Die Sprache der Hügel – Von reisenden Händlern und verschwundenen Karawanen

Seit ich mitten auf dem englischen Land lebe, verspüre ich einen immer stärker werdenden Sog zu der mich umgebenden Landschaft. Ich blicke auf die welligen Hügelketten der Pennines und bin fasziniert von dem Gedanken, dass sie die Spuren einer Jahrtausende währenden menschlichen Besiedlung beherbergen und ihre Entstehung selbst Millionen Jahre zurückliegt. Sie schlummern da so friedlich aneinandergerückt mit ihren zerfurchten Gesichtern aus Kalk- und Sandstein, ihren unter funkelnden Hochmooren verborgenen Häuptern. Die sanften Erhebungen der Gebirgskette stellen sich schlafend und sind dennoch wachsam, denn ihnen entgeht nichts. Auf ihren einst bewaldeten Anhöhen, in ihren schattigen Tälern und geheimnisvollen Höhlen liegen kostbare Zeugnisse verborgen, die von vergangenen Zeiten erzählen, wenn man nur genau genug hinsieht. Die Hügel sprechen keine menschliche Sprache und dennoch können wir sie verstehen, wenn wir unsere Augen und Ohren nur weit genug aufsperren und uns darauf einlassen. Die Landschaft lässt sich lesen wie ein fesselndes Buch.

Die Sprache der Hügel –  Von reisenden Händlern und verschwundenen Karawanen

Ein alter Packhorse Track zwischen Marsden und Slaithwaite.

Auf meinen Spaziergängen über die Hügel folgte ich zum Beispiel oft ganz unbemerkt den Spurrillen alter Lasttierstraßen (packhorse tracks) und war mir gar nicht klar, dass in diesen heute unscheinbaren Wegen so viel Geschichte steckt. Ein ganzes Netzwerk von einstigen Handelsrouten führte quer durch die Pennines und verband wichtige Umschlagsplätze. Bevor Waren auf Kanälen oder per Eisenbahn von Ort zu Ort transportiert wurden, übernahmen Pferde und Ponies diese Aufgabe. Erkennbar sind diese Routen noch heute anhand schmaler, bogenförmig geschwungener Brücken, deren Brüstungen niedrig gebaut sind, um die seitlich an den Tieren herabhängenden Taschen nicht zu behindern. Die Brücken konnten aufgrund ihrer speziellen Konstruktion beachtliche Lasten aushalten und wurden vermutlich von Bauern gefertigt, die in der Trockenbauweise geübt waren.

Ganze 180 Kilogramm konnten die Packpferdchen stemmen, die oft aus stämmigen, kräftig gebauten Zuchten stammten. Diese Lasttierkarawanen umfassten für gewöhnlich bis zu vierzig Tiere, wobei möglichst ein besonders zuverlässiges und kluges Pferd zum Leittier auserkoren wurde. Es trug eine Glocke, derem Klang die anderen Pferde gehorsam folgten. Die den Zug begleitenden Männer nannte man „jagger„, abgeleitet vom altenglischen „jag“ für „Ladung“. Viele der „jagger“ waren hauptberuflich Bauern, die diese Tätigkeit nebenbei ausübten, um ihr Einkommen aufzubessern. Selten entfernten sie sich daher mehr als zwei Tagesmärsche von ihrem Hof. Aber auch tüchtige Frauen sind als Begleiterinnen der Handelskarawanen bezeugt. Die Lastzüge kamen geschwindigkeitsmäßig eher langsam voran, bewältigten aber immerhin 15 Meilen pro Tag auf hügeligem Gelände, und bis zu 25 Meilen auf flachem Land.

Die Sprache der Hügel –  Von reisenden Händlern und verschwundenen Karawanen

Diese Illustration aus dem 19. Jahrhundert zeigt einen Lasttierzug, wie er im 16. Jahrhundert durch die Pennines reiste.

Normalerweise wurden die Wege nicht befestigt und nur auf schlammigem Untergrund, oder besonders steilen Anhöhen grob mit Sandsteinplatten gepflastert. Zudem waren sie oft nur so breit, dass die Pferde angehalten waren, schön hintereinander herzutrotten. Ein weiteres Indiz für das Vorhandensein einer ehemaligen Lasttierstraße findet sich zudem oft in Pub-Namen wie „Packhorse Inn“, „Bay Horse“, „String of Horses“, „Nag’s Head“ oder auch „Woolpack“.

Die Blütezeit des Transports von Waren zu Pferde fiel in die Zeit zwischen 1650 und 1750 als sich die Städte allmählich zu industriellen Zentren entwickelten. Blei und Tabak aus Liverpool gelangten dabei nach Osten, Mais, Textilien, Salz und Besteck aus Sheffield in die westlichen Regionen. Doch vor allem die Wollindustrie erzeugte beiderseits der Pennines einen regen Lasttierverkehr. Riesige Stoffbahnen, gewebte Textilien und Garne wurden von schnaufenden Pferden über Berg und Tal gehievt. Das Dörfchen Edale in Derbyshire war zum Beispiel ein wichtiger Rastpunkt zwischen zwei bedeutenden Lasttierrouten, bot den wandermüden Füßen und Hufen Unterkunft, Verpflegung und sogar eine Schmiede.

Die Sprache der Hügel –  Von reisenden Händlern und verschwundenen Karawanen

Jacobs Ladder in Edale/Debyshire mit einer typischen Packhorse Bridge.

Die Reise mit dem Lasttier war aber nicht nur anstrengend, sondern durchaus auch waghalsig und nicht ohne Risiken. In meinem Buch „Kopflos auf dem Pennine Way – Eine Berlinerin in der englischen Wildnis“ folge ich den Fußstapfen einer jener mutigen Händler auf seiner Route durch den Peak District und erzähle euch, warum sich mir dabei die Nackenhaare aufstellten.

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts verschwanden die letzten Lasttierkarawanen aus den Pennines. Die Kanalschiffahrt konnte inzwischen weitaus größere und effektivere Warentransporte übernehmen. Heute haben viele der ehemaligen Packhorse Tracks als willkommene Wanderrouten eine neue Bestimmung erhalten. Sie winden sich mit müheloser Leichtigkeit durch die Hügel, an deren natürliche Gestalt sie sich wie beiläufig anpassen, während sie Bäche, Moore, steile Auf- und Abstiege überwinden. Sie ermöglichen es dem Spaziergänger, sich als Teil der Landschaft zu begreifen, sich in ihr zu verlieren und auf Pfaden entlangzuschreiten, die ihn daran erinnern, dass Natur und Mensch keine getrennten Welten bewohnen.

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Noch mehr England-Lektüre gefällig? Dann lege ich dir mein neues Buch ans Herz: „Kopflos auf dem Pennine Way – Eine Berlinerin in der englischen Wildnis“. Als E-Book, Hardcover oder Taschenbuch hier erhältlich:

„Kopflos auf dem Pennine Way – Eine Berlinerin in der englischen Wildnis“


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