Die Trinkerhallenschriftstellervereinigung

Der Schriftsteller ist auf der Suche. Er fahndet. Ein Text muss bei. Aus Buchstaben sollte er sein. Auch eine Aussage sollte ihm eigen sein. Vielleicht könnte der Text auch eine Geschichte erzählen. Aber das ist nicht unbedingt nötig. Die Geschichte kann fehlen. Dann wäre der Text wenigstens ein moderner Text.
Also stolpert der Schriftsteller in eine Trinkerhalle. Er sieht sich um. Sein Schriftstellerhaar führt augenblicklich zu einem aufgeregten Flüstern in der Trinkerhalle. Wie sieht der denn aus? Der hätte sich wenigstens die Haare waschen können, bevor er hier erscheint.
Der Schriftsteller indes ist überrascht über die anwesenden Trinker, die allesamt Anzüge tragen. Nachdem sich die Aufregung um den Schriftsteller gelegt hat, prostet man sich zu und debattiert wieder heftig über Joyce und seinen Einfluss auf das Werk eines gewissen Alois Nebelthaler. Der Schriftsteller hat noch nie zuvor von Nebelthaler gehört. Er setzt sich und befragt die Trinker, die die Augen verdrehen. Man lässt ihn links und auch mal rechts liegen und schwebt auf Wolken aus Schnaps, Bier und Worten davon.
Der Schriftsteller bedenkt die Situation. Er könnte über diese literarische Trinkerhalle schreiben. Dann verwirft er den Plan. Niemand würde ihm glauben. Das scheint ihm gewiss.
Während er noch über seine Absichten grübelt, wird die Ankunft des großen Literaturkritikers angekündigt. Daher bleibt der Schriftsteller. Gespannt starrt er auf den Eingang.
An seinem Tisch erregen sie sich gerade über die Internetpräsenz eines gewissen Rohm. Schon mal gehört? Kleistert Geschichten in sein Weblog namens „Aus der Pathologie“. Hin und wieder erscheine auch ein Buch von ihm. Die Feststellung erheitert die Gemeinde derart, dass man manche der Trinker vor die Halle führen muss. Von Todesfällen aber kann der Schriftsteller später nicht berichten.
Dann ist es soweit. Aus der Jukebox, denn über ein solch urzeitliches Instrumentarium verfügt die Trinkerhalle noch, dröhnt die Hymne der Schriftstellervereinigung. Roland Kaiser schmettert ein Lied zum Einzug des Kritikers.
Eine bärtige und verkommene Gestalt (wie auch anders hätte man sich einen Kritiker vorstellen können?) wankt in die Halle hinein. In seinen zittrigen Händen hält er kleine Zettel, auf die er seine neusten Kritiken gekritzelt hat. Der Kritiker versucht sich in des Raumes Mitte zu stellen, er findet auch eine Mitte, allerdings seine ganz eigene Mitte, die sich gleich neben den Toiletten befindet. Von dort bespricht er kürzlich erschienene Werke der Schriftstellerschar, die sich im Moment in der Trinkerhalle feuchtfröhlich betrinkt.
Die Jukebox wird mit einem Fußtritt zum Schweigen gebracht. Der Kritiker verkündet: Dis dos mit dem Dicht von dem dies dos iss scheiße!
Zustimmendes Gemurmel. Man hat es schon lange geahnt. Die Gedichte des vom Kritiker in die Hölle entsandten Dichters entbehren jeglicher Grundlage.
Der Kritiker würde gerne weiter besprechen, kommt aber nicht zu seiner nächsten Rezension, weil ihn der Durst an die Theke treibt. Dort verbleibt er.
Der Schriftsteller, der sich ja eigentlich auf der Suche nach einem Text befand, verabschiedet sich von der Menge, die ihn nicht weiter beachtet. Er torkelt in die Nachtkühle hinaus. Er vermisst die Nacht mit seinem Urinstrahl und befindet sie als zu kurz für sein Schlafbedürfnis. Er wankt zu seiner Wohnung und wird nicht über seinen Besuch in der Trinkerhalle schreiben, denn immerhin befindet sich der Schriftsteller auf der Suche nach einem Text, der sich anschließend auch verkaufen lässt. Drum wird er über einen leicht idiotischen Kommissar schreiben, der ein bisschen mit einer Alkoholsucht kämpft, der ein bisschen geschieden ist und der den Mordfall an dem Spieler eines siebtklassigen Fußballvereins aufklären wird. Die Mörder waren die anderen Spieler. Das hat er dann gestohlen. Aber was soll der Geiz! Er wird den Text „Mord im Orient-Duschraum“ nennen und ganz bestimmt eine Menge Preise dafür bekommen.
Zufrieden über den Erfolg seines Ausflugs wackelt der Schriftsteller in Richtung seiner Wohnung, von der er überhaupt nicht mehr weiß, wo sie sich befindet.
Er wird ausnüchtern müssen. Schon entdeckt er ein Nachtasyl. Er wird auch dort keine erzählenswerten Geschichten finden, vielleicht aber wenigstens einen Platz für den Rest der Nacht.



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