Die Stille nach dem Presslufthammer: Ólafur Elíasson in der Mannheimer Kunsthalle

Von Kulturstrandgut

Foto: © Kunsthalle Mannheim / Cem Yücetas

Es hat etwas Seltsames, wenn man zurzeit die Mannheimer Kunsthalle besucht – vor allem an einem normalen Donnerstagvormittag, wenn man in den sehr leeren Räumen allerhöchstens mal auf eine Schulklasse trifft. Draußen wummern die Presslufthämmer in der Baugrube für den viel diskutierten Neubau der Kunsthalle. Drinnen im alten Jugendstilbau herrscht Stille wie in einer anderen Welt. In der hohen Eingangshalle, die den Mittelpunkt dieses Museumsteils bildet, hängt einem überdimensionalen Kronleuchter gleich die Installation „Starbrick“ von Ólafur Elíasson, welche die Kunsthalle im letzten Jahre erworben hat. Jetzt wird Elíasson, der mit Fug und Recht als einer der bedeutendsten zeitgenössischen bildenden Künstler bezeichnet werden kann, eine aufwändig beworbene, im Umfang allerdings verhältnismäßig kleine Ausstellung gewidmet.

„Your trust“ erstreckt sich über zwei Räume und gibt einen kleinen Einblick in das Schaffen und die Ideenwelt des gebürtigen Dänen, der ein künstlerisches Multitalent ist: Neben Installationen schafft er auch Skulpturen, Gemälde, Fotografien und Filme. Dies allerdings schon lange nicht mehr allein: Sein Studio im Berliner Pfefferberg beschäftigt mittlerweile rund neunzig Mitarbeiter, die ihn dabei unterstützen, seine Entwürfe umzusetzen. Elíasson, der in Dänemark und Island aufwuchs, lebt seit 1995 in der deutschen Hauptstadt, lehrt seit 2009 an der Universität der Künste und wurde 2012 gar in die Akademie der Künste aufgenommen. Er wurde in dieser Zeit mit zahlreichen Kunstpreisen ausgezeichnet und seine Installationen sind mittlerweile weltweit gefragt. In seinen Werken beschäftigt er sich vor allem mit physikalischen Phänomenen wie Licht und Reflexion, Wasser oder Luft. In New York hat er künstliche Wasserfälle und ein Stück von einem echten Gletscher installiert, im Rahmen des weltweiten „Green-River“-Projekts hat er verschiedene Flüsse grün eingefärbt und die Reaktionen der nicht informierte Öffentlichkeit gleich zu einem Teil des Kunstprojekts gemacht.

Diese Beispiele verdeutlichen bereits, dass Elíasson in seiner Kunst einen Schwerpunkt auf ökologische und soziale Themen setzt. „Eliasson strives to make the concerns of art relevant to society at large. Art, for him, is a crucial means for turning thinking into doing in the world“, heißt es auf der Webseite des Künstlers. Im Fokus stehen dabei der Klimawandel und die Frage nach Alternativen der Energiegewinnung. Ein konkretes Ergebnis dieser Arbeit ist das tolle Projekt „Little Sun“, das 2012 ins Leben gerufen wurde: Dabei handelt es sich um eine quietschgelbe, sonnenförmige Solarlampe, die der Künstler zusammen mit Frederik Ottesen vornehmlich für die Nutzung in Entwicklungsländern entworfen hat. Auf diese Weise wird es den Menschen dort ermöglicht, unabhängig von elektrischem Strom trotz der früh einbrechenden Dunkelheit die geniale Lichtquelle zu nutzen – etwa um einen Marktstand länger zu betreiben oder um abends lesen zu können. Die „Little Sun“ wird in unseren Breiten zu einem höheren Preis verkauft, um so einen niedrigeren Preis in den eigentlichen Zielländern zu finanzieren.

