Die Sentimentalität netzaffiner Deutscher

Es ist soweit. Ich wurde geadelt. Ich werde mich ab sofort als Mitglied der Netzgemeinde bezeichnen. Wie kam es dazu? Ich sah mich genötigt Sascha Lobos weinerliche Enttäuschungstirade in FAZ.NET zu kommentieren. Und siehe da, ich wurde in einem anschließenden FAZ.NET-Artikel zitiert. Dies sollte mir ein Ansporn sein, mich an dieser Stelle wieder öfter zu äußern.

Auch ging ich davon aus, das Thema wäre tot. Aber siehe da, nun fabuliert sogar einer über das Internet als Sehnsuchtsort. Ganz abgesehen von der Merkwürdigkeit, die Sehnsucht auf Virtuelles zu richten, sind diese  Gegenreaktionen bezeichnend. Oder vielleicht auch nur symptomatisch, wenn man sich irgendwo zwischen Naivität und Prophetie bewegt? Das gibt es ja schon seit fast 3000 Jahren. Insbesondere unter äußerer, realer oder vermeintlicher Bedrohung.  So verkündete Jesaja in der Zeit der Bedrohung durch die antike Großmacht Assyrien eine endzeitliche Wende zu universalem Frieden, Gerechtigkeit und Heil. Heute sind es die USA die man verabscheut, und die Eschatologie ist digitalisiert.

Nicht lange ist es her, dass so mancher in der Netzgemeinde in der Person eines Herrn Assange den Genius weltgeschichtlicher Persönlichkeiten wiedererkannte. Mir ging es nicht so. Ich fand diese Weltsicht zutiefst kindisch. Und nun die große Überraschung. Die Mächtigen schlagen zurück, beziehungsweise sie tun es schon seit vielen Jahren. Dank WikiLeaks und dem NSA-Skandal ist heute das ganze Netz durchzogen von Misstrauen und Angst, ja Paranoia. Ob nun Bürger oder Entscheidungsträger, alle werden immer weniger bereit sein, sich offen zu äußern, wenn das was sie sagen, von ihrem Gesprächspartner oder Dritten aufgezeichnet werden und später als Beweismittel gegen sie verwendet werden kann.

Es freute sich der Netzaktivist als dies in der offiziellen Welt geschah. Und jetzt Heulen und Zähneklappern selbst bei Herrn Lobo, wo plötzlich klar wird, wie leicht zu infiltrieren auch der private Bereich ist und wie die Mächtigen sogar noch besser mit den Instrumenten des Netzes hantieren können. Die Auflösung der Unterscheidung zwischen dem privaten und öffentlichen Bereich war einer der großen Ziele des Totalitarismus. Jetzt wird sie Realität. Dank der Mächtigen und dank der ohnmächtigen Zauberlehrlinge, die ohne es bemerkt zu haben, nun in einer unheilvollen Symbiose gefangen sind. Dabei hätte man sich doch nur einmal erinnern müssen, wer das Ganze erfunden hat. Die Geister, die man rief, wird man nicht mehr los. Welcher Meister steht bereit zum Aufräumen? Ich sehe niemanden. Aber ich werde deshalb nicht gleich sentimental.



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