Immer, zu jeder Zeit und überall entwickeln sich Jugendkulturen, meistens äußern sich diese in Kleidung, Haartrachten und Musik; nehmen Einfluss auf die Kunstszene und die Sprache. Manche Dinge etablieren sich dann in der Gesellschaft,
Um dem Einheitsdrill der ‚Hitler Jugend’ und ihrer weiten Verzweigung im gesellschaftlichen Rahmen des Nationalsozialismus, wenigstens für kurze Zeit zu entkommen, schuf sich die ‚Swing-Jugend’, so der Terminus der nationalsozialistischen Behörden, in ihrer Freizeit ein eigenes kulturelles Gegenstück zum nationalsozialistischen Zwang des Alltags. In der Freizeit wollten die Jugendliche ihre Individualität, ihre Spontaneität und ihre Lebenslust ausleben. Neben Bars und Tanzcafés trafen sich die Jugendlichen auch in Badeanstalten, Kinos und Eisdielen, im Stadtpark oder zu Ausflügen, beständig begleitet von ihrem Koffergrammophon und einem Satz englischer und amerikanischer Swingplatten. Der Widerstand beziehungsweise die Opposition Jugendlicher gegen das ‚Dritte Reich’ entwickelte sich spontan. Er war nicht geplant und geregelt wie bei den Jugendorganisationen der SPD oder KPD. In diesen Organisationen wurde der Widerstand aus einer politischen Motivation heraus geführt. Die Motive der allgemeinen Jugendopposition waren unterschiedlich. Ein Teil der Jugendlichen wünschte sich eine freiere Jugendkultur, ein anderer Teil knüpfte an die Traditionen der, 1933 verbotenen, bündischen Jugendgruppen an, wieder andere lehnten den Staat aus religiösen Gründen ab. Die Erziehungsziele definierte Hitler in einer Rede in Reichenberg über die faschistische Erziehung der deutschen Jugend am 2.12.1938: "[...] Diese Jugend, die lernt ja nichts anderes, als deutsch denken, deutsch handeln, und wenn diese Knaben mit zehn Jahren in unsere Organisation hineinkommen und dann sofort zum ersten Male überhaupt eine frische Luft bekommen und fühlen, dann kommen sie vier Jahre später vom Jungvolk in die Hitlerjugend, und dort behalten wir sie wieder vier Jahre, und dann geben wir sie erst recht nicht zurück in die Hände unserer alten Klassen- und Standeserzeuger, sondern dann nehmen wir sie sofort in die Partei, in die Arbeitsfront, in die SA oder in die SS, in das NSKK und so weiter. Und wenn sie dort zwei Jahre oder anderthalb Jahre sind und noch nicht ganze Nationalsozialisten geworden sein sollten, dann kommen sie in den Arbeitsdienst und werden dort wieder sechs und sieben Monate geschliffen, alles mit einem Symbol, dem deutschen Spaten. Und was dann nach sechs oder sieben Monaten noch an Klassenbewusstsein oder Standesdünkel da oder da noch vorhanden sein sollte, das übernimmt dann die Wehrmacht zur weiteren Behandlung auf zwei Jahre, und wenn sie nach zwei, drei oder vier Jahren zurückkehren, dann nehmen wir sie, damit sie auf keinen Fall rückfällig werden, sofort wieder in die SA, SS und so weiter, und sie werden nicht mehr frei ihr ganzes Leben!" Doch Jugend entwickelt sich zum Teil anders als ‚erwünscht’. Eine ganze Reihe Jugendlicher gingen aus reiner Abenteuerlust in Opposition. Insgesamt wehrten sich die Jugendlichen gegen den immer stärker werdenden Druck des Staates. Der Widerstand der Jugendlichen, von denen viele anfangs der ‚Hitler-Jugend’ noch positiv gegenüberstanden, verstärkte sich in dem Augenblick, als der HJ-Dienst