Die Software beim TÜV

Erstellt am 19. August 2010 von Guido Strunck

Hauptuntersuchung (HU) und Abgassonderuntersuchung (ASU) dürften jedem Autofahrer ein Begriff sein. Sie stehen für die regelmäßige gesetzlich vorgeschriebene technische „Tauglichkeitsprüfung“ des fahrbaren Untersatzes durch einen sachkundigen Prüfer. Umgangssprachlich wird dabei immer noch vom „TÜV“ gesprochen, obwohl sich nach der Deregulierung und Privatisierung der technischen Überwachungsvereine mehrere Prüfgesellschaften den Markt in Deutschland teilen und auch die früheren Regionalmonopole schon seit längerem gefallen sind.

Neben Autos sind solche technischen, meist an Standards und Normen orientierten Prüfungen auch für zahlreiche andere Gerätschaften vorgeschrieben, wenn von ihnen Gefahren ausgehen. So findet man z.B. in fast jedem Aufzug ein Prüfsiegel.

Dort wo es keine gesetzlich verankerten Prüfpflichten gibt, nimmt allerdings durch den zunehmenden Regulierungsdruck sowie das Verlangen des Marktes nach von unabhängigen Dritten geprüfter und bestätigter Qualität die Nachfrage nach geprüften und zertifizierten Produkten und Prozessen zu ihrer Herstellung zu.

Das gilt auch für Software. Softwareprodukte haben hinsichtlich Funktionalität, Gebrauchstauglichkeit und Sicherheit Anforderungen zu genügen, die sich durchaus an technischen Normen ausrichten, prüfen und zertifizieren lassen. Solche Prüfungen sind meist nichts anderes als Software- und Systemtests, Audits und Reviews, deren Ergebnisse in einem Gutachten, dem Prüfbericht zusammengefasst werden.

Andererseits führen Zertifikate in schwach oder gar nicht regulierten Märkten regelmäßig zu einer Zertifikateschwemme bei der sich solche mit geringen Anforderungen von solchen mit sehr anspruchsvollen Prüfverfahren für Laien gar nicht und von Fachleuten oft nur schwer unterscheiden lassen. Ohne zugrunde liegende Regulierung bauen sich Prüfgesellschaften ihre Prüfrichtlinien oftmals sogar selbst und erfinden neue Zertifikate. Die dann allerdings statt Normkonformität bestenfalls nur das ausweisen können, was konkret geprüft wurde.

Prüfen lassen kann man als Kunde jedoch nicht nur Produkteigenschaften sondern auch den Reifegrad der dahinter stehenden Produktions- und Managementprozesse. Zertifizierungen können daher ein Anreiz sein, diese Prozesse zu verbessern. Dumm nur für den Kunden, dass Prüfer zwar sagen dürfen, was Stand der Dinge ist. Aber nicht in Beratungen einsteigen dürfen, was wie zu verbessern ist. Prüfung und Beratung werden zur Erhaltung der Unabhängigkeit der Prüfer i.d.R. streng getrennt.

Softwareprodukte werden i.A. laufend weiter entwickelt. Daher stehen auch die Rezertifizierungen zur Aufrechterhaltung der Prüfsiegel und Qualitätszusagen sowie deren werblichen Nutzung regelmäßig wieder an. Für die Prüfgesellschaften ist daher jedes zertifizierte Softwareprodukt ein guter Grundumsatzbringer, der fast jährlich zur erneuten kostenpflichtigen Rezertifizierung ansteht.

Insofern können Zertifizierungen von Softwareprodukten durch Prüfgesellschaften durchaus einen Mehrwert darstellen und zudem sowohl das Produkt als auch die Prozesse seiner Entstehung verbessern helfen – wenn man die Feststellungen und Anmerkungen in den Prüfgutachten auch aufgreift und die dahinter stehenden Probleme angeht.

Gerade kommerzielle Softwareprodukte deren Quellcode nur wenigen angestellten Entwicklern zugänglich ist, ist aufgrund der geringen Anzahl fachlich Beteiligter und dem gegebenen Markt-, Zeit- und Kostendruck oftmals mit Qualitätsmängeln behaftet. Das was bei quelloffener Software die Vielzahl der Beteiligten in einem quasi-öffentlichen Peer-Review leistet, muss bei kommerzieller Software die interne Qalitätssicherung sowie das externe Prüfen und Zertifizieren leisten.

Andererseits wird auch in Prüfgesellschaften nur mit Wasser gekocht und so mancher prüfender und zertifizierender „Produktspezialist“ ist eher ein meetingerprobter Powerpoint-Artist im Anzug als ein erfahrener und fachlich versierter Prüfer. Es gilt also sich als Abnehmer von Prüfdienstleistungen die Prüfer, ihr Geschäftsgebahren und ihr Leistungsspektrum genau anzusehen.