Die Trichterbecher-Leute standen genetisch der Michelsberg-Kultur nahe

Die ancient-DNA-Forschung bringt endlich die Lösung, woher die Trichterbecher-Leute genetisch stammten

Seit März 2017 ist es definitiv. Wir Europäer sind genetisch eine Mischung aus westeuropäischen Jäger-Sammler-Völkern, levantinischen Bauern und Jäger-Sammler-Völkern aus dem Kaukasus. Vielleicht/vermutlich gibt es noch eine genetische Komponente der osteuropäischen Jäger-Sammler-Völker, aber am wenigsten scheinen die skandinavischen Jäger-Sammler-Völker genetisch auf uns Einfluß genommen zu haben. So jedenfalls der derzeitige Stand der Forschung, nachdem schlußendlich auch mindestens die Genome von drei frühen Bauern der Trichterbecherkultur sequenziert worden sind, zuletzt von Johannes Krause in Jena (1).


Seit 2009 haben wir hier auf dem Blog immer wieder intensiv nachgedacht über die Entstehung des Volkes der Trichterbecherkultur im südlichen Ostseeraum (zu finden unter dem Label "-4.100 v. Ztr."). Es war schon klar, daß die dortige Vorgängerkultur, die Ertebolle-Kultur genetisch weitgehend ausgestorben ist. Aber woher kamen die neuen bäuerlichen Zuwanderer? Die Frage scheint deshalb so bedeutsam, weil wir Mittel- und Nordeuropäer zu nicht geringen Teilen Nachkommen dieser Trichterbecher-Kultur sind. Und seit März 2017 gibt es nun definitivere Ergebnisse der ancient-DNA-Forschung zu dieser Frage (1).

Und indem die zentralsten Fragen damit nun - sehr überraschend - geklärt sind, werfen sie zugleich wieder viele neue Fragen auf. Es bestätigt sich, was sich schon in früheren Arbeiten andeutete - und was wir anfangs absolut nicht hatten glauben wollen. Da die Hauptkomponenten-Analyse der aktuellen Arbeit zu den genetischen Verwandtschaftsverhältnissen zwischen den archäologischen Kulturen Europas und des Vorderen Orients seit der Eiszeit (1) gerade nicht als Bild hier eingefügt werden kann (sie kann aber ja in der Originalarbeit eingesehen werden), wird hier eine ganz ähnliche aus einer Arbeit des letzten Jahres gewählt (Grafik 1). Diese Grafik wird auch in dem Vortrag von David Reich im vorletzten Blogbeitrag gut erläutert.

Eine solche Erläuterung sei auch in dieser Stelle noch einmal gegeben: Grau unterlegt finden sich in dieser Grafik Verwandtschaftsverhältnisse zwischen den heutigen Populationen in Europa und dem Vorderen Orient. Dabei sehen wir zwei graue "Streifen" (in der Art von "Milchstraßen"). In dem rechten Streifen finden sich die heutigen Populationen des Vorderen Orients wieder, in dem linken die heutigen Populationen Europas. Dort wo sich die heutigen Populationen des Vorderen Orients finden, finden sich auch die archäologischen Populationen des Vorderen Orients. Sie sind in dieser Grafik nicht eingetragen. Aber daraus wird erkennbar, daß es im Vorderen Orient seit 12.000 Jahren genetische Kontinuität gibt. Das ist nun in Europa ganz anders.

Die farbigen Eintragungen dieser Grafik stellen nun die archäologischen Kulturen Europas dar und wie sie sich dem grau unterlegten Verwandtschaftsmuster der heutigen Populationen zuordnen.

Da sehen wir als erstes, daß die Jäger-Sammler-Völker Europas in Westeuropa ("Western European hunter-gatherers"), in Skandinavien ("Scandinavian hunter-gatherers") und in Osteuropa ("Eastern European hunter-gatherers") ebenso herausfallen aus der heutigen Verwandtschaftsverteilung wie die ersten Indogermanen an der Wolga ("Yamnaya"). Alle diese Populationen weisen also - im Gegensatz zu den vorneolithischen Populationen des Vorderen Orients keine sozusagen "unverfälschte" genetische Kontinuität bis heute auf, viel mehr müssen diese vorneolithischen europäischen Jäger-Sammler-Völker zumindest in der unverfälschten Version, in der sie zuvor existierten, als ausgestorben gelten. Was nicht heißen muß, daß nicht dennoch - über noch schwer nachvollziehbare Wege - genetische Eigenschaften und Merkmale dieser Populationen in Nachfolge-Populationen übernommen worden sein können. Allerdings unterlagen sie dabei mit Sicherheit starker Selektion was dann Populationsgenetiker auch als "genetic sweep" beobachten (daß also bestimmte genetische Merkmale plötzlich eine überraschend größere Häufigkeit in einer Population bekommen als zuvor.)

In Europa hat es in den letzten achttausend Jahren genetisch sehr viel mehr Veränderungen gegeben als im Vorderen Orient - Ist das der Grund für die Besonderheiten der europäischen Geschichte und Kultur?


