern Anne Denkinger und Matthias Ditscherlein präsentiert fünf Menschen in denen oft zwei Herzen schlagen. Mehr morgen…