Mit ihrem Romandebüt “Nada” (zu Deutsch “Nichts”) gewann Carmen Laforet 1944. mit gerade einmal dreiundzwanzig Jahren, den allerersten Premio Nadal, heute eine der wichtigsten spanischen Literaturauszeichnungen. Bereits 1947 wurde das Werk verfilmt, 1952 erschien es erstmals auf Deutsch. Laforet wurde 1921 in Barcelona geboren, verbrachte ihre Kindheit auf Gran Canaria und kehrte 1939 nach Barcelona zurück, um Philosophie zu studieren. Drei Jahre später zog sie weiter nach Madrid.
Diese Rückkehr nach Barcelona zum Studium und die spätere Weiterreise nach Madrid teilt sie mit der Protagonistin ihres ersten (und somit zu einem gewissen Teil auch autobiographischen) Romans, der achtzehnjährigen Andrea.
Nach dem Ende des Spanischen Bürgerkriegs kehrt Andrea erstmals nach vielen Jahren nach Barcelona zurück, um zu studieren. Ihren Wohnsitz nimmt sie bei Verwandten in der Calle de Aribau – ein Haushalt, den sie aus der Kindheit als lebhaft und frohgemut in Erinnerung hat, den sie nun jedoch in einen bösartigen, dem Untergang geweihten Albtraum wiederfindet.
Sieben Personen hausen in der finsteren, verwinkelten Wohnung. Da ist zunächst einmal die Grossmutter, eine verhutzelte, vergessliche Frau, die sich dem Niedergang ihrer einst glorreichen Familie nicht mehr zur Wehr zu setzen vermag, aber versucht verzeihend allen gegenüber zu sein. Zwei ihrer Söhne, Andreas Onkel, leben auch in der Calle de Aribau: der intrigante Romàn, ein begnadeter, aber fauler und überheblicher Musiker, der sich darauf versteht, die restlichen Mitglieder des Haushalts mit seinen Provokationen gegen einander aufzubringen. Seine liebsten Opfer sind sein Bruder Juan, ein talentloser Maler von unberechenbarer Gewalttätigkeit, der seine hübsche, aber naive junge Frau Gloria vor den Augen des kleinen Sohnes regelmässig verschlägt und wüsteste Todesdrohungen ausstösst. Er will sich nicht eingestehen, dass genau diese Gloria, indem sie Möbel und Lampen verkauft und nachts bei ihrer Schwester an illegalen Spielen teilnimmt, als Einzige Geld in den Haushalt einbringt und diesen über Wasser hält. Mit Argusaugen daneben steht die erzreligiöse Tante Angustias, die die eingeschüchterte Andrea unter ihre Fittiche nimmt, ihr einredet, die Stadt sei ein “Höllenpfuhl”, in der ein Mädchen eine “Festung” sein müsse – bis sie, Angustias, letztlich enttäuscht ins Kloster zurückkehrt. Und dann ist da, in einer schamlosen Nebenrolle, noch das Hausmädchen Antonia, das an den Türen lauscht, jede Streitigkeit und jedes Misstrauen des Hauses kennt und schadenfreudig verfolgt…
In dieses Panoptikum menschlicher Unzulänglichkeit wirft Laforet ihre bemitleidenswerte Protagonistin, die sich ihren emotionalen Halt anderswo suchen muss. Erst als sie an der Universität die bildhübsche Ena kennenlernt, hat sie langsam das Gefühl, angekommen zu sein, Freundschaft gefunden zu haben. Als Ena jedoch plötzlich Bekanntschaft mit Andreas faszinierendem Onkel Romàn schliesst, kommt es zum Bruch…
««Sei kein Dickkopf, Nichte», sagte Juan. «Du wirst noch verhungern.»
Und er fasste mich mit ungeschickter Zärtlichkeit an den Schultern.
«Nein, danke, ich komme gut zurecht…»
Ich musterte meinen Onkel flüchtig von der Seite und sah, dass es auch ihm schon besser gegangen war. Er hatte mich dabei ertappt, wie ich das kalte Gemüsewasser getrunken hatte, das vergessen in einem Winkel der Küche stand, um weggegossen zu werden.
Antonia hatte angewidert ausgerufen:
«Was sind denn das für Schweinereien?»
Ich lief rot an.
«Mir schmeckt die Brühe eben. Und da man sie ohnehin weggegossen hätte…»
Auf Antonias Schrei hin waren die anderen herbeigelaufen. Juan schlug mir vor, einen finanziellen Kompromiss zu schliessen. Ich lehnte ab.»
In einer einfachen Sprache von grosser Ernsthaftigkeit, die keine Verschleierungen kennt, schildert Laforet die klaustrophobische Atmosphäre der Calle de Aribau, wo kein Wort ungehört bleibt und kein Gemüsewasser ungetrunken. Andrea ist eine grundehrliche Erzählerin, die personifizierte Unschuld in einer in unauflösbare Widersprüche verstrickten Welt. Die politische Dimension der Geschichte – das zerrüttete Spanien, das aus dem Bürgerkrieg direkt in die Franco-Diktatur gefallen ist – wird von der Autorin höchstens in Nebensätzen angedeutet, schwebt aber doch wie eine unausgesprochene Drohung hinter jedem Satz. Der erbärmliche Fall des Hauses in die Armut, die Missgunst, die Gewalt an den Nächsten – sie alle widerspiegeln die historisch-politische Situation Spaniens in den 1940er-Jahren.
Auch wenn Laforets Sprache in ihrer bisweilen fast pathetischen Ernsthaftigkeit, mit der sie die emotionalen Tumulte der jungen Frau wachruft, heute keinesfalls mehr zeitgemäss wirkt (ja, es vielleicht auch 1945 nicht war), ist “Nada” eine erfrischend unverblümte Lektüre – und geht vielleicht gerade deswegen nahe. In Zeiten, da die europäische Gegenwartsliteratur eine Schwemme an verschwiegener Auslassungs- und Andeutungsprosa erlebt, erscheint dieser Roman aus 1945 wie ein leuchtender Stern der Ehrlichkeit und Unverstelltheit.