Die taumelnden Revolutionäre

Von Mehriran

17.11.2014Hintergrund 

Irans Ideologen suchen eine bedeutende Position in der Vielfalt islamisch geführter Länder

Ali Khamenei, Oberster Führer Irans

Mohammad Shahroudi, ehemaliger Leiter der Justiz, zukünftiger Führer?

Ezzatollah Zarghami, ehemaliger IRIB Direktor

Mohammad Sarafraz, zukünftiger IRIB Direktor

Sie traten einst an, um eine Weltrevolution anzuzetteln und den Globus mit einem schiitischen Kalifat zu überziehen. Irans Revolution von 1979 richtete sich gegen die Alleinherrschaft des Schah und war ursprünglich getragen von vielfältigen religiös-politischen, liberalen, linken, rechten und bürgerlichen Gruppierungen. Schliesslich setzten sich religiös-politische Hardliner hinter Ajatollah Khomeini[1] durch und riefen die sogenannte Islamische Republik aus. In mehreren Wellen wurden gnadenlos politische Gegner ausgeschaltet oder "gedreht", sowohl im Inland als auch im Ausland[2]. Die Weiterführung der Revolution wurde in die Verfassung[3] aufgenommen. Das Streben die eigene Ideologie vom Obersten Führer[4] in andere Länder zu exportieren, wird stetig und mit Kalkül ausgebaut. Syrien, Libanon, Jemen, Irak sind Länder, in denen Irans Wirken inzwischen deutlich sichtbar ist. Nicht wenige afrikanische und südamerikanische Länder sind unter deutlichem Einfluss Irans, was sich vor allem auf dem Gebiet ideologischer Schulungen, Waffen- und Ölgeschäften niederschlägt. Hier wirken vor allem Mitglieder militärisch geschulter Angehörige der Quds-Armee, die als Auslandsabteilung der Pasdaran[5] geschaffen wurden.

In Europa versuchen gut geschulte iranische Agenten die Herzen und Köpfe vor allem von Akademikern auf sanfte Weise zu gewinnen. Iran definiert diesen Kampf als Kampf gegen die Kultur-NATO[6]. Während im Land selbst Sufi-Derwische[7] allen möglichen Schickanen ausgesetzt sind und teilweise ihrer Rechte beraubt werden, nutzen Agenten des Regimes gerne die Weisheiten und schönen Verse eines Hafis, Sa'adi oder Rumi, um die Sinne deutscher, englischer oder französischer Geisteswissenschaftler zu betören. Oft werden Akademiker und junge Studierende in den Iran auf Kosten des Regimes eingeladen und auf eine begleitete Charme-Tour geschickt, so dass sie in ihre Länder zurück kehren und von der Schönheit Irans schwärmen ohne in Kontakt mit den brutalen Seiten der Realität im Land in Berührung gekommen zu sein.

Die Angst vor Protesten

"Jeder Angriff ist nur so gut wie die Verteidigung es zulässt" - wird sich der Nachfolger Ajatollah Khomeinis, der greise Ali Khamenei[8], sagen, denn er sorgt sich sehr um seine schwach legitimierte Machtstellung und die Erhaltung des Status Quo im Land. Jeder Protest, jede Gedenkveranstaltung, die nicht von seinen Schergen organisiert wurde, ist eine potentielle Gefahr und wird mit brutalen Mitteln beantwortet. Zwei der folgenreichsten Protestveranstaltungen[9] endeten mit Blutvergiessen und anschliessenden härteren Zensurmassnahmen.

Als der vorschnell "Arabischer Frühling" genannte Protestzug die nordafrikanischen Länder erschütterte, beeilte sich auch Khamenei die Proteste in seinem Sinne zu instrumentalisieren und sprach im Gegenzug von "Islamischem Erwachen" ganz im Sinne der "islamischen" Revolution im Iran. Hier trat offen zu Tage die Rivalität sunnitischer Herrscher in Saudi Arabien, Qatar und anderen Ländern mit dem schiitischen Herrscher Irans, der den Anspruch hat auch Sunniten für seine Weltrevolution einzubinden.

Schliesslich entwickelte sich in Syrien ein Stellvertreterkrieg zwischen Kräften, die aus dem Iran in Syrien für Assad kämpften, Kräften, die unabhängig versuchten zu agieren und Kräften, die ihre Hauptunterstützung aus arabisch-sunnitisch geprägten Ländern bekamen.

Selbst die Türkei unterstützte alle möglichen Gruppierungen im Kampf gegen Assad und stand damit auch in Gegnerschaft zu Iran.

Ein Ergebnis dieser Rivalitäten ist das Hervortreten der Dâesch Gruppierung oder IS, die sich mit obskurer Unterstützung aus verschiedenen Richtungen im Irak und in Syrien militärisch gnadenlos durchsetzt. Die von Iran gesteuerten schiitischen Milizen[10] im Irak versuchen gegen die Dâesch vorzugehen und liefern ähnlich brutale Ergebnisse ab.

Angesichts der vielen Widerstände[11] gegen die Einflüsse des schiitischen Regimes in ausseriranischen Gebieten und der wirksamen Sanktionen gegen Iran, sieht sich der Oberste Führer Khamenei gezwungen über Alternativen nachzudenken. Zugleich gibt es immer wieder Gerüchte Ali Khamenei sei sterbenskrank, wodurch Nachfolger[12] gehandelt werden. Und es brodelt im Land. Menschen trauen sich immer wieder auf die Straße zu gehen. Sufi-Derwische protestieren vor dem Evin Gefängnis[13] oder vor dem Büro des Oberstaatsanwalts in Solidarität mit ihren Glaubensbrüdern, die unrechtmäßig gefangen sind, es finden Proteste gegen Hinrichtungen statt, Proteste gegen Säure-Attentate, Arbeiter und Lehrer beschweren sich über nicht bezahlte Löhne u.a.