immer mehr militärischen Charakter annahm. Die Jugendopposition äußerte sich dahingehend ganz unterschiedlich. Die Swing-Jugend war ein zunächst im Hamburger Bildungs- und Großbürgertum auftretendes Phänomen. Die Anhänger versuchten sich durch eine Gegenkultur und auffällige, dem angloamerikanischen Stil nachempfundene Kleidung abzusetzen. Zunächst durch Treffen mit Swingmusik. Sie organisierten Tanzveranstaltungen und engagierten Jazzbands. Auf Swing-Hits dichteten sie Spottverse, in denen sie sich über Nazis, Soldaten und besonders über die ungeliebte Hitlerjugend lustig machten. Sie trugen englische Mäntel und Hüte, lasen ausländische Zeitungen und grüßten sich untereinander ‚Swing heil!’ statt mit ‚Sieg Heil!’. Die Swings hatten oft lange Haare, karierte Sakkos, Hut und Regenschirm und nutzten Anglizismen. In Österreich war der Begriff ‚Schlurf’ verbreitet, eine bis heute gebrauchte abwertende Bezeichnung für einen ungepflegten Mann. In Bezug auf die österreichische Swing-Jugend wurde dieses Schimpfwort allerdings wertneutral als Selbstbezeichnung verwendet. Eine Parallele in Stil und Ausdrucksformen gibt es ebenso zu den ‚Zazous’ in Frankreich. Ab dem Kriegsjahr 1943, als die Oberschüler der Jahrgänge 1926 bis 1928 nacheinander als Luftwaffenhelfer eingezogen wurden, bildeten sich auch in Flak-Batterien lose Gruppen von Swing-Fans. So bildete der Flakturm VI in Wilhelmsburg den Treffpunkt der ‚Pfennigbande’, eine Gruppe Jugendlicher, die als Erkennungszeichen einen Pfennig mit dem heraus gekratzten Hakenkreuz am Jackenaufschlag trugen. In Berlin war das nachts nur für Wehrmachtsangehörige geöffnete Varieté ‚Haus Vaterland’ am Potsdamer Platz ein Geheimtipp, denn dort spielte das populäre Tanzorchester Kurt Widmann in traditioneller Bigband-Besetzung amerikanischen Swing, der unter harmlos klingenden deutschen Titelnamen angesagt wurde. Zum Beispiel wurde ‚In the mood’ umbenannt in ‚Gut aufgelegt’. In fast allen größeren Städten gab es solche Bewegungen. Ohne dezidiert politisch-oppositionell eingestellt zu sein, wichen sie nur durch ihr Aussehen und Verhalten stark vom nationalsozialistischen Vorbild der Jugend ab. Durch die forcierte gewalttätige Verfolgung der Swing-Cliquen durch die Gestapo und den HJ-Streifendienst politisierten sich ab 1940 Teile der Swing-Jugend. Die 1940 erlassene ‚Polizeiverordnung zum Schutze der Jugend’ verbot Jugendlichen unter 18 Jahren den Besuch ‚öffentlicher Tanzlustbarkeiten’. In der Folge veranstalteten die Swings vermehrt selbst private Partys mit Swing- und Jazzmusik. Am 18. August 1941 trat die ‚Sofort-Aktion gegen die Swing-Jugend’ in Kraft, so wurden über 300 Mitglieder der Swing-Jugend verhaftet. Die Repressionen reichten vom Abschneiden der langen Haare über Schutzhaft und Schulverweise bis zur Verhaftung angeblicher Rädelsführer und deren Deportation in
Literatur, Film und Literatur haben sich ausführlich mit dem Phänomen der Swing-Kids im Nationalsozialismus auseinander gesetzt. Sogar ein Musical diente als Vorlage für die Geschehnisse um die Verfolgung und das Lebensgefühl dieser jungen Leute.
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Bild 1: Plakat 'Entartete Musik' – Quelle: wikimedia.org · Bild 2: Tanzen verboten – Quelle: netzgymnasium.de · Bild 3: gedenkstaette-moringen.de