Die Stärke der SPD ist die Schwäche der CDU

31% in den Umfragen - so stark war die SPD seit 2005 nicht mehr. Es ist ein ungewohntes Gefühl, ob man Sozialdemokrat ist oder nicht. Ein Wahlkampf in Deutschland, bei dem sich die Kontrahenten scharf angreifen und so etwas wie verschiedene Richtungen zur Auswahl stehen? Auch so etwas hat man seit 2005 nicht mehr gesehen. Und damals ging es auch nur um die Frage, wer nun als Kanzler die Früchte des sich abzeichnenden Aufschwungs ernten und seiner eigenen Politik zuschreiben durfte. Die Geschichten über Martin Schulz, der die SPD mit beherztem Linksruck zurück ins 30%-Feld zieht, schreiben sich quasi von selbst. Nur wurde bereits mehrfach zurecht darauf hingewiesen, dass die SPD bereits 2013 mit einem Programm antrat, das vom sich aktuell abzeichnenden allenfalls in Details abweicht. Genau hier liegt die Kernfrage: was treibt eigentlich den aktuellen SPD-Erfolg in den Umfragen?
Ein guter Teil ist mit Sicherheit der Neuheitswert von Martin Schulz. Es ist ein Armutszeugnis für die Presse wie für die Wähler, dass das der Fall ist, denn Schulz ist nicht gerade ein Newcomer ohne bisherige politische Erfahrung. Aber wen interessiert schon Europa? Schulz kommt daher mit einer gehörigen Ladung Altlasten, die hierzulande keiner kennt und die wahrscheinlich auch niemanden interessieren. Warum sich deutsche Wähler mehr für die Untiefen der Abrechnungspraxis von Mitarbeiterbezügen im Europaparlament interessieren sollten als französische Wähler, erschließt sich mir jedenfalls nicht. Es mag sein, dass sich dieses Narrativ in Dimensionen einer, sagen wir: E-Mail-Affäre, auswächst, aber zumindest aktuell lockt das keinen toten Hund hinter dem Ofen hervor.
Mehr Bedeutung hat da die Absage an eine Fortführung der Großen Koalition unter Merkel, eine Entwicklung, die sich wohl nicht ganz zufällig in derselben Politik der S&D im Europaparlament spiegelt. Die Idee, dass die SPD 2013 stärker als die CDU werden und dann ihrerseits unter Steinbrück die Koalition anführen würde, war genauso irrsinnig wie unattraktiv. Will die SPD als eine Alternative wahrgenommen werden, muss sie sich wie eine verhalten (und im Zweifel akzeptieren, dass sie nicht von der Mehrheit gewünscht wird). Das Fesseln an Merkel von 2009 und 2013 war jedenfalls offensichtlich ein elektoraler Irrweg, der nun beendet ist. Selbst ein Kartoffelsack fährt unter diesen Umständen als Kanzlerkandidat höhere Werte ein als die Stones.
Das Manöver, mit einem Kandidaten anzutreten der nicht direkt an der GroKo beteiligt war (indirekt natürlich schon, aber erneut, niemand interessiert sich für das Europaparlament), war clever, weil es die SPD in die Lage versetzt, mit ihrem Programm aus der Regierung heraus Oppositionspolitik zu betreiben - ein Luxus, den sie 2009 und 2013 nicht hatten, als die jeweiligen Kandidaten viel zu sehr mit eben dieser Regierung verknüpft waren. Gabriel hätte seinerzeit auf Ministerposten verzichten müssen, um dieselbe Chance zu haben, aber das ist anachronistisches Wunschdenken. Sein Verzicht jedenfalls ist folgerichtig.
Die SPD gewänne allerdings nichts aus dieser Oppositionsrolle, wenn nicht einige strukturelle Faktoren ihr zu Hilfe kommen würden, für die weder Schulz noch sonst ein Stratege irgendetwas kann. Denn zum ersten Mal seit 1998 (!) steht die CDU alleine als Verteidiger der Regierungspolitik ohne Blitzableiter da. Griechenland? Das sind Schäubles und Merkels Krisen, nicht die der SPD. Deren Fingerabdrücke finden sich weder auf Austeritätsmaßnahmen noch Kreditpaketen. Es ist ein Leitmotiv dieses Artikels dass sie selbstverständlich beteiligt waren - aber sich plausibel im Wahlkampf davon absetzen können. Keine Notwendigkeit also, mir das in den Kommentaren zu erklären. Die Flüchtlingskrise? Das ist Merkel, und alleine Merkel. Die AfD? Die ist das Problem der Union, wie die LINKE das Problem der SPD war. Wo früher alle Unzufriedenheit mit dem Status Quo entweder auf SPD oder FDP landete, ist Merkels Strategie dieses Mal mangels Blitzableiter zum Scheitern verurteilt. Die CDU ist so offensichtlich Koch und alle anderen so offensichtlich Kellner, dass sie Erfolge wie Misserfolge erntet. 2017 schadet ihr, was ihr 2014 noch genutzt hat - Stichwort Mindestlohn.
