Die Spinne im Nacken

Die Spinne sitzt mir im Nacken. Sie grinst, weil sie weiß, dass sie mich hat. Ich bin – nicht ganz ohne eigene Schuld – gefangen in ihrem Netz. „Also, mein Kleiner“, sagt sie krächzend und reibt sich dabei zwei von ihren acht Händen. „Was nun?“
Hm.
Gute Frage. Exzellente Frage sogar, denke ich mir, während ich etwas hilflos an meinen Armen entlang gucke, zu dem Netz, in dem ich klebe. Ein bisschen komme ich mir vor wie Jesus. Das liegt vermutlich an der Körperpositition, die ich gerade innehabe – aber auch wie er, fühle ich mich etwas aufs Kreuz gelegt.
Ich dachte, das sollte Spaß machen hier.
So hatte man es mir zumindest versprochen.
„Ich weiß nicht“, antworte ich von unten herab zu der Spinne, wobei ich den Kopf ganz weit in den Nacken legen muss. In den Schatten kann ich sie kaum erkennen; ich sehe nur, wie die Dunkelheit sich bewegt, zu atmen scheint und ab und zu die Spitze eines haarigen Beine hervorsticht. Auch wenn ich sie kaum sehen kann, spüre ich, dass sie da ist – ihre dunkle Gegenwart droht mich zu erdrücken. Sie ist gigantisch, wie ein ganzer Planet, der über mir schwebt und von oben herab amüsiert meine Fluchtversuche beobachtet. „Können wir vielleicht ein Abkommen finden?“ schlage ich schwitzend vor. „Eine Art Deal?“
„Hmmm.“ Die Spinne überlegt. Der Klang ihrer Stimme stellt mir die Nackenhaare auf. Käfer krabbeln mir unter der Haut, ich möchte flüchten – doch eine falsche Bewegung, und ich reiße mir an den klebrigen Fäden die Haut von den Knochen.
Etwas bewegt sich über mir, und mit sich weitenden Pupillen beobachte ich, wie zwei, drei, vier Beine das seidige Netz betreten. Mein Körper wird herum gerissen. Ich springe auf durch die Vibrationen im Netz, wie auf einem Trampolin. Für die Spinne fühlt es sich wahrscheinlich an, als würde sie mit den Zehenspitzen auf eine Glasscheibe treten – ich weiß ihre Mühe zu schätzen, aber bei mir da unten fühlt es sich an wie der Wellengang auf offener See.
Panik.
Mein Magen wird herumgeschleudert, stülpt sich nach außen. Ich fühle das Brennen in meiner Speiseröhre, das nasse, matschige Erbrochene und verfluche den Tag, als ich das Netz entdeckt habe.
„Da gibt es etwas, was du für mich tun könntest“, vibriert das sonore Sprechen der Spinne durch die Fäden, direkt in meinen Körper hinein. „Ich weiß aber nicht, ob du es schaffst.“
„Alles“, schreie ich, langsam der Verzweiflung nahe, „alles will ich versuchen. Ich schwöre. Lass mich nur wieder gehen!“
„Bist du sicher?“
„Noch nie! Noch nie war ich so sicher, wie jetzt!“
„Na gut.“ Die Spinne streicht sich mit dem dritten Bein über das Kinn – ich versuche den Geifer zu ignorieren, der dabei von ihren Scheren tropft. Den Ekel bekämpfe ich mit dem breitesten, strahlendsten, angsterfülltesten Lächeln, zu dem ein Mensch fähig ist.
„Schreib mir eine Geschichte“, sagt sie schließlich.
„Was?“
„Einen Epos. Etwas mit Bestand.“
„Eine Geschichte?“
„Die Elias wäre nicht schlecht…“
„…oh Gott…“
„…oder der Gilgamesch-Epos. Shakespear wäre auch in Ordnung.“
Verdammt. „Wie wäre es denn mit etwas…kleinerem?“ frage ich zaghaft. „Einem Gedicht vielleicht?“
„Naaaahhh“, macht die Spinne und verzieht angewidert das Gesicht. Acht Augen rollen Richtung Decke, ein Anblick, der jedem noch so harten Kerl den Angstschweiß auf die Stirn treibt. „Lyrik ist etwas für Schlangen.“
„Wie…wäre es denn mit etwas…ähm…kurzem?“
„Wie eine Kurzgeschichte?“
Ich nicke eifrig.
„Ich weiß nicht“, sagt die Spinne. „Ich bin schon ziemlich anspruchsvoll…“
Dann überlegt sie.
Während sie den Kopf – ihr Kopf! Oh du gütiger Gott, ihr Kopf! – hin und her wiegt, zerre ich an den Fäden ihres Netzes. Pattex ist nichts dagegen. Der Kleber hat sich in meine Haut gefressen, meine Poren geentert und sich festgekrallt.
Ich zerre.
Und zerre.
Und zerre.
Aber es hat keinen Zweck. Ich bin hoffnungslos gefangen.
„Na gut“, seufzt die Spinne schließlich genervt. „Dann eben eine Kurzgeschichte.“ Mit zwei „Schritten“ kommt sie näher. Ihr Schatten verdeckt mich, als sie sich über mich stellt.
„Aber ich warne dich“, zischt es aus ihrem Kiefer. „Wehe, sie ist nicht gut.“
Ich versuche zu lächeln. Und nicke.
Ich gebe mir wirklich Mühe, nicht vor Angst zu schreien.
Panik kriecht eisig unter meiner Haut. Die Spinne gibt mir einen Block, dazu einen klebrigen Bleistift. Sie löst mich von dem Netz ab, sodass ich mich aufsetzen und das Papier auf meinen feuchten Schoß legen kann. Dann klettert sie zurück in die Dunkelheit über mir. Und wartet.
Ich greife nach dem Stift. Zitternd lege ich ihn auf das Papier und beginne zu schreiben – mit der Spinne in meinem Nacken.


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