Die Tretboote in unseren Köpfen.

Kreative Menschen brauchen länger, um Dinge zu verstehen. Daher benötigen sie oft mehr Zeit für ihr Studium. Ständig räkelt sich die nächste Assoziation im Kopf, und keine Arbeit wird fertig.
Ich hab das gelesen, neulich, und eigentlich bin ich mir nicht sicher, ob ich mich da einordnen darf, oder ob ich einfach zerstreut, abgelenkt oder verantwortungslos-verwöhnt bin, aber grad tröst ich mich mal damit, wenn ich mitten in einem Satz meiner B.A. steckend, grad diesen Post beginne.
Die Rösinger hat ein zweites Buch geschrieben, "Es heißt Liebe wird oft überbewertet", es nennt sich im Untertitel "Ein Sachbuch" und es ist ein bisschen Populärsoziologie gemischt mit charmanten Tagebucheinträgen, es ist teilweise völliger Blödsinn, unwissenschaftlich, und trotzdem nicht witzig genug für Satire, aber all das kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass es vor allem eins ist:liebevoll.
Und so scheint es mir, dass die Rösinger selbst a bissel zu kreativ ist, neben dem Lesen textete,feiern ging, aber ganz sicher auch liebte, denn sonst kann man nicht so über die Liebe schreiben.
Einem Mitglied der Zielgruppe halb-freiwilliger Singles wie mir, wird tatsächlich auch sehr warm ums Herz, nach dem Lesen, da werden ein paar schöne Gedanken bestätigt, zum Beispiel, dass der Freunschaft ein höherer Wert beigemessen werden sollte, alternativen Haushalts- und Lebensentwürfen wie der WG-Familie, gesellschaftlich, damit man es auch innen drucklos fühlen darf. Da amüsiert man sich und weint und ärgert sich bisschen, wenn sie es tatsächlich wagt, den Trauerschwan Petra und ihre Liebe zum Plastiktretboot mit dem "Faible für Idioten" zu vergleichen, bei denen frau eine Regung des Windes als Signal der Zuwendung annehmen kann.
Aber ich finds schade, dass ich frau schreiben muss, denn das Buch ist ganz schön hetero-normativ. Und hier überwiegt dann das Tage- über das Sachbuch, und ich frage mich, ob es nicht schöner gewesen wäre, wenn nicht mehr Leute das Gefühl nach dem Buch gehabt hätten, welches ich habe.
Ähnlich wie nach meinem ersten Abend in der von der Autorin monatlich veranstalteten Gala-Reihe "Flittchenbar", ein Gefühl einer Zugehörigkeit, die ich in Berlin so ehrlich und unschämenswert nirgends fand, sagt das Buch mit jeder Seite: Du bist eigentlich voll o.k. Es sagt Dinge, die Dir Deine Freunde seit Jahren versuchen zu sagen, mit dem Unterschied, dass Autorin und Buch nicht in einer RZB stecken, so dass sich Ich nicht ständig denkt: Ja, ja!
Es wäre ein feiner Selbsthilferatgeber, würde er im letzten Kapitel nicht etwas zu knapp auf das trotz aller Vernunft und Nicht-Normativität bleibende Bedürfnis nach einem "special someone" mit einem winzigen Exkurs über Polyamory mit der nicht ganz zu glaubenden Phrase enden, das gäbe sich alles, wenn man sich genügend Gefühle im restlichen Umkreis erlaube. Im Grunde hätte ich dagegen nichts einzuwenden, wenn da nicht dieser nervige Umstand wäre, dass Freundschaft nur in sozialer INTERaktion möglich ist. Und wen kann man schon zwingen, mehr Liebe in der Freundschaft zu sehen? Und wie sehr sie auch Recht hat, dass RZBs in der Regel langweilig sind, krank machen, unglücklich und im Gegensatz zu Freundschaften schneller enden, bedeutet das nicht, dass die Liebesbeziehung nur mit sich selbst nicht auch oft unbefriedigend, langweilig, und krank machend sein kann. Wie alles. Und wenn wenigstens die Sehnsucht bleibt, die vielleicht noch weder Gegenstand noch Namen trägt, hat diese eigentlich schrecklich-banale Beziehungskiste noch einen edleren Glanz. Find ich jetzt gerade. Morgen wahrscheinlich wieder nich mehr. Vielleicht ist das tatsächlich alles eine Sache der Normen und meinen vollen Respekt und Zustimmung, das Christiane Rösinger durch die Erziehung des Herzens diesen zu trotzen wagt. Und doch, ich halte mich fast lieber an die Worte meiner ersten Gender-Dozentin:
Ja, die Liebe ist ein soziales Konstrukt. Aber ich find sie trotzdem toll.

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