Die Thronfolgerin- Young Bess, 1953

Erstellt am 25. April 2017 von Michael

gabelingeber gräbt diese Woche einen sehenswerten, aber vergessenen Hollywood-Ausflug ins britische Königreich aus. Neben den üblichen „Filmschnipseln“ gibt es einen Gedankensplitter zum Thema „Kinokultur anderswo“. Viel Spass bei der Lektüre!

YOUNG BESS
USA 1953
Mit Jean Simmons, Stewart Granger, Deborah Kerr, Charles Laughton, Kay Walsh, Guy Rolfe u.a.
Drehbuch: Jan Lustig und Arthur Wimperis nach dem gleichnamigen Roman von Margaret Irwin
Regie: George Sidney
Der Film lief 1954 auch im deutschsprachigen Raum in den Kinos – unter dem Titel Die Thronfolgerin.

1953 blickte die Welt nach England – genauer: ins englische Königshaus. Damals wurde Elisabeth II zur Queen gekrönt – ein Ereignis, das schon Jahre voraus hohe Wellen warf. Hollywood sprang dankbar auf den „Royalty-Zug“ auf und verfilmte das Leben der jungen Queen Elisabeth I, Tocher Heinrichs des Achten und Anna Boleyn. Young Bess deckt die Zeitspanne von ihrer Geburt bis zum Moment ihrer Krönung ab.

Young Bess ist also ganz ein Kind seiner Zeit; heute gehört er zu den vergessenen Filmen MGM-Studios. Und trotzdem vermag er, 64 Jahre nach seiner Entstehung, noch immer zu packen und zu faszinieren.
Obwohl ihm keine besondere filmhistorische Bedeutung zukommt und er keine Botschaft transportiert, vermag er glänzend zu unterhalten. Sein Grundthema – die Liebe eines Mannes für zwei Frauen – gehört zudem seit der Erfindung des Kinos bis heute zu den Dauerbrennern der Traumfabrik.

Young Bess versammelt die damalige „Crème de la crème“ der britischen Schauspielergilde: Jean Simmons, Deborah Kerr und Charles Laughton führen ein Ensemble an, das bis in die hinterste Nebenrolle mit hervorragenden englischen Mimen besetzt ist. Stewart Granger ist der einzige, dem man das Attribut „gross“ absprechen könnte. Der gebürtige Brite hält mit dem Rest der Truppe allerdings überraschend gut mit! Der Mann war gar nicht so schlecht, wie ihm immer nachgesagt wird!
Der einzige Nicht-Brite im Film ist der damals elfjährige Rex Thompson, der den Part des kindlichen König Edward inne hat; der Kleine stellt den Rest der Crew fast in den Schatten: Sein britischer Akzent wirkt nicht nur täuschend echt, er schafft es sogar, seiner Sprachfärbung jene pompöse Umständlichkeit zu verleihen, die man vom einem Mitglied des Königshauses erwartet. Ich vermute, Charles Laughton hat ihm Schauspiel-Tipps gegeben, denn der Kleine agiert bisweilen wie eine Miniausgabe des großen Briten (der im Film dessen Vater spielt).
Jean Simmons ist schlichtweg brillant in der Titelrolle. Sie spielt den Part mit solcher Lebendigkeit, dass die Leinwand, bzw., der Bildschirm schier in Flammen steht. In ihrer großen Szene mit Laughton, wo sie sich dem König-Vater widersetzt, sprengen die beiden Vollblut-Mimen fast die Leinwand.

Dem Drehbuch wird zwar Geschichtsverfälschung vorgeworfen, doch sind Kritiker fast einhellig der Meinung, dass Jan Lustig und Arthur Wimperis derart gute Arbeit abgeliefert haben, dass man dies verzeihen könne. Ihre Dramatisierung des historischen Stoffes geht erzählerisch geschickt vor und reichert die Geschichte mit interessanten Nebenfiguren und geschickt eingeflochtenen Episoden zu einem schlüssigen Ganzen. Und Regie-Allrounder George Sydney („Sow Boat“, „Kiss Me, Kate“) bringt das alles mit sicherer Hand und Sinn für räumliche Wirkung zum Leben. Young Bess ist die beste Regieleistung, die ich von ihm bisher gesehen habe. Unterstützt wird er vom damals bei MGM omnipräsenten Cederic Gibbons, der für die grandiosen Bauten zuständig war und von Walter Plunkett, der die herrlichen Kostüme entworfen hat.

Das Ganze ist, in herrlichstem Technicolor, heute noch so lebendig wie damals, als Royalty Trumpf war.
In der Reihe „Warner Archive Collection“ ist Young Bess als „DVD on demand“ (DVD-R) in den USA erschienen (Kaufmöglichkeit siehe unten).

9 von 10

=> Die oben erwähnte DVD der Warner Archive Collection kann hier gekauft werden (Link führt zu meinem eBay-Angebot).