Photo: Maddalena Valeri © 2012 Little Sun

Die kleine, aber feine Ausstellung in der Mannheimer Kunsthalle nun konzentriert sich auf das Thema Optik und ihre Verflechtung mit der Bewegung – letztendlich also mit der Frage des Standpunkts. Der Ausstellungsname bezieht sich auf die Serie „Your confidence, Your instinct, Your intuition, Your compassion, Your optimism“ (2014), die im ersten Raum zu sehen ist. Dabei handelt es sich um fünf durchlässige Quader, in die jeweils mehrere Schichten unterschiedlich farbigen Glases eingesetzt sind. Das „Your“ verweist auf die bedeutende Rolle, die Elíasson den Rezipienten und ihrer individuellen Wahrnehmung im Rahmen des Werkes gibt. Die eingeschnittenen Kreise und Ellipsen erzeugen einen dreidimensionalen, sich ständig veränderten Eindruck – je nachdem, wie sich die Betrachterin oder der Betrachter zum Objekt positioniert. So entsteht eine Vielfalt von Eindrücken, die sich auch noch je nach Lichteinfall verändert. Gespiegelt wird die Serie durch die „Sechs Aquarelle“ (2010, 2011) an den Wänden des Raumes, die ebenfalls unterschiedliche oszillierende Kreisformen zeigen. Auch hier wird auf kluge Weise mit der Wahrnehmung gespielt, indem durch unterschiedliche Techniken (Aquarell und Bleistiftzeichnung) und Farbabstufungen Mehrdimensionalität erzeugt wird.

Manchmal erinnern diese schwingenden Kreisformen an alte Planetenmodelle, und dieser Eindruck wird im zweiten Raum fortgesetzt. Im historischen Ambiente der Alten Bibliothek setzt der Künstler zugleich einen Bezug und einen Kontrapunkt. In der Mitte des hohen zweigeschossigen Raums mit den schweren Holzregalen voller alter Bücher in kunstvollen Einbänden hängt der bunte „Navigation Star“ (2011), der Navigationsinstrumente aus dem 19. Jahrhundert erinnert, die sich an den Sternen ausrichteten. Mit seinen modernen Materialien und bunten Farben wird er zugleich im Hier und Jetzt verortet, ähnlich wie das zweite Objekt von Elíasson in diesem Raum. Wie ein riesiges gläsernes Buch aus bunten durchscheinende Seiten ist „A View Becomes a Window“ (2013) in einer Ecke des Raumes ausgestellt. In die „Buchseiten“ sind ähnlich wie im ersten Raum Aussparungen in Ellipsenform eingeschnitten, die das Spiel von Wahrnehmung, Licht und Bewegung erneut aufnehmen. Die einzelnen Glasseiten wurden in aufwändiger und heute seltener Handarbeit in der Glashütte Lamberts in Waldsassen hergestellt – eine Produktionsweise, die auf die Vergangenheit der Buchproduktion als Handwerk und Kunst verweist. Der Band ist Teil eines Projekts, das insgesamt neun solcher gläserner Bücher umfasst, die für den spanischen Verlag Ivorypress hergestellt wurden. In der Kunsthalle ist das Anfassen – in diesem Fall: leider – verboten, sodass ein Großteil der Idee des Spiels von Licht und Bewegung beim Umblättern nicht vermittelt wird. Wer dies nachholen will, kann das auf einem kleinen Video tun, das Elíasson veröffentlicht hat.

Navigation Star. Foto: © Kunsthalle Mannheim / Cem Yücetas

Beim Verlassen der Ausstellung kann man einen zweiten Blick auf „Starbrick“ werfen, die lüsterartige Installation, die der Künstler speziell für die Neueröffnung des Altbaus im vergangenen Jahr anpasste. Ich empfehle, sich die Zeit zu nehmen, im offenen Treppenhaus nach oben zu steigen und das Werk einmal auf der Galerie zu umrunden, auch wenn man sich den Rest der Kunsthalle für heute sparen möchte. Denn so erhält man einen komplexeren Eindruck und Einblick in die Installation aus 35 einzelnen sternförmigen Lampen, die bienenwabenartig zusammengesetzt sind. Mit seinen klaren Formen in Grün und Schwarz passt der Leuchter perfekt in die Jugenstilumgebung des alten Ausstellungsgebäudes. Durch den Perspektivwechsel während des Rundgangs wird die scheinbare Symmetrie auf den zweiten Blick gebrochen. Das Werk in der Kunsthalle ist zwar ein Unikat, „Starbrick“ ist aber zugleich ein Modulsystem, das der Berliner Künstler zusammen mit dem Lichttechnik-Unternehmen Zumtobel entwickelte und vertreibt. Wer über das nötige Kleingeld für so ein Designerstück verfügt, kann sich also seinen eigenen „Starbrick“ ins Haus holen.

Starbrick. Foto: © Kunsthalle Mannheim / Brigida Gonzalez

Die Ausstellung in der Mannheimer Kunsthalle vermittelt auf jeden Fall einen ersten, wenn auch recht begrenzten Einblick in das Werk des Denkers, Imaginateurs und Machers Ólafur Elíasson, und es ist zu hoffen, dass die Zusammenarbeit der Kunsthalle mit diesem großartigen Gegenwartskünstler eine Fortsetzung findet. „Your trust“ ist noch bis zum 15. Februar 2015 zu sehen.