Es wird zunehmend komplizierter für Iran eine führende Position in dem Spektrum islamisch orientierter Länder zu finden. Der Politfuchs Akbar Rafsandschani rät schon seit einiger Zeit Khamenei von seiner Position als Revolutionär abzuweichen und einen moderaten Islam zu installieren, um weite Teile der Bevölkerung zu erreichen und zu erwartende Proteste gegen das Regime zu verhindern.

Auf der anderen Seite sind Ideologen der islamisch-politischen Weltrevolution wie Said Ghassemi und Hassan Abbasi[14] in Alarmstellung, denn ihr Stern am Himmel würde dadurch verglühen. Sie haben stets Treue dem Führer gegenüber gelobt und nährten eine Ideologie der Opferbereitschaft für ihn und die Revolution. Immer wieder haben sie in Kampagnen Listen voller bereitwillige Selbstmordattentäter zusammengestellt und den Führer aufgefordert nicht nachgiebig gegenüber dem Westen zu sein. Als Khamenei in einem Interview bekräftigte, dass er voll hinter den Nuklearverhandlungen mit den USA steht, waren die Hardliner sehr enttäuscht.

Ob sich wirklich substanzielle Änderungen im Iran zutragen, muss die nächste Zeit zeigen. Das Regime muss an vielen Fronten kämpfen und gleichzeitig sein Ziel nicht aus den Augen verlieren. Die Revolutionäre taumeln. Gefallen sind sie noch nicht.

Mitte November 2014 ist der Leiter des iranischen Staatsfernsehens (IRIB) Ezzatollah Zarghami nach zehnjähriger Amtszeit[15] von seinem Stellvertreter Mohammad Sarafraz abgelöst worden. Sarafraz gilt als Begründer des englisch sprachigen Press TV, arabisch sprachigen al-Alam und spanisch sprachigen Hispan TV. Die Sender sind Prestigeprojekte und sollen die offizielle Linie des Regimes im Ausland darstellen. Ein Milliarden schweres Budget steht den Machern zur Verfügung.

Das Staatsfernsehen ist alles andere als beliebt. Im Iran setzen sich die Bürger lieber der Gefahr aus entdeckt zu werden, als sich die staatliche Propaganda ins Wohnzimmer zu holen. Vor allem nach der Niederschlagung der Grünen Bewegung 2009 schauen die Bürger Teherans zu 70% ausländische Sender per Satellit oder über Internet. Immer wieder holt die Polizei massenweise Satelittenschüsseln von Hausdächern herunter, doch die Leute sind erfinderisch und finden Wege sich über die Verbote hinwegzusetzen. Khamenei fürchtet ausländische Sender, denn darüber könnten Aufrufe an die Bevölkerung übermittelt werden Proteste auf die Straßen zu bringen.

So kann man den Wechsel als Hinweis verstehen, dass nun das staatliche Fernsehen attraktiver gestaltet werden soll, um die Iraner wieder an sich zu binden und die taumelnden Revolutionäre wieder zu stabilisieren in ihrem Kampf um Deutungshoheit für einen politischen Islam.


[1] www.bpb.de/internationales/asien/iran/40110/das-politische-system

[2] z.B. das Attentat vom 17. September 1992 im Restaurant Mykonos in Berlin. Details zu dem Anschlag.

[3] www.eslam.de/manuskripte/verfassung_iri/praeambel%20.htm Unterpunkt Staatlichkeit im Islam

[4] Der Oberste Führer ist sowohl militärisches, staatliches und religiöses Oberhaupt und soll direkt von Gott seine Befehle erhalten. Alle Untertanen sind zu Gehorsam verpflichtet, ansonsten werden sie als Häretiker und Verräter betrachtet.

[5] Pasdaran sind die sogenannten Revolutionsgarden, die dem Obersten Führer direkt unterstellt sind und als Hüter der Revolution nach Innen wirken. Die Quds-Armee (Jerusalem-Armee) widmet sich dem Export der Revolution.

[6] www.iran-now.de/$210303

[7] www.heise.de/tp/artikel/22/22413/1.html

[8] en.wikipedia.org/wiki/Ali_Khamenei - mehriran.de/fileadmin/Downloads/Ali_Chamene_i.pdf

[9] Die Kettenmorde in den 90er Jahren und die Niederschlagung der Studentenproteste durch Ketten und Messer schwingende paramilitärische Bassidschi Einheiten auf Motorrädern und die Proteste von 2009 nach der fingierten Wiederwahl von Präsident Ahmadinedschad.

[10] www.zeit.de/politik/ausland/2014-06/irak-iran-revolutionsgarden-quds-brigaden

[11] Zum Beispiel wurde Ministerpräsident Nouri al-Maliki gegen den Willen Irans von Haider al-Abadi ersetzt, der sich Irans Drängen widersetzt das von den iranischen Volksmujahedin bewohnte Camp Ashraf aufzulösen.

[12] www.theguardian.com/world/2014/oct/31/iran-ayatollah-ali-khamenei-succession-supreme-leader

[13] observers.france24.com/content/20140924-police-iranian-sufi-protest-dervishes - hriran.com/en/test/42-dervishsufi/5107-gonabadi-dervishes-and-civil-disobedience.html - https://de-de.facebook.com/pages/mehrirande/490297334318676

[14] mehriran.de/artikel/kaderschmiede-der-diktatur.html

[15] khabarnegaran.info/article.php3

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