Auf diese ausgestorbenen Jäger-Sammler-Völker in Europa folgen nun jedenfalls "Mischvölker", deren Vorfahren sowohl aus den europäischen Jäger-Sammler-Völkern Europas stammen als auch aus den aus Kleinasien zugewanderten Bauern des Vorderen Orients. Da es immer wieder zu neuen Mischungen kam bei der Ethnogenese jedes einzelnen Volkes, gab es hier auch viele Möglichkeiten für Selektion innerhalb von Völkern und zwischen Völkern ("Gruppenselektion"). Das eine Mischungsverhältnis starb aus, andere Mischungsverhältnisse bestehen im wesentlichen weiter bis heute. Und innerhalb jedes Volkes, das bis heute weiter bestanden hat, scheint es zusätzlich auch noch nach der eigentlichen Ethnogenese überraschend viel Selektion gegeben zu haben.

Mit einem solchen Ergebnis hat vor fünf Jahren, ja, noch vor zwei Jahren niemand gerechnet und niemand rechnen können. Das ist etwas ganz Neues. Und das Bild ist für viele archäologische Bauernkulturen Europas ein sehr einheitliches. Und nun ordnet sich - quasi als letztes fehlendes Puzzelteil - in dieses Bild auch noch die früheste skandinavische Bauernkultur ein, nämlich die eindrucksvolle, weltgeschichtlich bedeutende Trichterbecher-Kultur.

Schon in der Grafik von vor einem Jahr fand sich ein erstes sequenzierte Genom eines mittelneolithischen schwedischen Ackerbauern verzeichnet ("Sweden/Skoglund_MN"), also eines Angehörigen der Trichterbecher-Kultur. Es war eben dort verzeichnet, wo sich nun auch die beiden neuen Genome aus diesem Jahr in der Verwandtschaftsverteilung wieder finden ("EN TRB" und "MN TRB"). Nämlich ganz in der verwandtschaftlichen Nähe zu den ersten mitteleuropäischen Bauern, den Bandkeramikern (hier "Early Neolithic") und noch näher zu den mitteleuropäischen Bauern des Mittelneolithikums, also der auf die Bandkeramiker folgenden Michelsberger Kultur ("Middle Neolithic"). Als wir die ersten leisen Hinweise auf solche Verwandtschaftsverhältnisse hier auf dem Blog referierten, schienen sie uns ganz abwegige "Artefakte", fehlerhafte Meßergebnisse zu sein. Pustekuchen! Die große Zahl der Ergebnisse über ganz Europa hinweg läßt das Bild nun unglaublich klar und eindeutig werden.

Damit liegen die ersten norddeutschen Ackerbauern verwandtschaftlich ebenso auf der Mitte zwischen den Extremen Jäger-Sammler im Vorderer Orient einerseits und Jäger-Sammler im vorneolithischen Europa andererseits wie schon die anderen erforschten früh- und mittelneolithischen Kulturen Europas. Es war definitiv etwas Neues, was sich da auch mit den Trichterbecher-Leuten in Norddeutschland, Dänemark und Schweden ausgebreitet hat. Es waren nicht einfach genetisch "Einheimische", die eine neue Kultur und Lebensweise angenommen haben.

Damit wird nun das Bild - zumindest in groben Umrissen - überraschend klar.

Und künftig wird es darum gehen, den Einzelheiten dieses Bildes genauer nachzugehen. Wie kam es dazu, daß sich gerade im Gebiet der Trichterbecher-Kultur bis heute die großen, blonden, blauäugigen Rohmilchverdauer mit hoher angeborener Intelligenz, mit ADHS und großen thymotischen Energien ansammelten, obwohl doch ihre Vorfahren zu nicht geringen Teilen aus dem Vorderen Orient stammen? Warum dann nicht auch dort? Hier werden einerseits die vorneolithischen europäischen Vorfahren eine Rolle spielen aber es wird auch - so darf man annehmen - nach der Ethnogenese der Trichterbecherkultur noch viel Selektion stattgefunden haben. Auch wird erst die nachherige Eroberung durch die Indogermanen dieses sehr eindeutige körperliche und seelische Erscheinungsbild der Skandinavier und Nordeuropäer hervorgebracht haben.

Dennoch ist es unter all den genannten Umständen dann doch erstaunlich, daß wir heute - und schon seit vielen hundert Jahren - so gar kein rechtes Verwandtschaftsgefühl zu Bauern aus Anatolien oder zu Jägern und Sammlern aus dem Kaukasus (von denen die Indogermanen zum Teil abstammen) empfinden. Liegt das wirklich nur an der sehr anderen Religion des Islam? Oder haben sich Kleinasien und Nordeuropa auch genetisch über die Jahrtausende eher auseinander entwickelt als aufeinander hin? (Zum Beispiel eben über die genannten "genetic sweeps"?)

