Die taz als Odenwaldschule 2.0

Die taz als Odenwaldschule 2.0 von Thomas Baader 

Streng genommen wiederholt sich die Geschichte niemals. Das heißt: Etwas, was einmal passiert ist, wiederholt sich niemals auf die exakt gleiche Art und Weise. Trotzdem gewinnt man manchmal doch den Eindruck, als hätte man das, was gerade passiert, kürzlich schon einmal erlebt. Im vorliegenden Fall wird wohl der eine oder andere kritische Beobachter in der Tat ein Deja Vu haben. Der Missbrauchsskandal an der Odenwaldschule ist allgemein bekannt. An dieser Stelle soll daher nur ein Teilaspekt ins Gedächtnis zurück gerufen werden: Die Reaktion des überwiegenden Teiles des Lehrerkollegiums, als die Missbrauchsfälle bekannt wurden. Der Lehrer Salman Ansari unterschied sich insofern von seinen Kollegen, als dass er den Betroffenen Glauben schenkte und sich mit den missbrauchten Schülern solidarisierte. Aus dem Kollegium erntete er dafür Bezeichnungen wie „Judas“ und „Nestbeschmutzer“. Ansaris Kollege Henner Müller-Holtz bestätigt: „Er ist von einigen, auch von mir, als Judas, als Heuchler, als Weiß-der-Geier bezeichnet worden… als Verräter an der Schule.“ Die Odenwaldschule war für die dortigen Lehrkräfte zu etwas Wichtigerem und Größerem geworden, als es das Schicksal einzelner Schüler je sein könnte. Der Anstand, den Ansari zeigte, war in diesem Sinne zersetzend. Er wurde zum Schädling, der ausgegrenzt werden musste. Das Wort "Judas" wurde nicht zufällig gewählt. Die Odenwaldschule hat in ihrem Wahn, einzigartig, besser und menschlicher zu sein, einen verhängnisvollen Korpsgeist entwickelt, der sie zum Gegenteil dessen werden ließ, was sie zu sein anstrebte. Die taz hatte - bei aller Kritik, die ihr sonst berechtigterweise entgegenschlägt - den Missbrauchsskandal an der Odenwaldschule in vorbildlicher Art und Weise journalistisch begleitet. Das ist vor allem das Verdienst von Christian Füller gewesen. Immer wenn sich auf den Seiten der taz ein scharfsinniger und schonungsloser Artikel zu diesem Thema fand, konnte man sicher sein, dass Füllers Name darunter stand. Schließlich fasste Füller seine Erkenntnisse in dem Buch "Sündenfall" zusammen. Nun aber zur eingangs erwähnten Wiederholung der Geschichte: Denn Füller gerät neuerdings in eine ähnliche Rolle wie seinerzeit Ansari. Solange Füller kritisch über die Pädophilen der Odenwaldschule schrieb, war alles in Ordnung. Nun aber wendet er sich der pädophilen Vergangenheit der Grünen zu - und hier scheint die taz-Redaktion keinen Spaß zu verstehen. Wie Stefan Niggemeier berichtet, zeigte die taz bereits kein Interesse an den Texten Füllers, mit denen er das Verhältnis der Grünen-Ikone Daniel Cohn-Bendit zur Pädophilie analysierte. Füllers Texte erschienen statt dessen in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung. Füllers neuester Text, in dem er die These aufstellt, dass die Propagierung von Pädophilie nicht etwa ein Ausrutscher, sondern wesentliches Element der grünen Ideologie gewesen sei, wurde ebenfalls nicht veröffentlicht - offenbar will man den Grünen, denen man inhaltlich sehr nahe steht, nicht den Wahlkampf vermiesen. Bereits der Cohn-Bendit-Artikel "habe dazu geführt, dass er [Füller] in der Redaktion ausgrenzt wurde. Einflussreiche Kollegen hätten ihm die freundschaftliche Verbundenheit aufgekündigt." Die Geschichte mag sich nicht als Ganzes wiederholen, aber einzelne Elemente tun es immer wieder auf höchst unangenehme Weise. Auch die taz beweist Korpsgeist: Wie Ansari wird nun auch Füller zum Verräter an einer Sache, die so wichtig und besonders ist. Was sind im Vergleich dazu schon ein paar missbrauchte Kinder.
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