Das Arditti Quartet konzertierte im Rahmen von Wien Modern wieder im Konzerthaus. Und hatte Werke im Gepäck, deren Tinte auf dem Papier noch kaum getrocknet war.
Im ersten Teil kamen dabei insgesamt vier Kompositionen zur Aufführung. John Zorn eröffnete mit dem 2014 entstandenen Stück „The Remedy of Fortune“. Es bezieht sich auf einen Machaut-Text aus dem 14. Jahrhundert, in dem die höfische Liebe beschrieben wird. Musikalisch wechselt das Geschehen zwischen Atonalität und melodischen Zwischenstücken und weist an einer Stelle sogar ein kleines Renaissance-Zitat auf. Bis auf wenige Ausnahmen hält sich eine nervöse Grundstimmung. Die Vielfarbigkeit entsteht durch häufige Stimmenwechsel, aber auch den Einsatz von Pizzicato-Stellen und immer wieder kehrenden Akkord- sowie hohen, scharfen Soloklängen in den Geigen.
Liza Lim schuf mit „The Weaver´s Knot“ (2013) ein Werk, das mit einem torkelnden, fast trunkenen Bratscheneinstieg beginnt. Das Auf- und Abschnarren des Cellos ist ein charakteristisches Hörerlebnis, neben hohen, beinahe schon schmerzhaften, lang angehaltenen Klängen. Aber auch Duette oder kurze Obertoneinsätze in den einzelnen Instrumenten werden hörbar. Die schöne Assoziation, die sich auf eine traditionelle Technik in der Textilindustrie bezieht, in der Fäden effektiv zusammengebunden werden, wird in der Verschränkung der unterschiedlichen Linien des Werkes gut nachvollziehbar.
Ennea – das griechische Wort für neun, ist der Titel der Arbeit von Lina Tonia. Das musikalische Material basiert auf der Grundlage der logarithmischen Spirale. So mathematisch es auch angelegt ist, so bietet es abseits von der Theorie doch auch reichlich Klangerfahrung. Ein wilder Einstieg im hohen Register wird erst durch Klänge im Cello geerdet. Dennoch kommt das Ausgangsmaterial in den Bratschen und Geigen nicht zur Ruhe. 2015 entstanden, präsentiert es jede Menge auf- und abwärts steigende Glissandi und einen Pizzicato-Teil, der von einem Dauerton der Bratsche begleitet wird. Erst in der Mitte des Stückes kehrt eine stärkere Ruhe ein, das letzte Wort hat, fast logisch, die Bratsche.
Hilda Paredes , die mit Hacia una bitácora capilar (2014) vertreten war, eröffnete mit Rede und Gegenrede von Geige und Bratsche in rascher Abfolge. Ihr Werk ist dadurch gekennzeichnet, dass sie darin so gut wie nichts auslässt, was die Technik der Streicher hergibt. Immer wieder tauchen kleine Melodien auf, fühlen sich aber vom Cello bedroht. Starke Akzentuierungen einzelner Töne, hintereinander gesetzt, geben dem Werk einen eigenen, ungestümen Charakter.
Es ist interessant, dass für die erste Hälfte des Konzertes diese vier Stücke ausgewählt wurden. Ihre Verwandtschaften sind zwar nicht von den kompositorischen Grundideen her gegeben, die Hörergebnisse jedoch reihen sich in ein ganz bestimmtes Bild ein. Man könnte es mit einer zeitgenössischen Reverenz an das Streichkonzert schlechthin subsummieren, in dem es darum geht, die Instrumente mit allen Möglichkeiten ihrer produzierbaren Klangschattierungen aufzuzeigen. Und auch die Kunst der gegenseitigen Stimmen-Abhängigkeit, aber auch Freiheit durchzuexerzieren.
Thomas Kessler stand zum Abschluss auf dem Programm. 8 kleine und 2 große Lautsprecher machten von Anbeginn an klar, dass sich das Klangspektrum vom bis dahin gehörten unterscheiden würde. „Streichquartett mit Live-Elektronik“nennt sich dieses beeindruckende Werk. „Jeder Musiker ist an seinem Platz mit einem eigenen instrumental-elektronischen Setup verbunden, welches ihm erlaubt, die Samples und alle klanglichen und rhythmischen Modulationen selbst zu steuern und zu spielen“ ist im Programmheft über das 2012 komponierte Werk zu lesen. Ganz zu Beginn hört man eine kleine Melodie, verwaschen, wie aus einem alten Radio, eine Melodie die in den 20er Jahren als Unterhaltungsmusik gedient haben mag. Rasch wechselt dieser Eindruck und Klangfetzen wie von symphonischen Orchesterwerken drängen sich nun in den Vordergrund. Bald tritt das Streichquartett mit seiner live-Performance in den Vordergrund, dann wird geloopt, mit Nachhall gearbeitet und Echo eingesetzt. Hier wiederum kommt die Elektronik mit ihren vielen Möglichkeiten zum Zug. Und doch ist es nicht immer leicht zu unterscheiden, wo diese anfängt und aufhört. Schon nach kurzer Zeit schwappt eine wahre Klangmasse in den Raum, mit der mitgespielt, oder darüber gezirpt wird. Einzelne Worte, zuerst leise, dann lauter und von verschiedenen Stimmen eingesprochen, erweitern das Spektrum, wirken manches Mal wie harte Hiebe. An einer Stelle meint man einen Insektenschwarm zu hören, der sich nähert. Wohlklang und Dissonanzen liegen häufig nebeneinander, das Geschehen verlangsamt sich allmählich. So könnte sich also eine Zeitlupe anhören, drängt sich ein Gedanke auf, doch schon schwillt der Klang wieder an. Immer wieder meldet sich das Quartett als reines Streichquartett zu Wort, wird aber bald von der Elektronik wieder eingefangen. Das Ende könnte bunter nicht sein. Laute Glissandi münden in einen Wohlklang. Nach einer kurzen Pause ist jene kleine Melodie wieder hörbar, die schon zu Beginn die Ohren erfreute und das Publikum zu einem hörbaren Schmunzeln veranlasste.
Thomas Kessler, der selbst hinter dem Mischpult saß, hatte allen Grund, sich feiern zu lassen.