Jedenfalls nimmt damit eine Forschungs-Diskussion ein sicherlich außergewöhnliches unerwartetes Ende, die in den letzten hundert Jahren intensiv geführt worden ist. Und da macht es Sinn, den heutigen Erkenntnisstand noch einmal mit dem letzten Kenntnisstand der traditionellen Physischen Anthropologie zu diesen Fragen zu vergleichen. Also: Was ist in den zuletzt von meinem Professor Wolfram Bernhard ( RLP-Forschung) in Mainz bearbeiteten Bänden (2) im Gegensatz dazu an Vermutungen geäußert worden über die Ethnogenese der europäischen Völker, der Bandkeramiker, der Indogermanen, der Trichterbecherkultur, der bronzezeitlichen Völker? Auch alle Erörterungen über die genetischen Ursprünge der europäischen Völker anhand der Ergebnisse der Sequenzierung der Genome heutiger Menschen wie sie in den letzten zehn bis fünfzehn Jahren geführt wurden, kann man damit zu aller größten Teilen zu den Akten legen.

Am meisten Informationen über den heutigen neuen Kenntnisstand hatten wir, wie schon im letzten Beitrag erwähnt, Vorträgen von David Reich entnommen, die er im letzten Jahr gehalten hat und die auf Youtube eingestellt sind (siehe St.gen. 2017). Obwohl der letzte davon im Mai in Israel gehalten wurde, war in ihm noch nicht ausdrücklich auf die für uns Deutsche und Nordeuropäer so wichtige Trichterbecherkultur hingewiesen worden und den ganz neuen Kenntnisstand zu ihr.

Jetzt müssen natürlich vor allem einmal die Kaukasus-Kulturen interessieren, die Einfluß genommen haben auf die Ethnogenese der Indogermanen, und die - soweit übersehbar - bislang kaum jemand im Blick hatte, was die Ethnogenese der Indogermanen betrifft. Die Indogermanen hatten eine Hautfarbe wie die heutigen Spanier.

Das Spannende ist, daß durch die vielen genetischen Komponenten, aus denen sich die europäischen Völker heraus entwickelt haben und durch die mehrfachen Aussterbe-Ereignisse von Völkern in Europa und Neuentstehung von Völkern in Europa scheinbar viel mehr genetisch geschehen ist als in den letzten 12.000 Jahren im Vorderen Orient, wo es weitgehend genetische Kontinutität gegeben hat bis heute. Es wird dieser Umstand nicht zum wenigsten sein, aus dem heraus die Einmaligkeit der Kulturentwicklung der "westlichen Welt" erklärt werden kann, also das von ihm hervor gebrachte "Human Accomplishment" (nach Charles Murray).

Aber was jetzt in ersten Andeutungen sichtbar wird, aber auch schon ausgesprochen worden ist, ist der Umstand: Auch nach der jeweiligen Ethnogenese eines europäischen Volkes hat es bis heute immer noch sehr viel Selektion in diesem Volk gegeben ("genetic sweeps"). Über diese wird in näherer Zukunft noch ein genaueres Bild zu geben sein. Es ist ja die Frage zu stellen: Warum hat kein traditionell arbeitender Physischer Anthropologe etwas von der vorderasiatischen Herkunft der heutigen Europäer gesehen? Warum fühlen wir so überhaupt keine genetische Verwandtschaft mit den heutigen anatolischen Bauern oder Kaukasus-Bewohnern? Hier ist wohl noch vieles ungeklärt.

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  1. Alissa Mittnik, Chuan-Chao Wang, Saskia Pfrengle, Mantas Daubaras, Gunita Zariņa, Fredrik Hallgren, Raili Allmäe, Valery Khartanovich, Vyacheslav Moiseyev, Anja Furtwängler, Aida Andrades Valtueña, Michal Feldman, Christos Economou, Markku Oinonen, Andrejs Vasks, Mari Tõrv, Oleg Balanovsky, David Reich, Rimantas Jankauskas, Wolfgang Haak, Stephan Schiffels, Johannes Krause: The Genetic History of Northern Europe. BioRxiv, 3.3.2017, http://www.biorxiv.org/content/early/2017/03/03/113241
  2. Schwidetzky, Ilse (Hrsg.): Rassengeschichte der Menschheit. 14 Bände. Begr. v. Karl Saller. Oldenbourg Wissenschaftsverlag. 1968 bis 1993, https://www.degruyter.com/view/serial/234692
  3. Quiles, Carlos (2017). Indo-European demic diffusion model (2nd ed.). Badajoz, Spain: Universidad de Extremadura. https://indo-european.info/wiki/index.php/Chalcolithic
  4. Eppie R. Jones; Gunita Zarina; Vyacheslav Moiseyev; Emma Lightfoot; Philip R. Nigst; Andrea Manica; Ron Pinhasi; Daniel G. Bradley: The Neolithic Transition in the Baltic Was Not Driven by Admixture with Early European Farmers. In: Current Biology, 20. Februar 2017, http://www.sciencedirect.com/science/article/pii/S0960982216315421

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