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Filmschnipsel:


SHAUN, DAS SCHAF – DER FILM
(OT: Shaun the Sheep Movie)
GB 2015
Drehbuch und Regie: Mark Burton und Richard Starzak
Eigentlich wollte ich in diesen Film nur mal kurz ‘reingucken. Aus Nostalgie, denn früher fand ich die Aardman-Filme («Wallace & Gromit») ganz toll. Ich erwartete nichts, denn Shaun, das Schaf ist doch eine Kinderserie, oder?
Der Film hatte mich im Nu erobert. Ich blieb hängen. Und nicht nur das: Nach und nach kamen weitere Familienmitglieder (mein erwachsener Sohn und meine Frau) herein – und verliessen den Filmraum bis zum Schluss nicht mehr.
Ein glänzender Animationsfilm! Dass Aardman in der Zeit der überbordenden, alles verschlingenden Computeranimation noch immer abendfüllende Plastilin-Filme macht, wusste ich gar nicht. Auf jeden Fall setzen sie hier ein brilliantes Gegengewicht. Shaun das Schaf – Der Film lebt von dem, was Aardmans Filme immer ausgemacht hat: Von unglaublich skurrilen, schrägen Einfällen, typisch britischem Understatement und liebevoller Handarbeit. Und von wegen «Kinderfilm»!
Die Schafe rund um Shaun langweilen sich, der Bauer langweilt sich, sogar die Spinne im Dachgebälk langweilt sich: Täglich der gleiche öde Trott. Die Schafe beschliessen, daraus auszubrechen und sich mal im Haus des Farmers eine Auszeit zu gönnen. Zu diesem Zweck wollen sie den «Herr und Meister» ausser Hauses locken. Diese Aktion aber geht schief und löst eine unglaubliche Verkettung von Unglücksfällen aus, an deren Ende alle in der Grossstadt landen, der Bauer sein Gedächtnis verliert und die Schafe vor einem rabiaten Tierfänger flüchten müssen.
Der verrückte Plot ist mit so vielen brillianten Einfällen und Gags aufgepeppt, dass es ein Fest ist. Unterhaltung vom Besten (obwohl kein Wort gesprochen wird)! Sehr zu empfehlen!
9 / 10


HIDDEN FIGURES

Mit Taraji P. Henson, Octavia Spencer, Janelle Monáe, Kevin Costner, Jim Parsons, Kirsten Dunst u.a.
Drehbuch: Allison Schroeder und Theodore Melfi
Regie: Theodore Melfi
Filme «Nach einer wahren Begebenheit» sind seltsamerweise oft unglaubwürdig. Weil die Tatsachen oft gestaucht und verkürzt werden, damit sie in die normale Kinolänge passen. Das ist auch hier der Fall. Die vier genialen «coloured Ladies», die zwar der NASA die Raumfahrt ermöglichten, deren Namen aber nie an die Oeffentlichkeit gelangten, werden von diesem Film zu Papiertigern gemacht. Hidden Figures wirkt wie eine filmische Pflichtübung, zu der niemand wirklich Lust hatte – ausser vielleicht die drei hervorragenden Hauptdarstellerinnen. Ohne ihr spürbares Engagement würde das Publikum in Langeweile versinken.
Weder ist beim Drehbuch irgendeine Inspiriertheit auszumachen, noch fällt Theodore Melfis Regie (St. Vincent) durch besonderes Inszenierungstalent auf.
Der Film zieht sich betulich bis zäh dahin, was daran liegt, dass die Heldinnen vom Drehbuch nicht mit genügend Fleisch ausgestattet wurden.
6 / 10

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Gedankensplitter

Kino anderswo
Für schweizerische Filmfreaks gilt Deutschland nach wie vor als cinematografisches Entwicklungsland: Dort kommen die Filme nur in der deutschen Synchronfassung in die Kinos. Ein barabarischer Zustand! Wenn die deutschen Kollegen dann gar anfangen, die Synchronfassungen nach ihrer Güte zu bewerten und sie zu verteidigen, wird’s für die Schweizer vollends unverständlich. (Am Rand sei bemerkt, dass die Kinos, welche untertitelte Originalfassungen spielen, in der Schweiz inzwischen immer weniger werden.)
Handkehrum reagieren deutsche Kinofreunde fassungslos, wenn ihnen in der Schweiz mitten in einer dramaturgisch sensibeln Stelle des Films das Pausensignet aufs Cineastenauge gedrückt wird und darauf eine Eisverkäuferin mit Bauchladen den Saal betritt. Die Schweizer müssen grad‘ was sagen von wegen Barbarei!

Andere Länder, andere Sitten. Endlos sind die Streitgespräche über die Ethik der Filmsynchronisation oder der Pausenunterbrechung. Wer damit gross geworden ist, stösst sich lustigerweise weniger an einem „no-go“ als die anderen. Fazit: Man gewöhnt sich an jede Unsitte, man muss nur früh genug damit anfangen!

Natürlich gibt es immer auch noch krassere Beispiele, anhand deren man das eigene Weltbild wieder einigermassen geraderücken kann. In Honkong zum Besispiel werden die Filme jeweils mit drei Sets Untertiteln gezeigt: Mandarin, Kantonesisch und Englisch. Die chinesischen Schriftzeichen verdecken die Hälfte des Filmbildes. (Jedenfalls war das noch zur Zeit der britischen Regierung so; heute sind die englischen Untertitel ja möglicherweise verschwunden…)
Und im Fernsehen wird ein Film dauernd von irgendwelchen barbarischen Marktschreiern unterbrochen.
Seien wir also froh um unsere Kinokultur und geniessen sie – solange man sie uns noch geniessen lässt!

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