Die CDU ist mit dieser Situation aktuell sichtlich überfordert. Ihr Wahlkampf jedenfalls lädt zum Kopfkratzen ein. So versuchte man auf den Steingart-Zug aufzuspringen und Schulz' mangelnde Formalbildung zu kritisieren, was in einem Umfeld, in dem Kritik am Establishment alles ist, mehr als merkwürdig ist und Schulz' Narrativ als Vertreter des Kleinen Mannes nur in die Hände spielt. Da wäre der Versuch, Schulz' frühere Alkoholabhängigkeit zu thematisieren. Der Mann ist seit, was, 1980 trocken? Der Trick hat nicht mal bei Willy Brandt funktioniert, und das ist 50 Jahre her und der Mann war wirklich Alkoholiker, also aktiv, und ist nach der Pressekonferenz mit Journalistinnen in die Kiste gehüpft! Wenn das in den 1970er Jahren nicht genug war, das moralingesäuerte konservative Blut in Wallung zu bringen, warum sollte das jetzt funktionieren? Dann versucht Jens Spahn uns zu erklären, dass das SPD-Wahlprogramm das Wort Sozialismus - SOZIALISMUS! - benutzt. Es ist 2017! Wähler, die sich noch an den real existierenden Sozialismus erinnern können sind mittlerweile schon durch ihre erste Midlife Crisis. Genauso albern ist der Versuch, Schulz mit "den Kommunisten in Athen" zu verknüpfen. Bisher war es kein Problem, dass Schäuble eng mit diesen, öhm, Kommunisten zusammenarbeitet. Und Schulz, der, erneut, nichts mit der deutschen Griechenlandpolitik am Hut hat, damit zu verknüpfen dürfte schwierig werden.
Die CDU ist in der blöden Situation, dass sie sich nicht selbst von Merkel distanzieren können, sondern ihre Politik als Gesamtpaket verteidigen müssen. Und da können sie noch so sehr auf vergangene Erfolge hinweisen und Statisitiken aufzeigen wie gut es Deutschland geht, gegen die gegenteilige Stimmung kommen sie nicht an. Das hat Clinton in den USA erlebt, das hat die SPD 2009 und 2013 erlebt. Was die CDU jetzt braucht ist eine Krise, in der "es auf den Kanzler ankommt", um einen ebenfalls leicht angestaubten Slogan zu verwenden. In dieser Situation vermeldet Schäubles Ministerium einen Rekordüberschuss. Die Debatte wird daher nur darum gehen, wie dieser Überschuss auszugeben ist. Und Ausgaben ist die Kernkompetenz der SPD.
Dummerweise ist von allem, was die CDU anzubieten hat, Merkel das einzige Produkt, das die Leute tatsächlich kennen ("Sie kennen mich", wir erinnern uns). Was 2013 beinahe zur absoluten Mehrheit gereicht hätte, ist nun ein Klotz am Bein. Weder CDU, noch Grüne, noch SPD, noch FDP haben sich seit 2013 nenneswert bewegt. Aber um sie herum hat sich alles verschoben. Nicht dramatisch, aber genug. Und dieser Wandel hat die CDU geschwächt, und er hat die SPD gestärkt. Da ist keine große Magie dahinter.
Genausowenig übrigens wie in dem Einbruch der Umfragezahlen der SPD, der praktisch sicher in den nächsten Wochen kommen wird. Schulz ist neu, noch immer geben rund 20% in Umfragen an, keine Ahnung zu haben wer er ist, und er ist vor allem eins: nicht Merkel. Beide Effekte werden sich abreiben, wenn er erst einmal eine Weile im Rampenlicht steht. Wenn Wähler merken, dass er in vielen Fragen tatsächlich von Merkel abweicht, aber nicht so, wie sie das gerne hätten.

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